Washington. Erneut schockt eine Bluttat an einer Schule die USA – und sorgt für Kritik an den Waffenrechten. Hat die Tat dieses Mal Konsequenzen?

Eine Tat, die für Fassungslosigkeit sorgt: Im US-Bundesstaat Texas hat ein schwerbewaffneter 18-Jähriger eine Grundschule gestürmt und mindestens 19 Kinder und zwei Erwachsene getötet. Einmal mehr steht das gesamte Land unter Schock – und einmal mehr werden Diskussionen um schärfere Waffengesetze laut. Wann gibt es eine Kursänderung in Staaten, in denen junge Menschen teilweise Waffen kaufen dürfen, noch Jahre bevor sie Alkohol erwerben oder ein Auto mieten können?

Täter schoss vor dem Amoklauf auf eigene Großmutter

Salvador Ramos, der Amokläufer, der in der Robb-Grundschule in Uvalde das Leben von 19 Schülerinnen und Schüler im Alter von sieben bis zehn Jahren und zwei Erwachsenen auslöschte und über 13 Kinder verletzte, richtete vor der Bluttat am Dienstag die Waffe auf seine Großmutter. Sie schwebt nach Polizeiangaben im Krankenhaus in Lebensgefahr.

Ähnlich ging auch Adam Lanza vor: Bevor der Initiator des bislang folgenschwersten Schulmassakers in Amerika, in der Sandy Hook-Grundschule in Newtown/Connecticut vor fast zehn Jahren 20 Schulkinder und sechs Lehrkräfte niedermetzelte, erschoss er seine eigene Mutter in ihrem Bett.

Ob es einen Nachahmungs-Charakter gibt, bleibt rätselhaft. Nachdem Ramos in der 16.000 Einwohner zählenden Kleinstadt 90 Minuten Auto-Fahrzeit westlich von San Antonio zwei Cops angeschossen hatte, tötete die Polizei den Schützen. Seine Motive nimmt er, sofern eine Rekonstruktion einschlägiger Auftritte in sozialen Medien keinen Aufschluss geben sollte, mit ins Grab.

Das undatierte Handout-Foto der Polizei zeigt Salvador Ramos.
Das undatierte Handout-Foto der Polizei zeigt Salvador Ramos. © Polizei/ZUMA Press Wire Service/dpa

Uvalde: Amoklauf am vorletzten Tag vor Sommerferien

Ramos, der aus Uvalde stammte, suchte sich den vorletzten Tag vor den Sommerferien aus für seinen Massenmord, dem laut Behörden auch eine Lehrerin, Eva Mireles, und ein weiterer Erwachsener zum Opfer fielen.

Er fuhr gegen 11.30 Uhr Ortszeit mit dem Auto an der Schule vor, die rund 570 Zweit-, Dritt- und Viertklässler unterrichtet, und produzierte dabei einen Crash im Straßengraben. Was dann genau passierte, so Polizeichef Pete Arredondo, bleibt schemenhaft.

Aus der Nachbarschaft aufgenommene Handy-Videos zeigen, wie der mit Schutz-Weste ausgestattete Täter unbehelligt durch einen Seiteneingang in das Gebäude eindringen konnte; offenbar mit einer Handfeuerwaffe und einem halbautomatischen Schnellfeuergewehr.

Amokläufer kommunizierte vor der Tat auf Instagram

Auf einem inzwischen gesperrten Instagram-Konto ist Ramos zu sehen mit einem Schwarz-Weiß-Selfie und zwei schweren Waffen. Kurz vor der Tat kommunizierte er laut Behörden mit einer anonymen jungen Frau und machte diffuse Andeutungen, dass etwas bevorstünde.

Nach noch sehr vorläufigem Ermittlungsstand lieferte sich der mutmaßliche Täter nach den Schüssen auf seine "abuela" (Oma) in deren Haus mit Beamten der Grenzschutzbehörde einen Schusswechsel, fuhr dann zur Schule, wo er ebenfalls unter Feuer genommen wurde, bevor er sich 45 Minuten lang in einem Klassenzimmer verbarrikadiert habe.

Dimension des Massakers war zunächst unklar

Erste Polizeimeldungen gaben zunächst keinerlei Aufschluss über die Dimension der Tragödie, die sogar Parkland/Florida übertrifft, wo 2018 17 Schülerinnen und Schüler an einer Highschool von einem psychisch kranken Ex-Schüler getötet worden waren.

Erst war von rund zehn Verletzten die Rede, die in Uvalde wie San Antonio in Krankenhäusern notärztlich behandelt würden. Details keine. Später war dann zu hören, dass zwei Kinder bereits tot im Spital ankamen, drei weitere nach San Antonio ausgeflogen wurden und eine 66-Jährige (die Oma des Täters?) und ein zehnjähriges Mädchen um ihr Leben kämpften.

Erst am Nachmittag ging Texas' Gouverneur Greg Abbott vor die Kameras und nannte die erste, später mehrfach nach oben korrigierte Opferzahl: 14.

Eltern erfuhren an Sammelstelle von toten Kindern

Zeitgleich wurden Eltern in eine Sammelstelle nahe des Tatorts gerufen. Um ihre Kinder abzuholen. Oder die Todesnachricht zu empfangen. Viele Schüler, die es heil aus der sofort abgeriegelten Schule schafften, suchten laut Lokaljournalisten Zuflucht in einem nahe gelegenen Beerdigungsinstitut.

Uvalde fällt zeitlich zusammen mit frischen Statistiken der Bundespolizei FBI. Danach hat die seit Jahren Amerika schüttelnde Schusswaffen-Seuche gerade in den Corona-Jahren 2020 und 2021 dramatisch zugenommen. Seit 2017 ist die Zahl von tödlichen Vorfällen um 100 Prozent gestiegen. Allein im vergangenen Jahr waren 61 Amokläufer, davon 60 Männer, für 103 Tote und 140 Verletzte verantwortlich.

Amoklauf neuer Tiefschlag für Präsident Biden

Für Präsident Joe Biden, der gerade erst zum Kondolenz-Besuch in Buffalo/New York weilte, wo der 18-jährige weiße Rassist Payton Gendron zehn Menschen in einem Supermarkt, fast ausnahmslos Schwarze, umbrachte, ist die texanische Katastrophe innenpolitisch ein weiterer Tiefschlag.

In Buffalo hatte der Demokrat zum x-ten Mal in seiner fast 50-jährigen politischen Karriere schärfere Waffengesetze gefordert. Wissend, dass im Kongress dazu die politischen Mehrheiten fehlen. Weil vor allem die republikanische Partei das verfassungsmäßige Recht auf Waffenbesitz gegen alle Versuche der Einschränkung mit Klauen und Zähnen verteidigt.

Biden übt scharfe Kritik an Waffengesetzen

Noch am Abend nach seiner Rückkehr aus Japan ging Biden im Weißen Haus sichtlich gebrochen mit bebender Stimme vor die Kameras und machte seiner Verbitterung Luft. "Als Nation müssen wir uns fragen, wann in Gottes Namen wir der Waffenlobby die Stirn bieten werden. Wo in Gottes Namen ist unser Rückgrat?" Dass ein 18-Jähriger einfach in ein Waffengeschäft gehen und zwei Sturmgewehre kaufen könne, "ist schlichtweg falsch".

US-Präsident Joe Biden äußert sich im Weißen Haus über den Amoklauf an einer Grundschule in Texas.
US-Präsident Joe Biden äußert sich im Weißen Haus über den Amoklauf an einer Grundschule in Texas. © dpa

Seit Sandy Hook, als Biden noch Vizepräsident unter Barack Obama war, seien 900 Schusswaffen-Vorfälle an US-Schulen geschehen. "Ich bin es leid. Wir müssen handeln." Der Präsident betonte erneut, dass andere Länder ebenfalls Konflikte und Probleme mit psychisch Kranken hätten - aber keine Massaker dieser Dimension. Sein Mantra: "Das muss aufhören."

2022 schon 220 "mass shootings" in den USA

Tut es aber nicht. Im Gegenteil. Die Bürgerrechts-Organisation "Gun Violence Archive" hat für dieses Jahr bereits rund 220 "mass shootings" (mit mehr als vier Verletzten oder Toten) registriert.

Dass bereits Ende Mai mit Buffalo (zehn Tote) und Uvalde (insgesamt 17 Tote) zwei Mega-Massaker zu verzeichnen sind, gilt unter Experten für Waffengewalt als "furchterregender Vorbote" für den traditionell blutigen amerikanischen Hochsommer mit seinen wochenlangen Extrem-Hitze-Perioden bis Ende September.

