Berlin. Die Corona-Beschränkungen werden gelockert, dennoch demonstrieren tausende Menschen. Markus Lanz versuchte das Phänomen zu ergründen.

Es brodelt. Frust hat sich angestaut. In vielen deutschen Städten gehen tausende Menschen auf die Straße. Sie fordern ein Ende der Corona-Beschränkungen, eine Rückkehr zur Normalität. „Das ist eine bedenkliche Entwicklung“, sagte der Hamburger Bürgermeister Peter Tschentscher am Dienstagabend bei Markus Lanz.

Und damit meinte der SPD-Politiker nicht etwa die berechtigte Sorge von Menschen um Bürgerrechte. Sondern die Zusammensetzung des Protests. Eine „breite Mischung“ hat Tschentscher ausgemacht: von Bürgerrechtlern über Impfgegner bis hin zu Rechtsextremen. Die Demonstrationen fallen ausgerechnet in eine Phase, in der die Politik schon längst mit Lockerungen begonnen hat.

„Markus Lanz“: Peter Tschentscher hätte vorsichtiger gelockert

Der Hamburger Bürgermeister gehört zum Kreis der Länderchefs, die sich dabei für ein vorsichtiges, einheitliches Vorgehen ausgesprochen haben – und die letztlich überstimmt wurden. Jetzt kocht jedes Bundesland sein eigenes Süppchen. Und Tschentscher schmeckt das nicht, wie er unumwunden zugab.

Es habe Länder gegeben, die sich „nicht an Verabredungen gehalten haben“, sagte der studierte Mediziner bei Markus Lanz. Jetzt habe man die Situation, dass der Besuch von Fitnessstudios in Schleswig-Holstein erlaubt sei. Und in Hamburg verboten. „Das wird einem natürlich sofort vorgehalten“, stöhnte Tschentscher.

Selbst für fachkundige Beobachter ist nicht ganz klar, was in welchem Bundesland erlaubt ist – und was nicht. „Man hat den Überblick verloren“, sagte die Politik-Journalistin Kristina Dunz von der „Rheinischen Post“. Die Länderchefs hätten das Kommando übernommen und damit den Bund und Kanzlerin Merkel ein Stück weit entmachtet. Sie tragen nun die Verantwortung. Auch wenn’s schief geht.

Corona-Demos: Wer ist da auf der Straße?

Der Flickenteppich an Regelungen mag verwirrend und zum Teil auch widersprüchlich sein. Doch die Dynamik des aktuellen Protestgeschehens erklärt er nicht. Auch die Runde bei Markus Lanz blickte mit Sorge darauf. „Es gibt berechtigte Anliegen“, sagte Reporterin Dunz zwar. So sei es legitim, gegen die Einschränkung der Grundrechte die Stimme zu erheben. Die Gefahr der rechten Übernahme sei dennoch real.

Es gebe starke Sympathien aus der AfD-Spitze für Teile der Demonstranten. „Wenn sich da Rechtsextreme tummeln, wäre für mich Feierabend“, stellte Sebastian Fiedler, Chef des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, klar. Die Mitte der Gesellschaft müsse die Extremisten zurückweisen – auch auf der Straße. Aktuell seien es die Rechten, doch auch von linker Seite, so Fiedler, habe es schon Versuche gegeben, Proteste zu unterwandern.

RKI-Forscher: In der Gesellschaft gibt es eine „Grundwut“

Dass eine kleine, aber laute Minderheit den Diskurs schnell vergiften kann, spürt aktuell auch die Wissenschaft. Plötzlich erhalten Experten wie der Virologe Christian Drosten von der Charité Morddrohungen. „Das macht mich traurig“, sagte der Physiker Dirk Brockmann, der für das Robert Koch-Institut Vorhersagesysteme für die Ausbreitung von Epidemien entwickelt. Sein Eindruck sei, dass es in der Gesellschaft eine „Grundwut“ gebe, die sich durch Corona verstärkt. Die Forschung werde dabei von einigen zum Feind erklärt.

Dabei haben auch die Virologen nie behauptet, alles zu wissen. Brockmann sagte, dass auch er zunächst unsicher gewesen sei, ob Corona überhaupt den Sprung aus China hinausschafft – oder ob die harten Maßnahmen in Wuhan, also der Stadt, in der Covid-19 zuerst auftauchte, ausreichen, um die Verbreitung zu stoppen. Das Virus sei neu und zu vieles noch unbekannt – bis heute.

Zum Thema Grenzschließung hatte der Wissenschaftler dennoch eine klare Meinung. Eine solche Maßnahme sei nur bei lokalen Ausbrüchen sinnvoll. Wenn das Virus aber überall grassiert, sei sie nutzlos.

Polizist: Kriminalitätsstatistik 2020 wird wenig aussagen

Auch Kriminalkommissar Sebastian Fiedler zeigte wenig Verständnis für gebundene Polizeikräfte an den Grenzen. Allerdings aus anderen Gründen: Die Beamten fehlten an anderer Stelle, sagte er. Mit Blick auf die Sicherheitslage warnte Fiedler vor zu viel Optimismus. Corona werde das Verbrechen nicht verdrängen. Die Aussagekraft der Polizeistatistik fürs Jahr 2020 werde gering sein.

Wenn es kein Fußball gibt, sei auch die Wahrscheinlichkeit einer Kneipenschlägerei niedriger, so Fiedler. Und wenn die Menschen zu Hause blieben, schrecke das Einbrecher ab – mit der Folge, dass die offiziellen Zahlen der Einbruchsstatistik sinken. „Wir haben Sondereffekte“, sagte der Experte.

So wurde die Corona-Krise bisher bei „Markus Lanz“ diskutiert: