Berlin. Die Gewalt im Nahen Osten eskaliert – mal wieder. Bei „Hart aber fair“ ging es um Israel. Und ein Phänomen, dem nicht beizukommen ist.

Schon das Zuhören ist niederschmetternd. Die eingeritzten Hakenkreuze auf der Schulbank, Hundekot im Briefkasten. Und dann dieser Satz eines Mitschülers: „Ey, weißt du, dass Dachau nicht weit weg von hier ist?“. Der Sänger Gil Ofarim hat als Kind erfahren, wie tief Antisemitismus noch immer in Deutschland verwurzelt ist. „Meine Heimat ist München, aber vielleicht gehe ich eines Tages nach Israel“, sagte er am Montagabend bei „Hart aber fair“. Denn: „Israel ist das einzige Land, wo wir nicht beleidigt und verfolgt werden“, so Ofarim.

Der jüdische Staat feiert in diesen Tagen sein 70-jähriges Bestehen. Und wer Betroffenen von antisemitischen Übergriffen zuhört, kann verstehen, welche Bedeutung Israel als Schutzversprechen für sie hat.

Doch mit dem Umzug der US-Botschaft nach Jerusalem flammt auch der Nahostkonflikt wieder auf. Im Gazastreifen eskaliert die Gewalt. Auch in Deutschland häufen sich schon länger antisemitische Übergriffe – wie die, von denen Gil Ofarim bei „Hart aber fair“ berichtete.

"Ich möchte nicht, dass mein Kind Judensau genannt wird"

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    Statt Politikerphrasen: Betroffene berichten

    „Wie kann das noch sein:

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    ?“, fragte Frank Plasberg seine Runde. Diesmal aber diskutierten nicht Politiker über ein Phänomen, dem anscheinend einfach nicht beizukommen ist, sondern Betroffene und Experten. Das gab der Sendung einen über weite Strecken konstruktiven Dreh.

    Keine Alice Weidel von der AfD, die plötzlich ihr Herz für Juden entdeckt, um vor muslimischen Einwanderern zu warnen. Kein CSU-Politiker, der mit schrillen Tönen die absolute Mehrheit in Bayern verteidigen will. Stattdessen Gäste wie Gil Ofarim und die Kommunikationsberaterin Melody Sucharewicz, die – beide in München aufgewachsen – davon erzählten, wie es sich anfühlt, immer wieder am Pranger zu stehen. Vom Gefühl, nicht dazu zu gehören und von dem vermeintlichen Makel Religionszugehörigkeit. „Es gibt keinen Juden, der nicht immer wieder solche Erlebnisse macht“, sagte Sucharewicz.

    Israel feiert 70 Jahre Unabhängigkeit

    Feuerwerk auf dem Rabin-Platz in Tel Aviv. Israelis feiern den 70. Unabhängigkeitstag des jüdischen Staates – mit einer riesigen Strandparty, Lichtshows und Konzerten.
    Feuerwerk auf dem Rabin-Platz in Tel Aviv. Israelis feiern den 70. Unabhängigkeitstag des jüdischen Staates – mit einer riesigen Strandparty, Lichtshows und Konzerten. © dpa | Oded Balilty
    Feiernde in der südisraelischen Stadt Ashkelon.
    Feiernde in der südisraelischen Stadt Ashkelon. © REUTERS | AMIR COHEN
    In Jerusalem versammelten sich am Mittwoch Tausende Menschen zur Feier der Unabhängigkeit.
    In Jerusalem versammelten sich am Mittwoch Tausende Menschen zur Feier der Unabhängigkeit. © REUTERS | RONEN ZVULUN
    Neben Feuerwerken, Tänzen und Fackelzeremonien soll es auch eine Flugschau der israelischen Luftwaffe geben.
    Neben Feuerwerken, Tänzen und Fackelzeremonien soll es auch eine Flugschau der israelischen Luftwaffe geben. © REUTERS | AMIR COHEN
    Ein Ballonverkäufer in Ashkelon.
    Ein Ballonverkäufer in Ashkelon. © REUTERS | AMIR COHEN
    Israelische Kinder besprühen sich während der Feierlichkeiten in Ashkelon mit Schaumspray.
    Israelische Kinder besprühen sich während der Feierlichkeiten in Ashkelon mit Schaumspray. © REUTERS | AMIR COHEN
    Am Tag vor der Feier gedachte der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu auf dem Militärfriedhof Herzlberg der Opfer des Unabhängigkeitskrieges.
    Am Tag vor der Feier gedachte der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu auf dem Militärfriedhof Herzlberg der Opfer des Unabhängigkeitskrieges. © REUTERS | POOL
    Eine heilige jüdische Schriftrolle wird im Museum in Or Yehuda ausgestellt.
    Eine heilige jüdische Schriftrolle wird im Museum in Or Yehuda ausgestellt. © REUTERS | AMIR COHEN
    Die Feierlichkeiten, die am Mittwochabend begannen, sollen 70 Stunden dauern und bis Samstagabend gehen. Während des Sabbats von Freitagabend an gibt es eine Ruhepause.
    Die Feierlichkeiten, die am Mittwochabend begannen, sollen 70 Stunden dauern und bis Samstagabend gehen. Während des Sabbats von Freitagabend an gibt es eine Ruhepause. © REUTERS | AMMAR AWAD
    Gefeiert wird auf Partys am Strand und bei Straßenfesten wie in Tel Aviv, Jerusalem und Ashkelon.
    Gefeiert wird auf Partys am Strand und bei Straßenfesten wie in Tel Aviv, Jerusalem und Ashkelon. © REUTERS | AMIR COHEN
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    Gibt es einen arabischen Minderwertigkeitskomplex?

