Berlin. Laut Meinungsforschern fühlen sich viele Türken von den deutschen Parteien nicht mehr vertreten. Zwei Parteien dürften darunter leiden.

Nazi-Vergleiche, Verhaftungen,

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– um das deutsch-türkische Verhältnis ist es so schlecht bestellt wie nie. Meinungsforscher erwarten, dass der Dauerknatsch zwischen Berlin und Ankara auch Einfluss auf den Ausgang der Bundestagswahl haben wird. Viele Wahlberechtigte mit türkischen Wurzeln dürften der Wahl am 24. September fernbleiben.

Der Grund: Sie fühlen sich von den deutschen Parteien nicht mehr verstanden und an den Rand gedrängt. Das hat auch damit zu tun, dass die meisten von ihnen ihre Informationen über deutsche Politik aus türkischen Medien beziehen. Und die sind, was deutsche Parteien angeht, zur Zeit auf Krawall gebürstet.

Problem für SPD und Grüne

Der Bundesvorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoglu, sagt: „Das ist natürlich problematisch, da die politischen Debatten in Deutschland nur durch einen Filter der türkischen Presse wahrgenommen werden. Wenn diese dann tendenziös berichten oder eine bestimmte politische Agenda verfolgen, ist das nicht immer positiv.“

Die Spitzenkandidaten der Bundestagswahl

Sie ist zum vierten Mal angetreten und siegte erneut: Bundeskanzlerin Angela Merkel hat mit ihrer Partei CDU die Wahl gewonnen – wenn auch mit herben Verlusten: 26,8 Prozent holten die Christdemokraten. Das sind 7,3 Prozent weniger als bei der Wahl 2013.
Sie ist zum vierten Mal angetreten und siegte erneut: Bundeskanzlerin Angela Merkel hat mit ihrer Partei CDU die Wahl gewonnen – wenn auch mit herben Verlusten: 26,8 Prozent holten die Christdemokraten. Das sind 7,3 Prozent weniger als bei der Wahl 2013. © dpa | Michael Kappeler
Auch für Bayerns Innenminister Joachim Herrmann, der als Spitzenkandidat der CSU in den Wahlkampf zog, hatte das schlechte Abschneiden seiner Partei Folgen: Zwar haben alle Direktkandidaten der CSU den Sprung in den Bundestag geschafft – von der Landesliste gelang das aber keinem. Darunter auch Herrmann.
Auch für Bayerns Innenminister Joachim Herrmann, der als Spitzenkandidat der CSU in den Wahlkampf zog, hatte das schlechte Abschneiden seiner Partei Folgen: Zwar haben alle Direktkandidaten der CSU den Sprung in den Bundestag geschafft – von der Landesliste gelang das aber keinem. Darunter auch Herrmann. © dpa | Matthias Balk
Als der ehemalige EU-Parlamentspräsident Martin Schulz zum Kanzlerkandidaten der SPD ernannt wurde, waren die Hoffnungen auf einen Machtwechsel groß. Sie zerschlugen sich: Mit Schulz als Spitzenkandidat fuhr die SPD mit 20,5 Prozent des schlechteste Ergebnis überhaupt ein.
Als der ehemalige EU-Parlamentspräsident Martin Schulz zum Kanzlerkandidaten der SPD ernannt wurde, waren die Hoffnungen auf einen Machtwechsel groß. Sie zerschlugen sich: Mit Schulz als Spitzenkandidat fuhr die SPD mit 20,5 Prozent des schlechteste Ergebnis überhaupt ein. © REUTERS | FABRIZIO BENSCH
Cem Özdemir und die Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt gingen als Spitzenduo in die Bundestagswahl. Nachdem die Grünen laut Umfragen zeitweise um den Einzug in den Bundestag bangen mussten, holten sie am Ende souverän 8,9 Prozent.
Cem Özdemir und die Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt gingen als Spitzenduo in die Bundestagswahl. Nachdem die Grünen laut Umfragen zeitweise um den Einzug in den Bundestag bangen mussten, holten sie am Ende souverän 8,9 Prozent. © imago | Jens Jeske
Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch wollten den Platz der Linken als drittstärkste Kraft im Bundestag unbedingt verteidigen. Zwar holten sie 9,2 Prozent und damit mehr als bei der letzten Wahl 2013. Stärkste Opposition ist die Linke aber nicht mehr. Diesen Platz nimmt nun ausgerechnet die AfD ein.
Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch wollten den Platz der Linken als drittstärkste Kraft im Bundestag unbedingt verteidigen. Zwar holten sie 9,2 Prozent und damit mehr als bei der letzten Wahl 2013. Stärkste Opposition ist die Linke aber nicht mehr. Diesen Platz nimmt nun ausgerechnet die AfD ein. © dpa picture alliance | Emmanuele Contini
Christian Lindner ist das Gesicht der FDP – und konnte die FDP wieder in den Bundestag bringen. Nur die AfD konnte den Liberalen, die 10,7 Prozent holten, den dritten Platz streitig machen.
Christian Lindner ist das Gesicht der FDP – und konnte die FDP wieder in den Bundestag bringen. Nur die AfD konnte den Liberalen, die 10,7 Prozent holten, den dritten Platz streitig machen. © picture alliance / Maurizio Gamb | dpa Picture-Alliance / Maurizio Gambarini
Alice Weidel und Alexander Gauland haben die AfD als Spitzenkandidaten auf Platz drei geführt. Insgesamt holten die Rechtspopulisten 12,6 Prozent.
Alice Weidel und Alexander Gauland haben die AfD als Spitzenkandidaten auf Platz drei geführt. Insgesamt holten die Rechtspopulisten 12,6 Prozent. © picture alliance / Uli Deck/dpa | dpa Picture-Alliance / Uli Deck
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Dass sich die Türkeistämmigen zunehmend abwenden, ist vor allem für die SPD und für die Grünen eine schlechte Nachricht. Sie waren bislang die bevorzugten Parteien der rund eine Million Deutschtürken, die in Deutschland wahlberechtigt sind. Das liegt vor allem daran, dass beide Parteien die Vorteile der Migration herausstreichen und immer wieder Maßnahmen gegen Diskriminierung einfordern. Allerdings: Den Flüchtlingszustrom seit 2015 sehen auch einige Einwanderer aus der Türkei kritisch.

