Berlin . Die Universitätsstadt Göttingen hat mit einem verstörenden „Tatort“ Premiere. Es ging um unentdeckte Schwangerschaft und Kindstötung.

Beschauliche Fachwerkhäuser, viel Natur und vor allem jede Menge fahrradfahrende Studenten: In ihrem 26. Fall hat es die bisherige „Tatort-Hannover“-Kommissarin Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) in die südniedersächsische Studentenstadt Göttingen verschlagen. Der Aufenthalt könnte sich für sie länger gestalten.

Denn der neue „Tatort“ konnte nicht nur mit einem bedrückenden und intensiven Thema überzeugen. Auch die Quoten sprechen eine eindeutige Sprache: Zum Einstand hat er eine ordentliche Quote erreicht. 9,77 Millionen Zuschauer schalteten am Sonntagabend ein. Das entsprach einem Marktanteil von 26,5 Prozent.

Die wichtigsten Fragen und Antworten zum „Tatort: Das verschwundene Kind“.

„Tatort“ – Wie lief die Premiere in Göttingen?

Von der Stadt Göttingen bekommt man vor allem zu Beginn des „Tatorts“ Einblicke. Schnell ist klar: Hier dreht sich alles um die Universität, auch wenn man den Hauptcampus gar nicht zu sehen bekommt.

Die Studenten werden dabei direkt zu den besseren Ordnungshütern, zumindest bei Dingen, die ihnen heilig sind: Etwa, wenn Polizei-Generaldirektor Gerd Liebig (Luc Feit) am Bahnhof eine Reihe von Fahrrädern umkippt und von einem jungen Mann direkt über den Tatbestand der Sachbeschädigung aufgeklärt wird.

Charlotte Lindholms erster Impuls ist, dass sie aus der beschaulichen Kneipenstadt, in der abends Studenten feucht-fröhlich nach Hause torkeln, ganz schnell wieder weg möchte. Dass sie überhaupt in Südniedersachsen gelandet ist, verdankt sie ihrem letzten Fall.

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der 2016 ausgestrahlt wurde, lieferte sie sich eine ganze Reihe von Fehlern und wurde daher nun strafversetzt.

Neues Ermittlerduo: Anais Schmitz (Florence Kasumba) und Charlotte Lindholm ermitteln in Göttingen.
Neues Ermittlerduo: Anais Schmitz (Florence Kasumba) und Charlotte Lindholm ermitteln in Göttingen. © NDR/Christine Schroeder | NDR/Christine Schroeder

Wie funktionierte das neue Ermittler-Duo?

Maria Furtwängler verkörpert Charlotte Lindholm wieder einmal als intelligente, allerdings auch überhebliche Kommissarin, die direkt vor den neuen Kollegen feststellt: „Ich arbeite lieber alleine. Kommunikation ist nicht so mein Ding und Teamwork auch nicht.“ Auch habe sie ein Problem mit Kollegen, die nicht auf ihrem Niveau ermitteln würden.

Eindeutig unter ihrem Niveau sieht Lindholm zunächst ihre neue Kollegin Anaïs Schmitz (Florence Kasumba) an, die sie prompt mit einer Putzfrau verwechselt. Der Start ist verhagelt, die Zweierkonstellation von Beginn an hochgradig explosiv.

Florence Kasumba spielt Anaïs Schmitz überzeugend als knallharte Frau, die trotz mehrerer Therapien eine mangelnde Impulskontrolle hat und Charlotte Lindholm erstmal eine scheuert. Beidseitiger Anspruch zur Perfektion, übersprießendes Selbstbewusstsein und ein fies-höhnischer Zungenschlag: Gerade, weil es eigentlich ausgeschlossen ist, dass die beiden Alpha-Frauen miteinander funktionieren können, macht das neue Ermittler-Duo richtig Spaß.

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Worum ging es?

Auch wenn das neue Ermittler-Duo mit gegenseitigen Sticheleien für gute Laune sorgt, so bleibt am Ende doch ein bedrückender und verstörender Eindruck vom „Tatort“. Denn das Thema führt in menschliche Abgründe: Kindstötung , Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen und religiöser Fanatismus.

Die Neuntklässlerin Julija Petkow (Lilly Barshy) wird geschwängert, bemerkt aber nichts von ihrer Schwangerschaft. Die Reihe an Verdächtigen ist bezeichnend: Vertrauenslehrer Johannes Grischke (Steve Windolf), der eigene Vater (Merab Ninidze), der drogendealende Zwölftklässler Tim Bauer (Oskar Belton) und der Sporttrainer Ralf Schmölke (Oliver Stokowski). Es ist ein klassischer Fall: Missbrauchsopfer kennen ihre Peiniger meist.

