Berlin. Seit mehr als zwölf Jahren fehlt von Georgine Krüger jede Spur. Jetzt hat die Polizei in Berlin einen 43 Jahre alten Mann festgenommen.

Nach mehr als zwölf Jahren Ermittlungen hat die Polizei am Dienstag den mutmaßlichen Mörder der im September 2006 spurlos verschwundenen Georgine Krüger verhaftet. Ermittler einer Mordkommission haben mit einem Spezialeinsatzkommandos (SEK) im Auftrag der Berliner Generalstaatsanwaltschaft einen 43 Jahre alten Mann in seiner Wohnung im Stadtteil Moabit verhaftet.

Nach Angaben der Staatsanwaltschaft wird der Mann dringend verdächtigt, die zur Tatzeit 14 Jahre alte Schülerin Georgine Krüger am 25. September 2006 getötet zu haben. Das Mädchen wurde zuletzt am Tag der Tat an einer Bushaltestelle in Moabit gesehen.

Nach Angaben der Polizei besteht der dringende Verdacht, dass der Festgenommene, ein Vater von drei Kindern, Georgine Krüger aus sexuellen Motiven auf ihrem Heimweg von der Schule abgefangen, in seinen Keller gelockt und sie dort getötet hat.

Leiche ist bis heute nicht gefunden worden

Die Leiche des Mädchens ist bis zum heutigen Tag nicht gefunden worden. Dem dringend Tatverdächtigen sollte noch am Dienstag der Haftbefehl wegen Mordes verkündet werden.

Georgine Krüger wird seit 2006 vermisst.
Georgine Krüger wird seit 2006 vermisst. © Polizei

Der Beschuldigte wurde nach Aussagen der Staatsanwaltschaft bereits im Jahr 2012 vom Amtsgericht Tiergarten wegen sexueller Nötigung einer Jugendlichen verurteilt. 2011 hatte er das 17-jährige Mädchen in den Keller seiner Wohnung gelockt und versucht zu vergewaltigen.

Die Ermittler gehen davon aus, dass der 43-Jährige bei Georgine Krüger genauso vorgegangen ist. Auch sie soll er ins Haus gelockt und in dem Kellerraum getötet haben. „So wie es aussieht, ist Georgine Krüger noch am Tag ihrer Entführung getötet worden“, sagte Martin Steltner, Sprecher der Staatsanwaltschaft.

Verdeckter Ermittler lieferte wichtige Erkenntnisse

Als er zu einem „Cold Case“ – einem ungeklärten, sogenannten „kalten“ Fall – wurde, versuchte einer der Spezialisten der Mordkommission, immer wieder neue Ermittlungsansätze zu finden. Die Ermittler hielten nach Angaben der Polizei auch über die Jahre hinweg den Kontakt zur Familie des Mädchens und unterstützten die Angehörigen mit psychologischem Beistand.

Schließlich führten Ermittlungserkenntnisse auf die Spur des Beschuldigten. „Diese Verdachtsmomente konnten insbesondere durch den Einsatz eines verdeckten Ermittlers in den vergangenen Monaten erhärtet werden“, hieß es bei der Polizei.

Zu weiteren Einzelheiten der Ermittlungen und der Verhaftung wollte sich die Polizei am Dienstag nicht äußern. Steltner sagte: „Die Beweislage ist gut.“ Der 43-Jährige habe die Tat gegenüber dem Ermittler zugegeben.

Noch vor 8 Uhr am Dienstagmorgen waren Polizisten, Mitarbeiter der Kriminaltechnik, ein Spürhund und auch Kräfte des Spezialeinsatzkommandos an Wohnung des Festgenommenen im Einsatz. Bis zum Nachmittag durchsuchten sie die Wohnung und die Kellerräume des Verdächtigen in dem Mehrfamilienhaus. Die Ermittlungen, insbesondere zum Verbleib der Leiche von Georgine Krüger, dauern an.

Täter kommt aus der Nachbarschaft

„Als ich heute früh zu meinem Salon kam und die Polizei vor der Tür sah, habe ich einen Riesenschreck und Panik bekommen“, sagte die Inhaberin eines Friseursalons in der Nachbarschaft. „Ich dachte, es wäre schon wieder eingebrochen worden.“

Die Frau möchte weder ihren Namen in der Zeitung lesen noch möchte sie vor eine Kamera treten. Seit 25 Jahren betreibt sie den Salon an der ruhigen Wohnstraße in Berlin-Moabit. Sie kennt den Beschuldigten: als Nachbarn und auch als Kunden.

