Berlin. Zum Ferienstart sprach die Runde bei „Lanz“ über Kinder - mal ganz ohne Politiker. Dabei kamen bemerkenswerte Ideen auf den Tisch.

Warum nicht mal einen „Friday“ an der Schule einrichten: Einen freien Tag pro Woche, an dem die Schüler fächer- und jahrgangsübergreifend an einem gemeinsamen Projekt arbeiteten? Unternehmerin Verena Pausder, an diesem Abend Gast bei „Markus Lanz“, hatte viele Idee, wie der Unterricht nach der Corona-Pandemie wieder so viel Spaß machen könnte, dass alle mitkommen.

„Wir müssen uns trauen, was wegzunehmen, statt noch mehr draufzupacken“, erklärte Pausder das Konzept, das an einigen Schulen schon als Modell erprobt wurde. Die Defizite, die 16 Monate Digital-Unterricht bei vielen Schülern angerichtet hätten, sollten nicht einfach nur mit mehr Stoff gefüllt werden.

Dabei lag der Vorsitzenden des Vereins „Digitale Bildung für Alle“ die Digitalisierung sehr am Herzen. Nur meinte sie damit nicht Homeschooling per Video, sondern die Vermittlung von digitalen Kompetenzen, damit Kinder die Welt von morgen selbst gestalteten: „Podcasts oder Videos produzieren“, nannte sie als Beispiele, oder das Erkennen valider Quellen bei der Internetrecherche.

„Markus Lanz“ – Das waren die Gäste:

„Markus Lanz“: Bildungspolitik völlig abwesend

Wissen sei für eine Wissensgesellschaft wichtig, keine Frage. Warum aber seien weder Bildungsministerin noch Kultusminister während der Pandemie präsent gewesen, fragte sie bei „Markus Lanz“. Und bedauerte, dass Schulen mit Eigeninitiative von den Landesregierungen oft wieder zurückgepfiffen würden: In diesem Land „wird Mut nicht belohnt.“

Die „völlige Abwesenheit von Bildungspolitik“ während der Corona-Zeit ärgerte auch Harald Welzer, der dadurch „katastrophale Folgen für die Gesellschaft“ befürchtete: „30 Prozent der Jugendlichen werden sich verabschieden“, zitierte der Soziologe eine Studie. Das seien überwiegend männliche Teenager aus prekären Verhältnissen. „Mädchen tun sich offenbar leichter, selbstorganisiert zu lernen“, fügte er hinzu.

Auch er befürwortete die Entwicklung einer europäischen Digital-Plattform, um nicht weiter von amerikanischer oder chinesischer Software abhängig zu sein. Die Digitalisierung durchdringe alle Bereiche. „Wir müssen gesellschaftlich diskutieren, was wir damit wollen.“

„Markus Lanz“: Wie wollen wir nach Corona leben?

Viele Ideen und Impulse wurden an diesem Dienstag in der Talkshow ausgetauscht. Wie werden wir nach Corona leben, woran werden wir uns erinnern, wenn die Pandemie vorbei sein wird?

Ende Juni, da die Urlaubszeit vor der Tür steht oder die Ferien zum Teil schon begonnen haben, war Zeit für eine Zwischenbilanz. Ganz ohne Politik-Vertreter, dafür mit drei Frauen und nur einem Mann ging es in der Runde – sehr konstruktiv und sachorientiert – um die Zukunft, und hauptsächlich um Bildung, Kinder und Soziales.

Das Gute, was die Pandemie gebracht habe – da waren sich alle einig – war die gemeinschaftliche Erfahrung, „dass wir uns umstellen können“. Wer hätte vorher erwartet, dass ein Großteil der Menschen bereit war, in kürzester Zeit das Verhalten zu ändern – Sozialkontakte zu reduzieren, Abstandsregeln zu befolgen, sogar auf das Händeschütteln bei der Begrüßung zu verzichten.

