Berlin. Klaus Wowereit, ehemaliger Regierender Bürgermeister von Berlin, über frühes Aufstehen und das Desaster mit dem Berliner Flughafen.

Er ist noch ein gefragter Gesprächspartner, gerne gesehener Gast bei Veranstaltungen und bei TV-Talkshows – und doch seit mehr als drei Jahren nicht mehr im Amt: Klaus Wowereit (64, SPD), ehemaliger Regierender Bürgermeister von Berlin, hat über „sein Berlin“ ein Buch geschrieben, das am Freitag erscheint. Ein Gespräch über das Leben ohne Politik, Langeweile und über den Berliner Flughafen.

Herr Wowereit, Sie schreiben in Ihrem Buch „Sexy, aber nicht mehr so arm – mein Berlin“, dass mit dem Weggang aus der Politik auch ein „erheblicher Bedeutungsverlust“ einherging. Was tat da weh?

Klaus Wowereit: Darauf muss sich jeder einstellen. Von der einen Sekunde auf die andere hat man keinen Personenschutz mehr, kein Büro, keinen Dienstwagen, keinen Fahrer, keinen Wachschutz. Wenn man zu einer Veranstaltung kommt, ist man nicht mehr die erste, sondern die fünfte Person. Das ist auch nicht schlimm, denn das andere ist mit dem Amt verbunden.

Langweilen Sie sich jetzt?

Wowereit: Nein – aber wenn, dann kann man ganz viel machen.

Was denn?

Wowereit: Man geht ins Theater oder in eine Galerie oder in den Zoo. Oder man nimmt ein Buch, schaut einen Film. Früher gab es ja keine Langweile. Man war zufrieden, wenn man die Beine mal hochlegen konnte.

Sie schreiben, dass Ihre Tage als Regierender Bürgermeister stundenweise getaktet waren und Ihre Mitarbeiter nicht daran gedacht haben, dass man auch mal Hände waschen muss.

Wowereit: Oder zu Mittag essen muss. In der Stadt mit den kurzen Wegen ist die Termindichte natürlich höher als in einem Flächenland. Ich habe es ja auch gerne gemacht.

Als Sie nicht mehr Regierender Bürgermeister waren, haben Sie sich da eine neue Tagesstruktur geben müssen. Stehen Sie jetzt trotzdem früh auf?

Wowereit: Ich bin immer noch jemand, der relativ früh aufsteht und dann aber weniger Zeitung als früher, dafür aber viel länger liest. Ich koche, gehe einkaufen – all die Dinge des normalen Lebens. Und ich wollte schon ein paar Sachen weitermachen – zum Beispiel bei der Aidshilfe.

Spielen Sie noch Golf?

Wowereit: Ja, aber nicht so häufig, wie man könnte.

Wären Sie eigentlich gerne in einen Aufsichtsrat gegangen wie andere ehemalige Ministerpräsidenten?

Wowereit: Gott sei Dank gab es nicht so ein Mega-Angebot, sodass man überlegt, ob man noch mal zurückgeht in einen Vollzeitjob. Mit den kleinen Sachen ist das schon ganz gut.

Wenn man Ihr Buch liest, bekommt man den Eindruck, dass Sie noch mitmischen wollen.

Wowereit: Nein, das ist keine Bewerbungsschrift. Ich hoffe, dass man an den einzelnen Themen, die nicht abschließend sind, weiterdenkt. Ich finde, die Politiker machen einen Fehler, indem sie so tun, als ob sie für alles eine Antwort haben. Die Fragen sind da, aber nicht alle Antworten.

Sie sprechen den Leser ja häufig direkt an. Nach dem Motto: Denk mal drüber nach – über das Politikerbild oder die Digitalisierung.

Wowereit: Ich will die Menschen nachdenklich machen. Sie müssen ja nicht meiner Meinung sein. Aber viele reden doch beispielsweise über die Digitalisierung, ohne mehr zu wissen.

Aber was heißt denn das, wenn Busse fahrerlos fahren? Dann fallen Busfahrer weg. Was machen die dann? Was bedeutet das fürs Arbeitsleben? Was für unsere Gesellschaft? Und die Entwicklung verläuft doch rasant. Das dauert nicht 50 Jahre, sondern eher fünf bis zehn Jahre.

Interessanterweise outen Sie sich als Fan des Autofahrens – und plädieren für einen Mix aus Auto, öffentlichem Nahverkehr, Rad. Was halten Sie von Tempo 30?

Wowereit: Mich macht als Privatmann, als Autofahrer, der Schilderwald zu Tempo 30 völlig verrückt. Manchmal gilt es von 6 bis 17 Uhr, manchmal von 22 bis 6 Uhr, manchmal nur für drei Meter. Man kommt sich ja vor wie ein Helikopter und muss dauernd schauen, in welcher Tempo-30-Zone man grade ist.

Nun zum Berliner Flughafen. Sie schreiben, die Absage des Eröffnungstermins 2012 war „die dunkelste Stunde“ Ihrer Amtszeit. Warum sind Sie nicht zurückgetreten?

Wowereit: Ich habe es nicht erwogen, weil ich nicht fliehen wollte. Es war meine Auffassung, das auch durchzustehen. Zu dem Zeitpunkt hätte ich mir aber auch nicht vorstellen können, dass es bis zu einer Eröffnung so lange dauern wird.

Fühlen Sie sich eigentlich ungerecht behandelt, weil das Flughafen-Desaster an Ihnen hängen geblieben ist?

Wowereit: Was heißt, ungerecht behandelt? Ich kann nachvollziehen, dass solche Ereignisse personalisiert werden, und sicherlich bin ich da auch eine Reizperson.

Ungerecht ist, dass die Brandenburger so getan haben, als ob es nichts mit ihnen zu tun hat. Und der Bund macht bis heute eine dubiose Politik und verteidigt sein Eigentum nicht. Auch die Baufirmen sind doch in der Pflicht. Wir haben doch die besten Baufirmen am BER eingesetzt, die bis heute das Terminal nicht fertig bekommen. Da fällt mir auch nichts mehr dazu ein.

Angenommen, der Flughafen öffnet im Herbst 2020. Gehen Sie zur Eröffnung?

Wowereit: Davon gehe ich aus. Ich hoffe inständig, dass der Termin 2020 auch steht.