„Anne Will“ wurde zur großen Solo-Show des Sigmar Gabriel
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Von Walter Bau
Berlin. Bei „Anne Will“ gab Ex-Außenminister Sigmar Gabriel den großen Europa-Erklärer - und ließ die anderen wie Statisten aussehen.
Die große Politik-Bühne steht Sigmar Gabriel seit seinem Abgang als Außenminister nicht mehr zur Verfügung - am Sonntagabend nutzte er die TV-Bühne für einen fulminanten Auftritt bei „Anne Will“ im Ersten. Immerhin 3,24 Millionen Zuschauer schalteten ein.
Das Thema „Der Brexit-Countdown – was bleibt von Europa?“ war wie gemacht für den einstigen Chef-Sozialdemokraten, den die „Bild“-Zeitung vor wenigen Tagen per Überschrift zum „SPD-Star“ erklärt hatte. Und Gabriel ließ sich nicht lange bitten und legte los:
Gabriel über britische Brexit-Politiker: „Eine ignorante politische Klasse. Sie sind machtversessen und -vergessen. Sie haben ein übles Spiel mit der Bevölkerung getrieben.“
Gabriel über die Rolle der EU: „Man muss den Briten mehr Zeit geben. Verhandeln. Man muss aufhören, die Bevölkerung vorzuführen und den Leuten nicht die Wahrheit zu sagen.“ Stattdessen wage man „das wahnsinnige Experiment, Europa in die Luft zu jagen. Unfassbar, was sich Europa da leistet“.
All das sagt Gabriel ohne dabei aufzubrausen, ohne Schaum vorm Mund. Betont souverän und abgeklärt gibt der Politik-Pensionär wider Willen den Elder Statesman, dem keiner mehr etwa vormacht.
Die Karriere von Sigmar Gabriel
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Der britische Botschafter Sir Sebastian Wood wagte angesichts Gabriels Solo nur gelegentlich zaghafte Einwürfe und auch die ARD-Journalistin Annette Dittert hatte keine Chance gegen Gabriels Sololauf. Allein Dirk Schümer, Europa-Korrespondent der „Welt“ gelang es ein, zwei Mal, Gabriels Redestrom zu bremsen. Aber der war ja noch lange nicht fertig.
Gabriel über die Zukunft der EU: „Das einzige Angebot“ an die Menschen in der Europäischen Union sei derzeit „die Rückkehr zu den Nationalstaaten“. Und die Briten mit ihrem Brexit und dem Plan, „die wirtschaftlichen Vorzüge zu genießen, aber die Verpflichtungen nicht einzuhalten“, servierten Europa den Populisten wie dem italienischen Lega-Chef und Innenminister Matteo Salvini „auf dem silbernen Tablett“.
Gabriel über sein Europa: „Ich glaube nicht an mehr Europa, sondern an ein anderes Europa. Europa wird scheitern, selbst mit den Briten, wenn wir die grundlegenden Probleme nicht lösen. Es wird darum gehen, dass wir dafür sorgen, dass die Menschen nicht ständig den Eindruck haben, dass sie von Europa nichts haben. Trauen wir uns zu, den Ursprungsgedanken der EU wieder zum Ziel zu machen: für alle bessere Lebensbedingungen.“
Gabriel über die deutsche Rolle: Es könne nicht sein, dass man, wie vor Jahren im Fall Griechenland, als Sparkommissar auftrete. „Wir dürfen nicht noch einmal anderen Ländern sagen, dass sie Renten und Pensionen und Löhne kürzen müssen“ - während man gleichzeitig nicht in der Lage sei, Steuervermeider und -hinterzieher angemessen zur Kasse zu bitten. „Es geht ziemlich unfair und ungerecht zu.“
Fazit: Politisch steht Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel nicht mehr in vorderster Front. Darunter leidet er erkennbar. Der Politik-Pensionär aus dem Harz würde offenbar gern weiter mitmischen. Unterhaltsam sind seine Auftritte jedenfalls allemal.