Berlin. Ein Jahr nach der Bundestagswahl versuchte Frank Plasberg eine vorläufige GroKo-Bilanz zu ziehen. Dabei gewann mal wieder: die AfD.

Jörg Meuthen war bisher nicht bekannt dafür, ein Herz für die Armen und Ausgestoßenen zu haben. Vor seiner Karriere in der Politik war der heutige AfD-Bundessprecher Professor für Volkswirtschaftslehre – eine Wissenschaft, in der Marktgläubigkeit noch immer groß geschrieben wird.

Und so ist es kein Wunder, dass Meuthen sich selbst zum wirtschaftsliberalen Flügel seiner Partei zählt. Doch wer deswegen bei Frank Plasberg am Montagabend – Thema: „Ein Jahr nach der Wahl: Verstehen die Bürger diese Regierung noch?“ – staatskritische Töne vom AfD-Bundessprecher erwartet hatte, sah sich getäuscht. Ausgerechnet auf dem Feld der Sozialpolitik führte Meuthen die Vertreter von Union und SPD vor.

Die „Hart aber fair“-Gäste vom Montagabend:

  • Michael Müller (SPD), Berliner Bürgermeister
  • Stephan Meyer (CSU), parlamentarischer Staatssekretär im Innenministerium
  • Jörg Meuthen (AfD), AfD-Bundessprecher
  • Sahra Wagenknecht (Die Linke), Fraktionschefin
  • Prof. Karl-Rudolf-Korte, Politikwissenschaftler

GroKo-Vertreter verlieren sich in Details

Mit dem parlamentarischen Staatssekretär im Innenministerium, Stephan Mayer (CSU), und Berlins Regierendem Bürgermeister Michael Müller (SPD) saßen lediglich Regierungspolitiker aus der zweiten Reihe in Plasbergs Runde.

Pflichtschuldig zählten beide die Erfolge der zuletzt so gebeutelten großen Koalition auf: Mietpreisbremse, Mütterrente und die geplante Grundrente, die dafür sorgen soll, dass langjährig Versicherte im Alter nicht auf Hartz-IV-Niveau abrutschen – mit durchschnittlich 80 Euro im Monat mehr.

„Ist das Ihr Verständnis von sozialer Gerechtigkeit?“, fragte Meuthen rhetorisch. „Nach 35 Beitragsjahren 80 Euro mehr?“. Darauf wussten die Regierungsvertreter keine überzeugende Antwort. Punkt für Meuthen.

Es war ein leichtes Spiel für den AfD-Mann, die Koalitionäre vorzuführen. Denn welche übergeordnete Idee diese Regierung hat, verrieten weder Mayer noch Müller. Beide referierten zwar kenntnisreich über die Details der Sozialpolitik, doch ein stimmiges Bild ergab sich daraus nicht.

Wohin mit dem Land? Was will Schwarz-Rot? Regieren um jeden Preis? Auch der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte bemängelte, dass der Koalition eine Vision fehle, sie drehe an Stellschrauben am Wohlfahrtsstaat. Mehr aber auch nicht.

Politologe wirft AfD „völkischen Sozialpopulismus“ vor

Sahra Wagenknecht hat mit „Aufstehen“ große Pläne.
Sahra Wagenknecht hat mit „Aufstehen“ große Pläne. © Getty Images | Sean Gallup

Und in diese Lücke stößt die AfD. Meuthen, dessen Partei noch immer kein Rentenkonzept hat, warf den Regierungsparteien vor, dass die soziale Ungleichheit im Land zunehme. „Die Schlangen an den Tafeln werden immer länger“, sagte er.

Solche Aussagen kennt man sonst von Sahra Wagenknecht, die mit ihrer

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große Pläne hegt. Die Linken-Fraktionschefin, die auch in der Runde saß, musste sogar zugeben, dass sie das Rentenkonzept von AfD-Rechtsaußen Björn Höcke nicht schlecht fände – wenn da nicht die Sache mit den Ausländern wäre. Höcke will das Rentenniveau auf 50 Prozent erhöhen, und geringe Renten aufstocken – bei Deutschen.

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    Politikwissenschaflter Korte bezeichnete das als völkischen Sozialpopulismus, dem eine Alternative aus der Mitte entgegen gesetzt werden müsse. Doch um eben jene Mitte steht es zur Zeit nicht gut. Union und SPD beharken sich gegenseitig, gerade die Sozialdemokraten scheinen an der eigenen Regierungsarbeit zu leiden.

    Dass Sahra Wagenknecht sich genüsslich die SPD vorknöpfte und ihr – wie immer – Sozialabbau vorwarf, ist nichts Neues. So oder so ähnlich äußert sich die linken Politikerin immer – egal, wie es gerade um die GroKo bestellt ist.

    Dass kein direkter Vertreter der Regierung teilnahm, war übrigens keine Absicht: Eigentlich war vorgesehen, dass Justizministerin Katharina Barley an der Diskussion teilnimmt. Doch die SPD-Politikerin musste wegen Krankheit absagen. Dafür nahm Berlins Bürgermeister Michael Müller Platz.

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    Karl-Rudolf Korte, Politikwissenschaftler.
    Karl-Rudolf Korte, Politikwissenschaftler. © dpa | Karlheinz Schindler

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    Niemand in der Runde widersprach.

    Die komplette „Hart aber fair“-Sendung gibt es in der Mediathek.