Berlin. Der “Lanz“-Talk entwickelte sich zur Generalabrechnung mit der Corona-Politik: Waren die Pandemie-Maßnahmen zum Scheitern verurteilt?

Hätten wir es machen sollen wie Taiwan? Mit einer App, die via GPS zeitlich befristet zwei Wochen lang staatlich überwacht, ob eine Quarantäne eingehalten wird. Und falls nicht, das Fehlverhalten dann sanktioniert mit harten Strafen und öffentlicher Anprangerung, dass sich diese Person "unverantwortlich" verhalten habe? Für die "Zeit Online"-Redakteurin Vanessa Vu, an diesem Donnerstag Gast bei "Markus Lanz“, waren solche Maßnahmen "null autoritär".

Im Gegenteil: Zusammen mit der Bevölkerung entwickelt, zeigten die Maßnahmen eine hohe Akzeptanz und ermöglichten den Taiwanesen inzwischen "ein ganz normales Leben mit geöffneten Restaurants und starkem Inlandstourismus“, berichtete die Tochter vietnamesischer Eltern. Tatsächlich meldete Taiwan bislang weniger als 1000 Infizierte.

"Markus Lanz" – Das waren die Gäste:

  • Stephan Weil (SPD), Ministerpräsident Niedersachsens
  • Markus Feldenkirchen, Journalist
  • Vanessa Vu, Journalistin
  • Dr. Wiebke Nehls, Palliativmedizinerin

"Markus Lanz": Generalabrechnung mit der Politik der letzten elf Pandemie-Monate

Markus Lanz fand die Idee "ganz smart". "Aber ich wundere mich", fuhr Vanessa Vu fort, "dass die Erkenntnisse der Wissenschaft in Deutschland nicht umgesetzt werden, sondern man weiter auf Eigenverantwortung setzt."

Der "Schwarze Peter" ging an Stephan Weil, der als Ministerpräsident von Niedersachsen quasi stellvertretend für seine Kollegen hier im Kreuzfeuer stand.Bei den anwesenden Medienvertretern hatte sich Frustration aufgestaut. Der "Lanz"-Talk vom Donnerstag, der sicher nicht zu den besten gehörte, entwickelte sich fast zu einer Generalabrechnung mit der Politik der letzten elf Pandemie-Monate.

Stephan Weil (SPD), Ministerpräsident Niedersachsens.
Stephan Weil (SPD), Ministerpräsident Niedersachsens. © dpa | Julian Stratenschulte

Stephan Weil gab Schwachpunkte zu: Bei den Alten- und Pflegeheimen könne er immer noch nicht sagen, warum sie immer noch so oft zu Hotspots werden würden. Bei den Schulen, wo er weiter lieber "halbe Klassen" gesehen hätte, als die Präsenzpflicht aufzuheben. Bei den Gesundheitsämtern, wo die IT-Schnittstellen noch nicht überall richtig zusammenpassten, um die Infektionszahlen so zuverlässig wie gewollt an das RKI zu übermitteln.

Dann musste er auch noch den Verdacht ausräumen, dass in Niedersachsen den Einladungen zur Impfung der Datenschutz im Wege stehe. Nur deshalb habe er für 30.000 Euro Adressdaten von einer DHL-Tochter einkaufen lassen, um die 210.000 Über-80-Jährigen schneller und doppelt gesichert anschreiben zu können: "Bei 400 Einwohnermeldeämtern hätte das zu lange gedauert", erklärte er.

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Der Abend hatte viele kontroverse Themen zu bieten. Zu viele unterschiedliche Botschaften auch – nicht bloß darüber, wie einig sich die beratenden Experten selbst über ihre vorgeschlagenen Maßnahmen wären. "Die Zero-Covid-Strategie ist nur eine Schule, andere Wissenschaftler sehen das anders", korrigierte Weil.

Dabei war doch gerade die widersprüchliche politische Kommunikation, wie sie sich nach der letzten Ministerpräsidentenkonferenz vom Dienstag beispielhaft am Thema Schule entzündet hatte, einer der Hauptkritikpunkte des Abends.

