Berlin. Bei „Maybrit Illner“ trafen Lockerungsskeptiker auf eine Befürworterin. Beide hatten gute Argumente, doch eine Sicht war plausibler.
Weitere Lockerungen und Warnungen vor der zweiten Welle: In Deutschland scheiden sich die Geister, wie weiter mit der Corona-Krise umgegangen werden sollte. „Geht das alles zu schnell, oder ist es höchste Zeit?“, wollte am Donnerstagabend auch Maybrit Illner von ihren Gästen wissen.
Diskutiert wurde das Thema von Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD), Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU), der Ethikerin Alena Buyx sowie den Journalisten Rafaela von Bredow und Ranga Yogeshwar.
Die Lockerungsskeptiker
Sehr skeptisch sah von Bredow die Entwicklungen. „Es wird sich erst in drei oder vier Wochen zeigen, was wir angestellt haben“, sagte die Wissenschaftsjournalistin des „Spiegel“, auch wenn wir eigentlich schon jetzt erste Folgen der Geschäftsöffnungen sehen müssten. Es sei unverständlich, dass bereits jetzt so umfassend gelockert werden. „Wäre es nicht schlauer gewesen, die R-Zahl noch viel weiter zu senken?“ Dann wären Lockerungen weitaus weniger riskant gewesen.
Skeptisch zeigte sich auch Ranga Yogeshwar. Grundsätzlich sei es sinnvoll, dass jetzt verstärkt lokal und regional auf die Entwicklung geschaut werde. „Aber niemand ist bereit, den Ast abzusägen, auf dem er sitzt“, warnte der Moderator. Auf den Beamten in den Gesundheitsämtern laste nun der immense Druck, möglicherweise einen Lockdown nach dem Lockdown für ihre Region herbeiführen zu müssen.
Die Lockerungsbefürworterin
Das waren plausible Argumente. Doch Alena Buyx hatte gute Erwiderungen parat. Man könne die sozialen und wirtschaftlichen Schäden nicht einfach beiseiteschieben, warnte das Mitglied des Ethikrates. „Der Konflikt besteht weiter und wird immer drängender.“ Schließlich würden auch Grundrechte beschnitten. „Es besteht eine Pflicht, vorsichtig zu öffnen.“
Zugleich machte Buyx deutlich, wie komplex die Abwägung im Detail ist. „Die Großen sind stärker als die Kleinen“, sagte sie mit Blick etwa auf die Lobbykraft der Konzerne – und die Ohnmacht der Freiberufler. Auch gebe es einige verquere Vergleiche, etwa das Kinder nicht in die Kita dürfen, die Bundesliga aber spiele. Doch genau um solche Wahrnehmungen gehe es: Diese müssten diskutiert und mit klaren Regeln gehandhabt werden.
Die Politik ist in der Bredouille
Das klang tatsächlich nach einem vernünftigen Mittelweg. Für die Politik ist das aber eine Herausforderung. „In der ersten Phase war es sehr einfach“, sagte dazu Yogeshwar. Da habe das Vorgehen der Politik mit der Risikowahrnehmung der Menschen übereingestimmt.
Nun aber ist das nicht mehr so. Der Druck sei immens, weil die Zahlen eine trügerische Ruhe suggerierten. Dabei gelte: „Wir sind nicht am Ende, wir sind am Anfang der Pandemie.“
Der Föderalismus als Gefahr
Eine große Dynamik kriegt dieser Zustand, weil die Bundesländer die Hoheit über das Vorgehen haben. Das bedeutet: 16 potenzielle Reaktionen auf neue Entwicklungen. „Ich habe nicht den Ehrgeiz, deutscher Lockerungsmeister zu sein“, sagte dazu Stephan Weil, SPD-Ministerpräsident von Niedersachsen.
Zugleich kritisierte er indirekt wiederholt manche seiner Amtskollegen. „Einige Sachen hatten keine lange Gültigkeitsdauer“, sagte Weil mit Blick auf das Vorpreschen einiger Bundesländer bei den Lockerungen.
Das Fazit
Wie viel Lockerungen sind vernünftig? Der Konflikt um diese Frage ist nicht neu – und er wird bleiben. Trotzdem war diese Ausgabe von „Maybrit Illner“ sehenswert, weil sie deutlich machte, dass sich das Dilemma kaum auflösen lassen wird. Es gilt vielmehr: Hinterher werden wir schlauer sein; für den Moment aber muss man sich auf ein umkämpftes Vor und Zurück einstellen, das wohl monatelang dauern wird.
Zur Ausgabe von „Maybrit Illner“ in der ZDF-Mediathek
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