Anais Schmitz (Florence Kasumba) stellt Johannes Grischke (Steve Windolf).
Anais Schmitz (Florence Kasumba) stellt Johannes Grischke (Steve Windolf). © NDR/Christine Schroeder | NDR/Christine Schroeder

Die Frage, ob es sich um sexuellen Missbrauch handelt, lässt sich eindeutig beantworten. Zwar ist Julija 15 Jahre alt und damit über dem Mindestalter, ab dem Sex nicht strafbar ist (das trifft bei Kindern unter 14 Jahren zu).

Sex mit minderjährigen im Alter von 14 bis 16 Jahren mit Personen, die älter als 21 Jahre sind, ist dann strafbar, wenn „die fehlende Fähigkeit des Opfers zur sexuellen Selbstbestimmtheit“ ausgenutzt wird. Das war im Fall der alkoholisierten Julija der Fall.

Bei der 15-jährigen Julija belässt es Regisseurin Franziska Buch aber nicht bei einem Missbrauch. Für den alleinerziehenden und strenggläubigen Vater sind die Töchter „Kuscheltiere“, zumindest so lange, bis Juliya „befleckt“ und daher von ihm verstoßen wird. Lehrer Grischke reagiert auf Liebesbriefe und dringt in Julijas Wohnung ein und Schüler Tim machte das junge Mädchen mit Drogen gefügig.

Auf sich gestellt: Nur auf ihren Halbbruder Nino (Emilio Sakraya) kann sich Julija (Lilly Barshy) verlassen.
Auf sich gestellt: Nur auf ihren Halbbruder Nino (Emilio Sakraya) kann sich Julija (Lilly Barshy) verlassen. © NDR/Christine Schroeder | NDR/Christine Schroeder

War das Thema realistisch?

Damit aber nicht genug. Julija bemerkt nichts von ihrer Schwangerschaft und gebärt auf der Schultoilette. Was erstmal weit hergeholt klingt, ist tatsächlich Realität. Rund 1600 Frauen pro Jahr bemerken ihre Schwangerschaft bis zur 20. Woche nicht, rund 270 Frauen merken erst bei der Geburt, dass sie schwanger sind. Betroffen sind vor allem sehr junge und sehr alte Frauen.

Dass die Schwangerschaft niemanden auffalle, hänge mit der Verdrängung zusammen, sagte die Medizin-Professorin Dr. Anke Rohde dem „NDR“: „Manche Frauen finden sich sowieso zu dick und schauen sich nie im Spiegel an, manche haben Gewichtsschwankungen und erklären ihren Bau mit übermäßigem Essen“.

Ebenfalls realistisch ist der aktuelle „Tatort“ beim Thema Tötung von Neugeborenen, in der Fachsprache Neonatizid genannt. Eine ausführliche Studie des Landeskriminalamts Nordrhein-Westfalen bemisst die Zahl der toten Säuglinge auf 20 bis 30 pro Jahr. Die Dunkelziffer liege wohl viel höher.

Wenn Mütter ihre Neugeborenen töten, dann handelt es sich zu 70 Prozent um Tod durch Ersticken. Vor allem junge Mütter unter 20 würden anschließend ihre Kinder in Mülleimern verstecken. Dort kann es vorkommen, dass sie unentdeckt bleiben, weshalb eine Dunkelziffer als realistisch gilt.

Neonatizid wird genauso wie andere Tötungsdelikte bestraft. Werden sie als Mord geahndet, müssen Jugendliche unter zehn Jahren mit einer Haftstrafe von maximal zehn Jahren rechnen. Dieses Strafmaß kommt aber selten vor, da der Tötung meist keine reine Mordabsicht zugrunde liegt – so auch im aktuellen „Tatort“.

Kommissarin Lindholm (Maria Furtwängler, mit Luc Feit und Florence Kasumba) macht einen grausamen Fund.
Kommissarin Lindholm (Maria Furtwängler, mit Luc Feit und Florence Kasumba) macht einen grausamen Fund. © NDR/Christine Schroeder | NDR/Christine Schroeder

Mit Maßnahmen wie Babyklappen und Adoptionsmöglichkeiten sollen Kindstötungen in Deutschland verhindert werden. Auch gibt es Hilfsangebote wie das Hilfe-Telefon „Schwangere in Not“ des Bundesamtes für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben.

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    Fest steht, dass im Sommer eine zweite „Tatort“-Folge aus Göttingen folgen wird. Aber vielleicht etabliert sich die Studentenstadt sogar als neue Stadt. Denn Charlotte Lindholm und Anaïs Schmitz harmonieren ausgezeichnet und wertschätzen sich letztlich sogar. Noch stärker aber dürfte das Argument wiegen, dass Christian Granderath von der NDR-„Tatort“-Redaktion bei der Premiere in Göttingen laut HNA verkündete: „Zwei Tatorte in Göttingen – das wäre zu wenig für Göttingen.“

    sieht das in Göttingen ganz anders aus. Maria Furtwängler und Florence Kasumba durften sich sogar im Goldenen Buch der Stadt verewigen. Es sieht so aus, als könnte ihr Aufenthalt in Göttingen länger dauern als ursprünglich gedacht.

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