Berlin. Die Verteidigungsministerin Christine Lambrecht über die Ukraine-Krise – und weshalb die Bundeswehrreform erstmal nicht kommen wird.

  • Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) erklärt, wie Deutschland sich in dem Konflikt zwischen Russland und der Ukraine verhalten wird
  • Und sie berichtet, wie es wirklich zu der umstrittenen Helm-Lieferung an die Ukraine kam
  • Eine mögliche Bundeswehrreform legt sie erstmal auf Eis

Ihre Amtszeit als Verteidigungsministerin beginnt mit einer Krise im Weltmaßstab – Russland bedroht die Ukraine. Christine Lambrecht (SPD) verteidigt sich im Interview mit unserer Redaktion gegen den Vorwurf, Deutschland sei kein verlässlicher Bündnispartner mehr.

Das Verteidigungsministerium gilt traditionell als Schleudersitz. Haben Sie gezögert, das Jobangebot von Olaf Scholz anzunehmen?

Christina Lambrecht: Die Leitung des Verteidigungsministeriums ist vor allem eine große Herausforderung. Und wenn man das angeboten bekommt, ist das eine große Ehre. Und ja, ich habe mir etwas Zeit genommen und überlegt, bevor ich Olaf Scholz zugesagt habe. Das ist ja bei einer solchen Herausforderung auch angemessen.

In Europa droht Krieg. Was kann die Bundesregierung tun, um Russland von einem Angriff auf die Ukraine abzuhalten?

Lambrecht: Ganz wichtig ist, dass wir in der Nato und der EU geschlossen sind. Wir machen deutlich, dass Russland der Aggressor ist. Das darf auch nicht relativiert werden. 100.000 russische Soldaten an der ukrainischen Grenze sind eine klare Bedrohung. Wir zeigen Russland, dass jeder weitere Schritt ganz harte Konsequenzen haben würde. Wir müssen Krieg mitten in Europa unbedingt verhindern – natürlich ohne dabei die Souveränität, die territoriale Integrität und die Bündnisfreiheit der Ukraine infrage zu stellen. Das sind rote Linien. Da hat Russland kein Vetorecht. Darüber hinaus gibt es aber noch viele Möglichkeiten, an einer Deeskalation zu arbeiten. Jetzt ist es auch an Russland, genau da mitzuwirken.

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Sehen Sie eine Nato-Perspektive für die Ukraine?

Lambrecht: Es ist die souveräne Entscheidung der Ukraine, sich für eine Nato-Mitgliedschaft zu bewerben. Aber das ist momentan gar nicht auf der Tagesordnung.

Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) weist die Vorwürfe, Deutschland sei in der Ukraine-Krise kein verlässlicher Partner, deutlich zurück.
Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) weist die Vorwürfe, Deutschland sei in der Ukraine-Krise kein verlässlicher Partner, deutlich zurück. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Wer ist auf die Idee gekommen, 5000 deutsche Helme könnten den Ukrainern helfen?

Lambrecht: Wir haben von der Ukraine die Anfrage nach Helmen bekommen – ohne eine konkrete Zahl übrigens. Und dann haben wir selbstverständlich geprüft, ob das möglich ist. Wir erfüllen hier also einen Wunsch unserer Partner in Kiew. Abgesehen davon bringen wir seit Jahren ganz klar zum Ausdruck, dass wir an der Seite der Ukraine stehen. Wir sind weltweit der größte Geber von Entwicklungshilfe – 1,83 Milliarden Euro sind schon geflossen. Wir bilden ukrainische Soldaten aus, liefern Beatmungsgeräte, Sanitätsmaterial und Impfstoffe. Außerdem liefern wir gemeinsam mit Estland ein nagelneues Feldlazarett und wir behandeln seit Jahren schwer verletzte ukrainische Soldaten in unseren Bundeswehrkrankenhäusern.

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Andere liefern Waffen, die Deutschen ein paar Helme. Ist Ihnen nicht klar gewesen, wie das wirkt?

Lambrecht: Wie gesagt: Wir haben eine direkte und konkrete Anfrage von der ukrainischen Botschaft in Bezug auf die Helme bekommen. Darauf haben wir sehr schnell und unkompliziert reagiert – aus meiner Sicht eine Selbstverständlichkeit. Genau wie bei den Anfragen nach Beatmungsgeräten und Impfstoffen.

Waffenlieferungen – selbst von Defensivwaffen – bleiben ausgeschlossen?

Lambrecht: Es ist seit langem die klare Haltung der Bundesregierung – auch schon in vergangenen Legislaturperioden – dass wir keine Waffen in Krisengebiete liefern, um dort nicht noch weiter zu eskalieren.

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Deutschland hat auch Lenkraketen an die Kurden im Nordirak geliefert.

Lambrecht: Das war eine völlig andere Situation. Im Nordirak sind damals Menschen, insbesondere Frauen, grausamst ermordet oder auf Sklavenmärkten verkauft worden. Da hatten wir niemanden auf der anderen Seite, mit dem wir auch nur ansatzweise hätten verhandeln können, um diese Grausamkeiten zu stoppen. Im Ukraine-Konflikt haben wir Verhandlungspartner, die wieder an den Verhandlungstisch gekommen sind – im Nato-Russland-Rat und im Normandie-Format zum Beispiel. Deswegen ist es jetzt unsere Aufgabe zu deeskalieren. Wir wollen diesen Konflikt friedlich lösen.

Die Ukraine als Bindeglied zwischen West und Ost

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    Estland will Haubitzen aus DDR-Altbeständen an die Ukraine geben – und braucht dafür die Zustimmung der Bundesregierung. Wie entscheiden Sie?

    Lambrecht: In dieser Frage gibt es aktuell eine Abstimmung in der Bundesregierung. Es geht um neun Haubitzen aus NVA-Beständen, die über 40 Jahre alt sind. Haubitzen sind keine Defensivwaffen. Darüber haben wir am Ende sehr verantwortungsvoll zu entscheiden.

    Deutschland weckt Zweifel an seiner Verlässlichkeit als Bündnispartner – gerade in den USA ...

    Lambrecht: Ich habe regelmäßig Kontakt mit meinen Kolleginnen und Kollegen sowohl auf europäischer Ebene als auch in den USA. Dort höre ich die Einschätzung, dass Deutschland ein sehr verlässlicher Partner ist und seinen Verpflichtungen in der Nato sehr gut nachkommt. Ganz aktuell übrigens auch als zentrale Drehscheibe für die USA, wenn es um die Verlegung weiterer Soldaten an die Ostflanke der Nato geht. Wir stellen hier selbstverständlich Infrastruktur zur Verfügung und unterstützen wo immer wir können.

    Wird Deutschland selbst zusätzliche Soldaten ins Baltikum entsenden?

    Lambrecht: Wir leisten bereits einen sehr wichtigen Beitrag in Litauen, wo wir als einziges Land der EU eine Battlegroup führen. Bei meiner ersten Einsatzreise als Verteidigungsministerin habe ich erfahren, wie wertgeschätzt unser Engagement dort ist. Grundsätzlich stehen auch Truppen zur Verstärkung bereit, wir sind jetzt im Gespräch mit Litauen darüber, was genau sinnvoll wäre. Darüber hinaus verlegen wir Eurofighter zur Luftüberwachung nach Rumänien. Jeder in der Nato kann sich auf uns verlassen.

    Welche Sanktionen halten Sie für geboten, falls russische Panzer die ukrainische Grenze überschreiten?

    Lambrecht: Wenn Russland diese Grenze überschreitet, wird das schwerwiegende Konsequenzen haben, die deutlich spürbar sind. Da liegen alle Optionen auf dem Tisch.

    Also kommen auch die Abkopplung Russlands vom internationalen Zahlungssystem Swift und das Ende der Ostsee-Gaspipeline Nord Stream 2 infrage.

    Lambrecht: Wenn alle Optionen auf dem Tisch liegen, liegen alle Optionen auf dem Tisch.

    Wie groß ist eigentlich der Einfluss, den Altkanzler Schröder auf die deutsche Russland-Politik hat?

    Lambrecht: Über den Kurs der aktuellen Politik entscheiden der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz und seine Regierung.

    Wie bewerten Sie, dass Schröder in Diensten des Kremls steht?

    Lambrecht: Ich will das gar nicht bewerten. Klar ist: Aktuelle Entscheidungen werden nicht von Altkanzlern oder anderen Ratgebern getroffen.

    Wann erfüllt Deutschland das Nato-Ziel, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auszugeben?

    Lambrecht: Wir stehen ganz klar zu unseren Bündnisverpflichtungen. Das tun wir zum Beispiel dadurch, dass wir demnächst die Nachfolge für unsere in die Jahre gekommenen Tornado-Jets sicherstellen. Das werde ich jetzt sehr bald entscheiden. Dabei sind unterschiedliche Fragen abzuwägen. Europäische Lösungen sind natürlich wünschenswert, aber ich muss auf der anderen Seite auch Zeitvorgaben einhalten.

    Neigen Sie zum US-Kampfjet F-35?

    Lambrecht: Es geht darum, eine sehr guten Tornado-Nachfolger zu finden. Vorfestlegungen gibt es nicht. Alle Möglichkeiten sind auf dem Tisch.

    "Auf uns ist Verlass": Christine Lambrecht in einem Gefährt der Panzerlehrbrigade 9 in Munster. © dpa

    Wann wird die Bundeswehr über bewaffnete Drohnen verfügen?

    Lambrecht: Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. Die Abgeordneten schicken die Soldatinnen und Soldaten in die Einsätze. Da muss bestmöglicher Schutz gewährleistet sein. Es darf nicht darum gehen, autonome Waffensysteme zu beschaffen. Es muss stets und in letzter Konsequenz der Mensch entscheiden, kein Computer. Wenn das gewährleistet ist, dann können bewaffnete Drohnen dem Schutz der Soldatinnen und Soldaten dienen. Meine Aufgabe ist, dafür zu sorgen, dass sie noch in dieser Wahlperiode beschafft werden.

    Gerade in der SPD werden Kampfdrohnen eher als Killermaschinen denn als Schutzengel betrachtet.

    Lambrecht: Wir haben uns im Koalitionsvertrag über bewaffnete Drohnen verständigt – und 98 Prozent meiner Partei haben diesem Koalitionsvertrag zugestimmt. Das ist ein klares Votum. Ob und wo dieses Waffensystem zum Einsatz kommt, entscheidet immer das Parlament. Wir brauchen dafür aber Einsatzregeln, die alle ethischen Fragen berücksichtigen.

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    Welche Einsätze wollen Sie ausschließen?

    Lambrecht: Die Regeln müssen glasklar beinhalten, dass es um Aufklärung und Schutz geht und nicht um autonome Kriegsführung oder die gezielte Tötung vermeintlicher Terroristen. Wir werden dafür sorgen, dass die Einsatzregeln deutlich genug sind.

    Selbst wenn Sie die Kampfdrohnen und den Tornado-Nachfolger beschaffen – das Nato-Ziel, zwei Prozent für Verteidigung auszugeben, wird Deutschland immer noch nicht erreichen.

    Lambrecht: Die Ampelparteien haben sich darauf verständigt, die deutschen Leistungen für die Nato nicht allein militärisch zu bewerten. Deutschland ist sehr engagiert in der Entwicklungshilfe. Wir verfolgen deshalb einen ressortübergreifenden Ansatz – das ist aus meiner Sicht genau richtig.

    Ihre Vorgängerin Annegret Kramp-Karrenbauer hat eine umfassende Strukturreform der Bundeswehr vorgeschlagen. Was wird aus diesen Plänen?

    Lambrecht: Viele meine Vorgängerinnen und Vorgänger haben dieses hehre Ziel verfolgt. Und wenn ich mich bei meinen Truppenbesuchen so umhöre, ist das leider nicht sonderlich erfolgreich umgesetzt worden. Ich gehe sehr pragmatisch an Fragestellungen heran und habe nicht vor, die nächste große Strukturreform auf den Weg zu bringen. Ich setze da an, wo der Schuh drückt. Das Beschaffungswesen ist sehr kompliziert und viel zu langsam. Da müssen wir schneller und effizienter werden. Deswegen will ich an ganz konkrete Regeln herangehen. Dazu gehört etwa mehr Flexibilität bei der Vergabe. Die Truppe vor Ort sollte über Beschaffungen bis zu einer Grenze von 5000 Euro statt wie bisher von 1000 Euro selbst entscheiden können. Wem ich meine Sicherheit anvertraue, dem kann ich auch so eine Summe anvertrauen. Fast 30 Prozent der Verträge, die das Beschaffungsamt bearbeitet, liegen unterhalb der 5000-Euro-Grenze. Wir könnten also das Personal im Beschaffungsamt entlasten und für größere Vorhaben freibekommen. Mit Wirtschaftsminister Habeck bin ich schon im Gespräch über die notwendigen Änderungen. Ich werde mir auch die Eckpunkte meiner Vorgängerin sehr genau anschauen. Aber jetzt werde ich erst mal Entscheidungen in den Fokus nehmen, die deutliche Auswirkungen haben.