Die Friseurin beschreibt ihn als ruhigen, freundlichen Familienvater, der sich ab und zu auch mal von ihr die Haare schneiden ließ. Sein ältester Sohn würde eine Ausbildung bei der Polizei machen, erzählt man sich im Kiez. Der Kleinsten habe sie schon mal Zöpfe geflochten. „Ich bin ganz geschockt, dass ich mich so in dem Mann getäuscht habe.“ Andere Nachbarn aus der Straße schließen sich dieser Meinung an.

Am Dienstagnachmittag trat der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Martin Steltner, vor Kameras und Mikrofone. Offenbar sind sich der 43-Jährige und Georgine vor der Tat bereits begegnet. „Davon kann man ausgehen, denn das Opfer und der Beschuldigte lebten sozusagen Tür an Tür in derselben Straße.“

Verdächtiger war schon früher befragt worden

Nach Angaben Steltners hätten sich Verdachtsmomente unter anderem aus der Funkzellenauswertung und der Kommunikationsüberwachung ergeben. Dann habe man einen verdeckten Ermittler hinzugezogen. „Dadurch ist es gelungen, dem Verdächtigen die Tat nachzuweisen.“

Die Verhaftung des Deutsch-Türken am Dienstagmorgen durch Spezialkräfte der Polizei sei „unspektakulär“ verlaufen. Der Mann wurde im Laufe der Ermittlungen auch schon als möglicher Zeuge befragt, da habe er sich aber unauffällig verhalten.

„Der Fall wurde als ‘Cold Case’ innerlich schon zu den Akten gelegt, umso erfreulicher ist es, wenn ein Fall nach so langer Zeit noch einmal auflebt“, sagte Steltner. „Es gibt noch keine Verurteilung, aber gleichwohl einen dringenden Tatverdacht.“

Anonymer Anrufer nannte Polizei vermeintlichen Leichenfundort

Der Fall der vor mehr als zwölf Jahren verschwundenen Schülerin Georgine Krüger gehört zu den mysteriösesten Verbrechen Berlins. Er steht in Verbindung mit Trauer, Tragik und immer wieder einem kleinen Hoffnungsschimmer. Aber die Ermittler der 6. Mordkommission gaben nie auf.

Brandenburg im April: Ein Polizeibeamter mit Hund sucht in einem Waldgebiet bei Brieselang nach Spuren der vermissten Georgine Krüger. Die Aktion blieb erfolglos.
Brandenburg im April: Ein Polizeibeamter mit Hund sucht in einem Waldgebiet bei Brieselang nach Spuren der vermissten Georgine Krüger. Die Aktion blieb erfolglos. © dpa | Bernd Settnik

Einen Hoffnungsschimmer, das Verbrechen aufklären zu können, gab es für alle Beteiligten zuletzt im März dieses Jahres. Ein unbekannter Anrufer hatte bei der Berliner Polizei angegeben, dass er wisse, wo die Vermisste zu finden sei.

Die Spur führte in den Landkreis Havelland. Der Unbekannte hatte sich am 31. März telefonisch bei der Polizei gemeldet und vorgegeben, dass sich die seit September 2006 Vermisste in Brieselang befinden würde. Nur wenige Tage nach den Hinweisen per Telefon suchten Beamte im Frühjahr 2018 mit Leichenspürhunden das genannte Waldstück in Brieselang ab.

Die Polizei sperrte ein ungefähr 5000 Quadratmeter großes Gelände ab, lockerte den Boden auf, um Gerüche freizusetzen und setzte Hunde und auch eine Drohne ein. Die Suche wurde ohne Erfolg beendet. Etwa fünf Monate später veröffentlichte die Polizei dann zwei Mitschnitte von den Anrufen des Mannes. Erst nannte er den Namen des vermissten Mädchens, dann die Koordinaten des Waldstücks, in dem sich das Grab befinden sollte.

Ermittler gingen etwa 300 Hinweisen nach

Im Oktober dieses Jahres war der Fall der 14-Jährigen in einer Spezialausgabe des TV-Magazins „Aktenzeichen XY...ungelöst“ vorgestellt worden. Daraufhin hatte sich die Zahl der bei der Berliner Polizei eingegangenen Hinweise stark erhöht. Eine Sprecherin der Polizei sagte nach der Sendung, dass 35 Hinweise eingegangen seien. Über die Qualität könne allerdings noch nichts gesagt werden, hieß es weiter. Alle würden jetzt nach und nach geprüft. Im Laufe der Jahre gingen die Ermittler etwa 300 Hinweisen nach.

„Die Leiche wurde noch nicht gefunden und es ist auch noch nicht klar, ob sie je gefunden werden wird“, sagte Steltner. „Wir hoffen aber, Gewissheit für die Angehörigen zu schaffen.“

• Dieser Text ist zuerst bei der „Berliner Morgenpost“ erschienen. Die Zeitung gehört wie unsere Redaktion zur Funke Mediengruppe.