41 Prozent mit Wahlgang unentschlossen

„Wir rechnen diesmal mit einer deutlich geringeren Wahlbeteiligung der Türkeistämmigen“, erklärt Joachim Schulte von Data 4U, einem Institut, das sich auf Meinungsforschung in ethnischen Zielgruppen spezialisiert hat. Bei einer Untersuchung zur politischen Beteiligung von in Bayern lebenden Menschen mit Migrationsgeschichte stellte Schulte im Februar fest, dass diese Gruppe zur Zeit „mit allen Parteien besonders wenig“ übereinstimmt.

Ähnliche Ergebnisse lieferte unlängst eine bundesweite repräsentative Befragung durch die Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD), die der türkischen Regierungspartei AKP von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan nahesteht. Dabei gaben 15 Prozent der Befragten an, sie wollten bei der nächsten Bundestagswahl gar nicht wählen. 41 Prozent wussten noch nicht, ob sie zur Wahl gehen oder machten keine Angaben.

Kritik an Armenier-Resolution

Beim Rest kam die Linke auf vier Prozent. Sechs Prozent der 1000 Befragten wollten die Grünen wählen, sieben Prozent die CDU. Die SPD kam auf 22 Prozent. Der Wert für die AfD tendiert gegen Null. Zum Vergleich: Bei der zurückliegenden Europawahl hatten 54 Prozent der Befragten ihr Kreuz bei der SPD gemacht, 19 Prozent bei den Grünen.

Das sind die Spitzenkandidaten bei der Bundestagswahl 2017

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    Was sind die Gründe für diese Entfremdung? Da ist vor allem die Verabschiedung der Armenier-Resolution im Bundestag im Juni 2016. Das Parlament hatte das blutige Vorgehen des Osmanischen Reiches gegen die Armenier vor mehr als hundert Jahren als Völkermord eingestuft. Alle elf Abgeordneten mit türkischem Migrationshintergrund bekamen nach der Abstimmung sogar so heftige Drohungen, dass sie zeitweise unter Polizeischutz gestellt wurden.

    Meinungsforscher sieht Rückzug in die Community

    Auch der Streit um Wahlkampfauftritte türkischer Politiker in Deutschland und der von Erdogan erhobene Vorwurf,

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    und Unterstützer des Putschversuchs vom Juli 2016, fiel bei einigen Deutschtürken auf fruchtbaren Boden. Die Versuche deutscher Politiker, diese Vorwürfe zu entkräften, erreichten diese Gruppe dagegen oft gar nicht.

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    Meinungsforscher Schulte erklärt: „Wir stellen einen Rückzug in die Community fest, der Konsum türkischer Medien hat bei den Türkeistämmigen im letzten Jahr sogar zugenommen. Er stieg von über 80 Prozent auf etwa 90 Prozent. Nur ein Drittel der Deutschtürken schaltet zumindest hin und wieder einen deutschen Sender ein.“

    Früher profitierten Grüne von Özdemir

    In der Bayern-Studie von Data 4U heißt es: „Selbst die in der Vergangenheit von dieser Wählergruppe favorisierte SPD erreicht nur unterdurchschnittliche Werte“. Die Grünen leiden nach Einschätzung der Türkischen Gemeinde in Deutschland (TGD) darunter, dass der „Özdemir-Bonus“ aufgebraucht ist. Einige Migranten aus der Türkei hätten früher die Grünen gewählt, weil mit Cem Özdemir ein Mann aus ihrer Mitte an der Spitze steht. Durch Özdemirs vehemente Kritik an Erdogan und seine deutliche Unterstützung der Armenier-Resolution sei aus diesem Bonus eher ein Malus geworden.

    Dass die Türkeistämmigen in Deutschland Mitte-Links-Parteien bevorzugen, obwohl ein großer Teil von ihnen in der Türkei die islamisch-konservative AKP unterstützt, erklären die Forscher so: In Deutschland wählten die Migranten und ihre Nachfahren Parteien, von denen sie glaubten, dass diese ihren Interessen dienten. Die Vorliebe für bestimmten Parteien in der Türkei habe dagegen mehr mit Herkunft und Emotionen zu tun.

    Erdogan macht Wahlkampf für Spannungen verantwortlich

    Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan macht indes den Bundestagswahlkampf für die Spannungen mit Deutschland verantwortlich. „Achtet nicht darauf, was die Deutschen so daherreden“, sagte Erdogan am Dienstag in der Schwarzmeerstadt Trabzon. „Auch sie werden ihre Fehler erkennen. Aber es wird zu spät sein. Denn wir haben den Deutschen nichts getan. Aber leider haben die Deutschen in letzter Zeit die Orientierung verloren.“

    Als Grund nannte er die bevorstehende Bundestagswahl. Wegen der Wahl prügele jeder von allen Seiten auf die Türkei ein. Sein Land werde sich davon aber nicht beirren lassen, „egal, wo ihr auch hinhaut“, so Erdogan. (dpa)