Berlin. Tausende Nordafrikaner sollen zurück in ihre Heimatländer. Doch bei der Umsetzung gibt es Probleme – aus unterschiedlichsten Gründen.

Drei Anläufe braucht der Staat, um Taoufik M. nach Marokko abzuschieben, den Mann, der sich selbst „König der Taschendiebe“ nennt. Als Mitte Dezember das Flugzeug von der Royal Air Maroc mit Ziel Casablanca vom Frankfurter Flughafen abhebt, sind drei Reihen für die Bundespolizei gebucht. Zwei Beamte sitzen neben Taouflik M., drei weitere und ein Arzt vor und hinter ihm. Sie tragen Handschuhe und Mundschutz, ihr Passagier einen Gefangenengürtel, einen „BodyCuff“.

Sie wissen, was kommt: Er schreit, tritt, spuckt, weint, am Ende wird er sich übergeben. Zweimal hatten Piloten den Transport verweigert – aus Rücksicht auf ihre übrigen Passagiere –, diesmal nicht; aber bei der staatlichen Gesellschaft auf Wink von oben, wie es hinterher heißt.

Auch Anis Amri sollte abgeschoben werden

Für den nordrhein-westfälischen Innenminister Ralf Jäger (SPD), der die Ausweisung des Kriminellen aus Düsseldorf forcierte, steht fest. „Es ist zu kompliziert und zu teuer.“ Sieben Flugtickets, eine Übernachtung für sechs Leute, zwei Arbeitstage. Es ist ein Extremfall, und doch lenkt er den Blick auf eine reale Problemzone staatlicher Abschiebepolitik: auf die drei Staaten der Maghrebregion Marokko, Algerien und Tunesien.

Sind Flüchtlinge krimineller als Deutsche?

weitere Videos

    Sogar die Abschiebung des späteren Berliner Attentäters Anis Amri nach Tunesien misslang. Erst wollten ihn die Italiener 2011 und nach seiner vierjährigen Haft 2015 abschieben, spätestens ab Mai 2016 dann die deutschen Behörden – vergeblich. Mal reagiert Tunesien nicht, mal wird eine Identität angezweifelt, ein andermal mal fehlen Ausweispapiere. Auch der jüngst in Hessen verhaftete Terrorverdächtige konnte lange nicht abgeschoben werden. Dabei wurde er in Tunesien polizeilich gesucht.

    Auch nach einem Jahr gibt es kein Abkommen mit Marokko

    Mehr als 75.000 Menschen aus Marokko leben in Deutschland, mehr als 30.000 aus Tunesien, 21.000 aus Algerien. Die allermeisten sind in Deutschland legal als Angestellte oder Studenten mit einem Visum oder geduldete Asylbewerber. Nur ein kleiner Teil muss ausreisen. Vor Krieg fliehen die Menschen aus der Maghrebregion eher nicht, aber vor Armut, Diskriminierung, Willkür. Die Anerkennungsquoten für Asyl liegen unter drei Prozent, bei Tunesiern unter einem Prozent.

    De Maiziere - Flüchtlingszahlen in 2016 deutlich gesunken

    weitere Videos

      Deutsche Politiker dringen darauf, dass diese Länder Personen schneller identifizieren und Ersatzpässe liefern. Innenminister Thomas de Maizière (CDU) flog im Februar 2016 persönlich zu Verhandlungen nach Marokko. Doch zwölf Monate später liegt für ein Abkommen zur Zusammenarbeit bei Abschiebungen aus Deutschland noch nicht einmal ein Unterzeichnungstermin fest. Mit Tunesien gibt es keine schriftliche Vereinbarung für Rückführungen. Als etwas kooperativer gilt Algerien.

      Merkel will Abschiebungen zur Chefsache machen

      Zwar ist davon die Rede, dass Kanzlerin Angela Merkel das Thema zur Chefsache machen und in die Region reisen wolle, aber bislang steht noch kein Termin fest. Erst einmal soll Entwicklungshilfeminister Gerd Müller (CSU) in die Region fliegen und die Lage vor Ort sondieren. Müller wehrte alle Forderungen ab, Projekte in den Maghrebstaaten zu stoppen. Das verschärfe die Krise nur. Er will umgekehrt vorgehen: Wer in der Flüchtlingspolitik kooperiert, soll bevorzugt behandelt werden.

      Von den 1234 ausreisepflichtigen Tunesiern im Jahr 2015 gingen laut Bundesinnenministerium 15 freiwillig zurück, 17 konnten zurückgeschickt werden. Ein Jahr später gingen 32 freiwillig zurück und 116 unter Zwang. Die Zahlen steigen, die der Ausreisepflichtigen aber auch. 2016 traf das auf 1515 Tunesier, 3736 Marokkaner und 3784 Algerier zu. In dem Tempo vergehen Jahre, bis der letzte von ihnen das Land verlässt.

