Berlin. Ex-Handballer Stefan Kretzschmar wollte bei „Markus Lanz“ vor allem ein bisschen Absolution. Am Ende hatte er einen Kloß im Hals.
Am Mittwochabend war Ex-Handball-Star Stefan Kretzschmar zu Gast bei „Lanz“ im ZDF. Es war der erste TV-Auftritt, nachdem er in einem Interview vor ein paar Wochen für reichlich Wirbel gesorgt hatte. Er hatte sich kritisch zur Meinungsfreiheit in Deutschland geäußert.
„Welcher Sportler äußert sich denn heute noch politisch? Es sei denn, es ist die Mainstream-Meinung, mit der man nichts falsch machen kann. Eine gesellschafts- oder regierungskritische Meinung darf man in diesem Land nicht mehr haben“, sagte er vor ein paar Wochen zu T-Online.
Stefan Kretzschmar will bei Lanz aufräumen
Am Mittwochabend wollte Kretzschmar bei „Lanz“ nur eins: klarstellen, dass er das so mit der Meinungsfreiheit ja nie gesagt hat. Damit meinte der Ex-Handball-Star ein Interview, das zur Handball-WM für Aufregung gesorgt hatte und das bei vielen AfD-Anhängern gut ankam.
Was hatte die Geschichte für Wirbel gesorgt. Jetzt sollte aufgeräumt werden. Mehr nicht. Doch dann kam es dazu, dass der Ex-Handballer für Momente den Tränen nahe war, als er über einen Überfall auf ihn und einen Freund sprach. Markus Lanz war sichtlich berührt.
Kretzschmar – sehr, sehr unterarm-tätowiert – wirkte im Gespräch mit Lanz ein bisschen pseudo-entspannt. Eigentlich loderte da etwas in ihm. Er wollte das vom Tisch haben, diese Geschichte als völligen Krampf enttarnen.
Markus Lanz – das waren die Gäste:
- Stefan Kretzschmar, Ex-Handballprofi
- Marcel Reif, Journalist
- Anne Gesthuysen, Autorin
- Bastian Pastewka, Comedian
Kretzschmars Interview zur Meinungsfreiheit „verkürzt“
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– Unsinn, sagt er nun bei Lanz. Immer wieder fiel dieses Wort: „verkürzt“. Seine Äußerung in dem Interview vom Dezember, die zur
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wieder hochgejazzt wurde, sei sinnentstellend verkürzt worden. Hängen geblieben sei dann etwas, was er so in keinem Fall gemeint habe.
Dieses Erklären ist nicht neu, das macht Kretzschmar jetzt schon seit ein paar Tagen. Es lautet in etwa immer gleich: Er habe lediglich auf die ewige Fragen der Medien, warum es im Sport keine echten Typen mehr gibt, gesagt, dass Sportler nicht wirklich ihre Meinung sagen könnten.
Kretzschmars Auftritt hatte etwas vom Wunsch nach Absolution
Weil dann der Arbeitgeber oder die Werbepartner Ärger machen könnten. „Wer tut sich denn den Stress an?“ Er nennt ein Beispiel: „Ein Spieler von Bayern München kann doch nicht einfach sagen, dass ihm die Arbeitsbedingungen in Katar nicht gefallen!“
Ginge nicht, weil Katar Airways einer der größten Sponsoren der Münchner sei. Was denn mit seinem eigenen Sponsor sei nach dieser ganzen Aufregung um ihn, fragt Lanz. „Wie hat Puma reagiert?“ „Es gab keine Reaktion meines Sponsors“, sagt Kretzschmar.
Sein Auftritt hatte etwas von Reinwaschung und dem Wunsch nach Absolution. Aber Kretzschmar hatte auch Lust auszuteilen: die Medien, und am liebsten die sozialen Netzwerke, kriegten es ab.
Kretzschmar teilte aus – auch gegen die Medien
Der Ruf nach Typen im Sport sei erstens alt, zweitens komplett heuchlerisch und dem Wunsch entsprungen, „Skandale zu generieren“ und Klicks und Schlagzeilen sowieso. Sobald einer Ecken und Kanten zeige, würde er in eine Ecke gestellt „und entweder als Gutmensch oder als Nazi beschimpft“, wetterte er.
Ups.
Darauf stieg Lanz dann gleich ein. Denn neben der Debatte um das Interview zur Meinungsfreiheit kamen in den vergangenen Wochen auch andere Bemerkungen ans Licht, mit denen sich der ehemalige National-Handballer bei den Rechten ins Gespräch gebracht hatte.
Kretzschmar sagt, er sei instrumentalisiert worden und dann auch noch von der AfD. Der Grund: Sein Gerede von den Abgehängten, für die sich die Politik nicht mehr interessiere, kam gut an. Noch besser seine Darlegung, dass es eine Art Meinungsdiktat gebe. Als Beispiel dafür habe er „Wir sind bunt“ und „Refugees welcome“ genannt.
Ich? Ein Kleingarten-Nazi? Das ist grotesk
Kretzschmar, der „Handball-Punk“, der mal rote Haare und jede Menge Ohrringe trug, der in Berliner Kneipen verkehrte, in denen Punkbands ihre Unterschriften an den Wänden gekritzelt haben, sah diese Vereinnahmung vom rechten Rand nur als absurd an.
„Wenn man mich in diese Ecke stellt, als Kleingarten-Nazi, das ist grotesk und dann auch lustig. Ich kann mir im Traum nicht vorstellen, dass dieser Stempel meiner Person aufgedrückt wurde.“
Es hätte auch so stehen bleiben können. Doch da legte Lanz nach: „Du bist einmal von Nazis zusammengeschlagen worden“. Kretzschmar nickte. Das war ihm sichtlich unangenehm. Lanz fuhr fort: „Dein Freund ist dabei sogar umgekommen.“ Pause. „Und Du bist schwer verletzt worden.“ Stille bei Kretzschmar.
- Unappetitliches zum Abend:
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Markus Lanz kann auch empfindsam sein
Da half es auch nicht, dass Lanz erklärte, er wolle über das Thema eigentlich gar nicht lange reden. Kretzschmar war den Tränen nahe. Und auch die Stimme von Markus Lanz klang auf einmal belegt.
Der Ex-Handball-Star wurde als 16-Jähriger in Berlin von einer Gruppe Skinheads an einem U-Bahnhof zusammengeschlagen. Er war mit einem Freund unterwegs, der zu Tode geprügelt wurde. Kretzschmar verlor das Bewusstsein, überlebte aber.
Das war einer der Momente, für die es sich lohnt, so lange aufzubleiben. Eine ehrliche Bewegtheit, wie sie die Atmosphäre im Studio bestimmte, ist ungewöhnlich.
Man kann Lanz vieles vorwerfen. Dass er seine Fragen bisweilen für wichtiger hält als die Antworten. Aber er kann auch empfindsam sein, ohne dass es peinlich ist.
Es war einer dieser kleine Momente, in denen man denkt, jetzt kann alles passieren. Dass Kretzschmar nach Taschentüchern ruft oder einfach aufsteht und geht.
Aber er blieb sitzen. Und sah plötzlich müde aus. Er sieht wieder frischer aus, wenn er schimpft, aber er bleibt doch der ewige Unverstandene.
Markus Lanz in der Mediathek
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