Berlin. Im Konflikt mit Russland darf die Bundesregierung nicht aus der euro-atlantischen Solidarität ausscheren, meint Michael Backfisch.

Wenn die Spannungen zunehmen, ist Alarmismus ein schlechter Ratgeber. Es gilt, kühlen Kopf zu bewahren, der Realität ins Auge zu schauen und die richtigen Schlüsse zu ziehen. Das trifft auch auf den Ukraine-Konflikt zu, die größte politische Krise vor der Haustür der EU seit Ende des Kalten Krieges.

Dass die Bundesregierung behutsam agiert und Russland nicht ohne Not provozieren will, ist nachvollziehbar. Die Schrecken der Nazi-Feldzüge im Zweiten Weltkrieg, bei denen rund 27 Millionen Sowjetbürger getötet wurden, sind eine schwere historische und moralische Hypothek.

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Diese Dimension muss in der deutschen Politik immer mitbedacht werden. Sie darf aber nicht blind gegenüber den Herausforderungen der Gegenwart machen.

Michael Backfisch, Politik-Korrespondent
Michael Backfisch, Politik-Korrespondent © Reto Klar | Reto Klar

Ukraine-Konflikt: Sogar in Frankreich macht sich Unmut über Deutschland breit

Zu den Fakten gehört, dass der aktuelle Konflikt vom russischen Präsidenten Wladimir Putin ausgelöst und befeuert wurde. Der Kremlchef hat vor den Grenzen zur Ukraine eine massive militärische Drohkulisse aufgebaut. Damit will er den Westen dazu zwingen, dass sich die Nato nicht nach Osten erweitert und das US-Militär am besten gänzlich aus Europa verschwindet.

Vor diesem Hintergrund ist es beunruhigend, dass unter den Verbündeten die Kritik an Deutschlands Rolle wächst. In den USA, in Polen, im Baltikum, hinter vorgehaltener Hand sogar in Frankreich macht sich Unmut breit. Der Vorwurf: Die Ampel-Koalition übe zu wenig Druck auf Moskau aus und leiste keinen angemessenen Beitrag, um Russland vor einem Einmarsch in die Ukraine abzuschrecken.

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Es ist Zeit für einen Realitäts-Check

Das Grummeln ist berechtigt. Die Bundesregierung hat seit Jahren – bis weit in die Merkel-Ära hinein – den Mythos von der deutsch-russischen Erdgas-Pipeline Nord Stream 2 als privatwirtschaftliches Vorhaben kultiviert. Warum sagt niemand in der Ampel klipp und klar: Falls Russland eine Militärintervention in die Ukraine startet, geht die Pipeline nicht ans Netz.

Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hat dies immerhin verklausuliert angedeutet. Doch Kanzler Olaf Scholz (SPD) führt seit Wochen einen schwer vermittelbaren Eiertanz auf. Erst verschanzt er sich hinter einem angeblich lupenreinen Wirtschafts-Deal. Dann räumt er wachsweich ein, dass im Ex­tremfall „alle Maßnahmen“ auf dem Tisch lägen.

Dabei benutzt der Staatskonzern Gazprom Erdgas längst als politischen Hebel. Scholz und weite Teile der SPD haben dies in ihrer Willy-Brandt-Nostalgie zu lange ausgeblendet. Es ist Zeit für einen Realitäts-Check.

Die Ukraine braucht Waffen als Instrument der Abschreckung

Das betrifft auch die Lieferung von Defensivwaffen an die Ukraine. Der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck hatte dies im Mai 2021 lautstark gefordert und wurde von seiner Partei zurückgepfiffen. Auch hier ist die Bundesregierung merkwürdig unscharf. Es geht nicht darum, Russland mit Kriegsgerät zu drohen, sondern die bedrohte Ukraine mit Material zur Selbstverteidigung auszustatten – als Instrument der Abschreckung.

Die Verschickung von 5000 Schutzhelmen nach Kiew, die Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) jetzt angeordnet hat, ist reine Symbolpolitik. Dass die Bundesregierung über die Lieferung von Haubitzen aus DDR-Altbestand von Estland an die Ukraine erst in einem umständlichen Genehmigungsverfahren entscheiden will, hat den Anschein unzeitgemäßer Polit-Verschrobenheit.

Ein deutscher Sonderweg im Ukraine-Konflikt führt in die Sackgasse – und würde Putins Politik der Spaltung belohnen. Deutschland darf nicht den Status eines unsicheren Kantonisten bekommen. Nur euro-atlantische Geschlossenheit macht Eindruck auf den Kremlchef. Und nur sie ist einem Land mit großem politischen und wirtschaftlichen Gewicht in der Mitte Europas angemessen.