    Doch woher kommt Antisemitismus, diese gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit? Frank Plasberg zitierte eine Umfrage, wonach 40 Prozent der Deutschen der Aussage zustimmten, dass die Politik Israels ein Grund sei, etwas gegen Juden zu haben. Da ist es also wieder, das triefende antisemitische Klischee: Die Juden sind selbst Schuld am Antisemitismus.

    Zumindest mit Blick auf den Nahen Osten sagte der ehemalige ZDF-Korrespondent Dietmar Ossenberg, dass es im arabischen Raum einen „Minderwertigkeitskomplex“ gebe. Israel werde für das eigene Scheitern verantwortlich gemacht. „Der Antisemitismus gehört zur Staatsräson“, so der Journalist. Trotzdem, und da ist sich Plasbergs Runde einig, gibt es keine Alternative zur Aussöhnung zwischen Israel und seinen Nachbarn.

    Die

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    , die US-Präsident Trump als großen Erfolg ansieht, könnte dem aber im Wege stehen – das glaubt zumindest der Autor und Publizist Uwe-Karsten Heye. „Israel ist an einer Friedensordnung, die Palästina mit einbezieht, nicht interessiert“, sagte Heye. Unterstützung erhielt er von Dietmar Ossenberg, der mit dieser Entscheidung den Friedensprozess „endgültig begraben“ sieht.

    Jubel und Wut: US-Botschaft in Jerusalem eröffnet

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      Jerusalem hat Jahrtausende alte jüdische Tradition

      Doch diese Argumente ließ Melody Sucharewicz, die schon als Sonderbotschafterin für Israel tätig war, nicht gelten. Schließlich habe jeder souveräne Staat das Recht, seine Hauptstadt frei zu wählen – und Jerusalem habe eine 3000-jährige jüdische Tradition. „Es ist ein Symbol für die Palästinenser: Die Uhr tickt. Es ist der Moment, an den Verhandlungstisch zurück zu kommen“, sagte sie.

      Mit jedem Thema, die Moderator Plasberg in den 75 Minuten anriss, hätte man eine ganze Sendung füllen können. 70 Jahre Israel, die Gewalt im Gazastreifen, die antisemitischen Übergriffe in Deutschland, importierten und bestehenden Antisemitismus: Darüber lässt sich trefflich diskutieren.

      Doch auch wenn für Tiefe wenig Platz war, zeigte die Sendung doch, dass ein emotionales Thema sachlich – und vor allem ohne Ressentiments – diskutiert werden kann. Oder, wie es die Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor ausdrückte: Antisemitismus ist kein Problem der Juden. Es geht uns alle an.

      Zur Ausgabe von „Hart aber fair“ in der ARD-Mediathek