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"Diese kleinschrittige Kommunikation ist in einer Krise eher kontraproduktiv", sagte Vanessa Vu und verwies auf den Erfolg asiatischer Länder, die vor allem "mit klaren, einheitlichen Aussagen" das Virus sehr effektiv in den Griff bekommen hätten.

Da fiel ihr Markus Feldenkirchen vom "Spiegel" auch schon in den Rücken: "Wir leben in einer pluralistischen Gesellschaft", verteidigte er die unterschiedlichen Einschätzungen verschiedener Politiker und mochte "das Bedürfnis nach autoritären Ansagen" nicht verstehen: "Was ist schlimm daran, wenn die Grundschulpraxis in Niedersachsen etwas anders aussieht als die in Bayern?"

Jens Spahn: Schuld an Impfstoff-Engpässen?

Stattdessen hatte er grundsätzliche Kritik anzubringen, an "Ambitionslosigkeit und Bräsigkeit", die sich jetzt rächen würde. Gerade im Sommer und Herbst habe man wahnsinnig viele Fehler gemacht: "Das waren verschenkte Monate. Seitdem hangeln wir uns von Verschärfung zur Verschärfung, ohne dass die Gesamtsituation besser wird."

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Ihm zufolge passierte dasselbe bei der Bestellung des Impfstoffes: Nur weil die EU zu knauserig und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn zu zaghaft gewesen wären, würden uns nun die Impfdosen fehlen. Das Problem auf die geringen Produktionskapazitäten zu schieben, wäre bloß eine Nebelkerze, schimpfte er: "Wenn früher mehr bestellt worden wäre, hätten sich die Produzenten auch früher um ihre Produktionsstätten gekümmert."

Gesundheitsminister Jens Spahn.
Gesundheitsminister Jens Spahn. © dpa | Daniel Karmann

Als sich die Palliativmedizinerin Wiebke Nehls nach geschlagenen 40 Minuten ungefragt in die Generalabrechnung einschaltete, klang das wie ein Beschwichtigungsappell: "Es ist vielleicht richtig, dass wir uns so viel damit beschäftigen, wie wir da wieder rauskommen. Aber wir sollten auch analysieren, wie wir den Menschen gerecht werden, die von Corona betroffen sind", schlug sie vor und bemängelte zu wenig Aufmerksamkeit für deren Lage.

Sicher. Aber nicht sofort – da ließ sich Markus Lanz beim vorgeplanten Ablauf nicht beirren. Erst noch wollte er von dem Ministerpräsidenten eines Automobillandes – mehr rhetorisch – wissen, ob die Wirtschaft in der aktuellen Lage nicht doch ganz heruntergefahren werden sollte. Natürlich nicht. Bei Produktionsverboten für die Industrie wären die Kosten wesentlich höher, erklärte der und plädierte für mehr Homeoffice auf freiwilliger Basis, also wieder in Eigenverantwortung.

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Als Wiebke Nehls dann endlich dazu kam, aus ihrem Alltag an einem Berliner Klinikum zu berichten, war die Sendung schon fast vorbei. Um Schmerzen müsse sich heute kein Sterbender sorgen, beruhigte sie Markus Lanz, der es nun genau wissen wollte. Palliativ-Versorger seien geschult, Leid zu erkennen – sei es Angst, Schwäche, Luftnot – und könnten passend dazu über die Therapie entscheiden, erklärte sie.

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Die Lage der Patienten sei aus einem anderen Grund schlimm: Schwerstkranke mit Covid-19 müssten genauso wie an Covid Erkrankte isoliert werden. "Sie sterben jetzt einsamer." Denn auch die Angehörigen könnten sie nur in Vollmontur besuchen, um sich selbst nicht zu gefährden. Deshalb würden Sterbende nun oft ein letztes Gespräch mit ihren Angehörigen, "eine letzte Liebesbotschaft", über Videophonie führen.

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