sich 1982 per Misstrauensvotum auf den Kanzlersessel im Bundestag und damit an die Macht wuchtete, verkörperte er für uns, die wir damals gerade über 20 waren, so ziemlich all das, was wir an der Politik verabscheuten: Provinzialität, Mittelmäßigkeit, Bräsigkeit.
Der Mann aus Oggersheim war unser politisches Feindbild – auch wenn er immerhin Franz-Josef Strauß, unser Feindbild Nummer 2, die Stirn bot. Kohl als Kanzler? Das kann, ja, das wird nicht lange gehen! Dachten wir.
Kohls Karawane zog einfach weiter
Wie haben wir diesen Mann unterschätzt! Kohl sollte Kanzler bleiben, länger als jeder andere bisher in der Geschichte der Bundesrepublik. Länger sogar als Konrad Adenauer, den wir schon damals nur noch aus den Geschichtsbüchern kannten. Und die ganzen Jahre über haben wir uns an Kohl abgearbeitet, in steter Gewissheit, dass die jeweils nächste Wahl sein politisches Aus besiegeln würde.
Einmal, als Kohl auf Wahlkampftour in unsere Gegend kam, haben wir sogar gegen ihn demonstriert, Plakate gepinselt und Schmähgesänge gegrölt. Ich schätze, er hat uns nicht einmal gehört.
und ließ uns mit unseren verknickten Plakaten im Regen zurück wie begossene Pudel.
Helmut Kohl – Eine Karriere in Bildern
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Die Feindbilder wurden andere
Irgendwann haben wir uns dann abgefunden mit dem Kanzler Kohl. Er war halt da und ging irgendwie nicht mehr weg. All die Vogels, Raus, Lafontaines und Scharpings, die es mit ihm aufnehmen wollten, prallten ab an dem Pfälzer Hünen wie Papierkügelchen an einem Riesen.
Und wir? Wir suchten uns andere Feindbilder. Als Kohl dann 1998 von einem politischen Hallodri namens Gerhard Schröder aus dem Kanzleramt vertrieben wurde, interessierte es uns schon fast nicht mehr. Helmut Kohl – war da was?
Bilder, die Mitgefühl erzeugten
Wie haben wir diesem Mann Unrecht getan! Heute ist unser Blick auf Helmut Kohl schon seit langem milder. Das mag daran liegen, dass die Zeit vieles verklärt und dass so mancher „Skandal“ von damals in der Rückschau dann doch ziemlich harmlos erscheint.
Das mag auch an den Bildern des Helmut Kohl liegen, die ihn bei seinen seltenen öffentlichen Auftritten in den letzten Jahren zeigten; Bilder eines schwerkranken Mannes, im Rollstuhl sitzend, kaum fähig zu reden. Seine erste Ehefrau suchte den Freitod, die Söhne sagten sich von ihm los. Es waren Bilder, die Mitgefühl erzeugten. Aber ist es das allein?
Festhalten an Nachrüstung war richtig
Nein. Helmut Kohls Tod ist auch Anlass, politisch Abbitte zu leisten. Dass Kohl – wie sein SPD-Vorgänger Helmut Schmidt – an der so genannten Nachrüstung festhielt? Es war wohl die richtige Strategie.
, das uns offene Grenzen bescherte und viel länderübergreifende Freizügigkeit brachte? Eine immense Leistung. Dass Kohl die deutsche Einheit nach dem Mauerfall beherzt anpackte, als andere mutlos lavierten? Ein Glücksfall für Deutschland.
Kohl hat auch uns geprägt
Helmut Kohl war als Politiker einer, der unbeirrt seinen Weg gegangen ist, manchmal auch wenig rücksichtsvoll gegenüber den eigenen Weggefährten. Die Menschen haben ihn immer wieder gewählt, weil sie sich bei ihm gut aufgehoben fühlten. So hat Kohl diesem Land über eineinhalb Jahrzehnte seinen Stempel aufgedrückt und das verlangt Respekt.
An Helmut Kohl haben wir uns gerieben, über ihn haben wir geschimpft, uns über ihn in Rage geredet, unsere Meinung und unseren Blick geschärft. Unter seiner Kanzlerschaft haben wir unser politisches Denken entwickelt. Somit hat er auch uns geprägt. Ob uns das gefällt oder nicht.