      Marokko lehnt Massenabschiebungen ab

      Der Präsident der Bundespolizei, Dieter Romann, kennt die viele Hemmnisse. „Es gibt Staaten“, erzählt er, „die verlangen sogar, dass die abzuschiebende Person den Antrag auf Ausstellung von Passersatzdokumenten beim Herkunftsstaat selbst beantragt.“ Da könne man sich ja vorstellen, wie erfolgreich hier der Vollzug geltenden Ausländerrechts sei, bemerkt er süffisant. Marokko lehnt bislang Massenabschiebungen ab. Es beharrt darauf, dass Personen in Linienmaschinen zurückgeflogen werden, maximal fünf pro Flug.

      Von den 2357 ausreisepflichtigen Marokkanern in Deutschland sind 2015 genau 19 freiwillig, 61 unter Zwang gegangen, im Folgejahr waren es 108 Freiwillige und 119 Abgeschobene. Die Algerier sind die kleinste Gruppe von Migranten und Flüchtlingen aus dem Maghreb. Das Land weist die größten Zahlen von Abschiebungen auf: 169 Personen im Jahr 2016 im Vergleich zu 57 im Jahr davor.

      In Kommunen und Ländern wächst der Frust

      In den Kommunen und in den Bundesländern wächst der Frust. Der Einsatz an Personal und Zeit betrage das „Zehnfache“ im Vergleich zu Abschiebungen in die Staaten des Westbalkans, gibt das sächsische Innenministerium an. Häufig würden die meist jungen Männer vor der Abschiebung untertauchen. Manchmal könne man sie auch aus gesundheitlichen Gründen nicht in den Flieger setzen. Andere der vormals Ausreisepflichtigen haben laut sächsischer Behörden zwischenzeitlich geheiratet und Kinder in Deutschland.

      Im Bundesinnenministerium arbeiten mittlerweile 40 Beamte im Stab „Rückführungen“. Sie entwickeln Programme, um die Anreize für eine freiwillige Ausreise der Menschen aus dem Maghreb zu erhöhen, etwa die „Starthilfe Plus“ mit mehreren Hundert Euro als Reise- und Taschengeld. Sie organisieren die Flüge für die Abschiebung, stellen Bundespolizisten bereit. De Maizière erwägt, zentrale Abschiebezentren einzurichten, damit die Beamten abgelehnte Asylbewerber ohne Umwege, ohne Zeitverlust und unter Zwang zurückfliegen – wenn die Herkunftsländer denn mitmachen.

      Grüne und Linke setzen stärker auf freiwillige Rückkehr

      „Die Initiative muss von den Bundesländern kommen““, sagt Ole Schröder (CDU).
      „Die Initiative muss von den Bundesländern kommen““, sagt Ole Schröder (CDU). © imago/ZUMA Press | imago stock&people

      Sein Parlamentarischer Staatssekretär Ole Schröder (CDU) verweist auf laufende Maßnahmen, mit denen bereits „schneller abgeschoben“ werden könne. Auf marokkanischer und deutscher Seite seien „persönliche Beauftragte“ der Ministerien benannt worden, um Probleme auf dem „kurzen Dienstweg“ zu lösen. Schröder sieht die Verantwortung nicht nur beim Bund oder den Herkunftsstaaten. „Die Initiative muss von den Bundesländern kommen.“ Einige Länder würden eine Politik betreiben, die „konsequente Rückführungen blockiert“, sogar von Kriminellen. So beharrt Schleswig-Holstein darauf, dass eine Rückkehr von Afghanen „in Sicherheit und Würde“ nicht gewährleistet sei. Seit Jahren herrsche dort Krieg und Terror.

      Grüne und Linke setzen stärker auf eine freiwillige Rückkehr. Linke-Politikerin Ulla Jelpke kritisiert die Vorstöße der Regierung scharf. Mit dem „Taschengeld“ für freiwillige Rückkehrer versuche der Bund, die Zahl der Antragssteller auf Asyl nach unten zu drücken und ein faires Verfahren zu verhindern. Würde der Staat einem Menschen die Abschiebung androhen, womöglich mit wochenlanger Abschiebehaft, werde ihm die Chance einer „wirklich freiwilligen Ausreise“ genommen. Die Situation ähnle einer „Nötigung“. Taoufik M. hatte seine eigenen Einnahmen. Für etwas Geld vom Staat hätte er jedenfalls Deutschland kaum freiwillig verlassen.