Corona: Polarisierung fortgeschrittener als vermutet

„Jetzt aber ist wieder mehr Spaltung in der Gesellschaft erkennbar, mehr Reibung“, diagnostizierte Susanne Schreiber, seit letztem Jahr Mitglied des Deutschen Ethikrats. „Da sollten wir sehen, wie wir wieder zusammenfinden.“

So einfach wird das nicht. Die Polarisierung ist weiter fortgeschritten, als selbst Markus Lanz nach unzähligen Corona-Talks vermutet hätte. Das musste auch die Professorin der Humboldt-Universität Berlin eingestehen: „Das hat auch damit zu tun, dass die Menschen so unterschiedlich betroffen waren.“

Mitten in der Krise war keine Zeit, sich um einzelne Belange zu kümmern, erläuterte sie. Dazu kam, dass zwischendurch „viel Vertrauen in staatliche Institutionen verloren ging, weil die Kompromissentscheidungen der Politik so schlecht kommuniziert wurden.“ Ein gesamtgesellschaftliches Projekt, wie zum Beispiel mehr Chancengleichheit für Kinder und Jugendliche zu erreichen, wünschte auch sie sich.

Pandemie: „Gleichgültigkeit gegenüber Familien“

Julia Friedrichs, WDR-Mitarbeiterin und Autorin vieler Sozialreportagen, beklagte vor allem die „Gleichgültigkeit gegenüber Familien“, die während der Pandemie völlig alleine gelassen worden seien. „Nicht jeder hatte ein Haus mit Garten“, begründete sie, viele hätten Homeschooling und Homeoffice mit vier Personen auf 70 Quadratmetern koordinieren müssen. Strukturen, um Probleme aufzufangen, habe es nicht gegeben. Und auch jetzt „gehen die Starken an ihren Platz zurück. Und die anderen müssen alleine zusehen, wie sie mit den Narben umgehen“.

Die ohnehin schon prekäre Lage der Einkommensschwachen beschrieb sie ausführlich in ihrem neuen Buch „Working Class – Warum wir Arbeit brauchen, von der wir leben können“. Zum Beispiel die Nöte der beiden freiberuflichen Musiklehrer, die 110 Schüler an sechs verschiedenen Musikschulen unterrichteten mussten – weil ihre kommunalen Arbeitgeber befürchteten, sie würden sich sonst in eine Festanstellung einklagen.

Oder die Lage des Familienvaters, der für 10,56 Euro Mindestlohn die Berliner U-Bahnhöfe reinigt, aber sein Ticket selbst zahlen muss – weil er von der BVG an eine Fremdfirma ausgelagert wurde und damit nicht mehr zur Belegschaft gehörte.

Armut: Kein Geld für eine kaputte Waschmaschine

Mehr noch als sinkende Löhne und Kostensteigerungen, die auf diese Einkommensgruppe voll durchschlügen, habe die Zerteilung der Arbeitsstrukturen existenzielle Folgen, erläuterte sie. Ohne einen festen Arbeitgeber sei zum Beispiel auch das „Prinzip des Hocharbeitens“, nach dem unqualifizierte Arbeiter in den 80er Jahren noch aufsteigen konnten, nicht mehr möglich.

So könnten viele Familien inzwischen überhaupt kein Vermögen oder einen einen Puffer aufbauen, und würden auf Dauer die Zuversicht in die Zukunft verlieren. Nur noch die Hälfte könne „die bescheidene Variante des American Dream, die in Deutschland ,unsere Kinder sollen es einmal besser haben‘ hieß“ einlösen.

„Dieses Versprechen müssen wir wieder glaubhaft machen“, plädierte die Autorin und unterlegte ihre Forderung mit ein paar eindrucksvollen aktuellen Zahlen: Ein Viertel aller Arbeitnehmer wäre demnach nicht mehr in der Lage, spontanen Ausgabe von 1000 Euro aufzubringen, um beispielsweise eine kaputte Waschmaschine zu ersetzen.

Gleichzeitig hätten die Millionäre auch von der Pandemie wieder profitiert: „Fünf Prozent der reichsten Deutschen besitzen soviel wie der ganze Rest.“

„Markus Lanz“ – So liefen die vergangenen Sendungen