Fachleute erinnern zudem daran, dass im Zuge der Corona-Pandemie fast 15 Millionen Waffen zusätzlich verkauft worden seien. In US-Privathaushalten werden rund 340 Millionen Schießeisen vermutet. Jeden Tag sterben statistisch gesehen 120 Menschen in den USA an Waffengewalt, das Gros durch Suizid.

Waffenkauf in Texas ab 18 Jahren möglich

Auf Seite der Demokraten mehren sich Stimmen, die in Texas Gouverneur Abbott und den regierenden Republikanern vorhalten, "Blut an den Händen" zu haben. Texaner dürfen bereits ab 18 Jahren Handwaffen kaufen - auf Bundesebene ist 21 das Mindestalter. Außerdem bedürfen Texaner ab 21 Jahren keiner Waffen-Lizenz mehr, um einen Colt oder eine Pistole in der Öffentlichkeit zu tragen.

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Obama veröffentlichte auf Twitter einen emotionalen Beitrag zu dem jüngsten Amoklauf: Die Tat habe einen Schmerz verursacht, "den niemand ertragen sollte", heißt es darin. Die Waffenlobby zeige keinen Willen, solchen Tragödien vorzubeugen.

Der demokratische US-Senator Chris Murphy richtete sich mit bewegenden Worten an sein Kollegium. "Was machen wir?", fragte er im Kongress. "So etwas passiert nur in diesem Land. Und nirgendwo sonst", hob er hervor. "Nirgendwo sonst gehen kleine Kinder mit dem Gedanken zur Schule, dass sie an diesem Tag erschossen werden könnten." Er fügte hinzu: "Es ist unsere Entscheidung, ob das weitergeht."

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Statistiken belegen, dass in den USA 2019 rund 29.000 junge Menschen zwischen 10 und 21 Jahren wegen Waffen-Delikten verhaftet worden sind. Und das generell rund 20 Prozent aller Tötungsdelikte mit Waffen auf die Altersgruppe der 18-bis 20-Jährigen entfällt. Obwohl sie nur vier Prozent der Gesamtbevölkerung stellen. Adam Lanza/Newtown war 20. Nikolas Cruz/Parkland war 19.

Wer nimmt solchen Jungmännern die todbringenden Waffen endlich aus der Hand, fragen Kritiker. Wer legt die rechtliche Latte so hoch, dass Ex-Teenager, die legal noch keinen Alkohol erwerben dürfen (erst ab 21) oder ein Auto mieten können (meist ab 25), sich im nächsten Waffenladen mit halbautomatischen Schnellfeuergewehren eindecken können, ohne dass vorher ihre psychische Stabilität sorgfältigst geprüft wird?

Nach Columbine: Über 300.000 Opfer von Waffengewalt an Schulen

Abbott und wortmächtige texanische Republikaner wie die Senatoren Ted Cruz und John Cornyn könnten Antworten darauf geben. Seit Columbine 1999, dem ersten großen Amoklauf an einer US-Schule in der jüngeren Geschichte mit insgesamt 15 Toten, sind über 300.000 junge Amerikanerinnen und Amerikaner Opfer von Waffengewalt an Schulen geworden. Zeit zu handeln? Cruz & Co. zierten sich auch gestern wieder. Sie riefen nach mehr Polizei und schickten den Angehörigen der Opfer ihre "Gebete".

Außerdem treten sie gemeinsam mit Ex-Präsident Donald Trump ab übermorgen ihn Houston auf. In der texanischen Metropole findet die Jahrestagung der einflussreichen Waffen-Lobby "National Rifle Association" (NRA) statt, die es noch nach jedem Massaker verstanden hat, politische Restriktionen gegen das freizügige Waffenrecht abzuwehren. Sie stützt die Forderung von Texas' Justizminister Ken Paxton. Dessen umstrittener Vorschlag unmittelbar nach dem Blutbad: Bewaffnet die Lehrer!

Bei der NRA-Veranstaltung im George Brown Kongress-Zentrum ist das Tragen von Waffen aller Art übrigens strikt verboten. Der Secret Service kontrolliert die Besucher. Die Robb-Grundschule in Uvalde, sie hatte keinen Schutz.

Dieser Stück erschien zuerst auf waz.de.