Berlin. Im Konflikt mit Russland muss der Westen klar Position beziehen – und gleichzeitig verhandlungsbereit sein, meint Michael Backfisch.

Es ist richtig, dass sich Vertreter des Westens und Russlands an einen Tisch setzen. Erstmals seit Langem finden in dieser Woche prominente Gesprächsformate zwischen beiden Seiten statt. Erst bilateral zwischen Amerikanern und Russen, dann im Nato-Russland-Rat und schließlich im Rahmen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).

Ein schneller Durchbruch ist allerdings nicht in Sicht. Dazu hat sich der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine zu sehr verschärft. Moskau hat mit der massiven Konzentration von Truppen an der Grenze zum Nachbarland eine gewaltige Drohkulisse aufgebaut.

Michael Backfisch, Politik-Korrespondent
Michael Backfisch, Politik-Korrespondent © Reto Klar | Reto Klar

„Roten Linien“ nicht verhandelbar

Die von Präsident Wladimir Putin gezogenen „roten Linien“ sind jedoch nicht verhandelbar. Der Westen muss die Erweiterung der Nato nicht forcieren. Aber er kann Ländern auch nicht verbieten, einen Beitritt zur Allianz zu wünschen.

Es gab keine Lockrufe der Nato Richtung Polen, Ungarn, Tschechien oder dem Baltikum – und es gab schon gar keine Pressionen. Die Staaten suchten freiwillig die Mitgliedschaft im Bündnis.

Lesen Sie auch: Instabile Regime in Russlands Nähe: Jetzt tobt Kasachstan

2014 ein Tabu gebrochen

Es war Putin, der mit der Annexion der Krim 2014 ein Tabu gebrochen hat. In der auch von Russland immer wieder gepriesenen Schlussakte von Helsinki 1975 war die „Unverletzlichkeit der Grenzen“ festgeschrieben worden.

Moskau hat dagegen verstoßen. Und, Paradoxie der Geschichte: Durch die eiskalt durchgezogene Zementierung seiner Macht hat der Kreml das Bestreben von Ländern wie der Ukraine, Zuflucht bei der Nato zu suchen, noch verstärkt.

„Die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts“

Nein, in dieser Frage kann der Westen Moskau keine „Garantien“ geben. Putins Pochen auf „Einflusssphären“ entstammt einer Zeit, die durch die Geschichte überholt ist. Der Kremlchef hatte 2005 den Zusammenbruch der Sowjetunion als „die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts“ bezeichnet.

Aber die UdSSR gibt es nicht mehr, Putin hängt einem imperialen Phantomdenken an. Der machtpolitische Status quo ist für ihn das Maß aller Dinge – ob in Belarus oder Kasachstan.

Auch interessant: Unruhen in Kasachstan: Was ist der Grund für die Proteste

Keine große Anziehungskraft

Etwas anderes kommt hinzu. Russland hat mit Blick auf Wirtschaftsmodernisierung, technologische Innovation oder gesellschaftliche Teilhabe gegenüber westlichen Ländern keine große Anziehungskraft. Weil dies so ist, sind die Ängste vor einer Einkreisung durch den Westen umso größer.

Zur Wahrheit gehört aber auch: Amerikaner und Europäer haben sich nach dem Fall der Mauer gegenüber Russland in psychologischer Hinsicht nicht immer klug verhalten. Zu oft dominierte der Triumphalismus der Freiheit, der gedemütigten Weltmacht wurde zu selten die Hand gereicht.

Krise in Kasachstan- Worum geht es?

weitere Videos

    Auftakt für einen längeren Verhandlungsprozess

    Vor diesem Hintergrund gilt für die Verhandlungen mit Russland in dieser Woche zweierlei. Die Gespräche sollten nur der Auftakt für einen längeren Verhandlungsprozess sein, der möglicherweise mehrere Jahre dauert. Jenseits der Frage der Nato-Mitgliedschaft gibt es eine Reihe von Punkten, bei denen eine Einigung durchaus möglich ist.

    Dies betrifft etwa die Anzahl von aufgestellten Raketen ebenso wie die gegenseitige Information über Militärmanöver.

    Umgang mit Moskau ein schwieriger Balanceakt

    Darüber hinaus sind nach der Kündigung wichtiger Abrüstungsverträge wie dem INF-Abkommen über landgestützte Mittelstreckenraketen Verhandlungen über eine neue Sicherheitsarchitektur auch im europäischen Interesse. Dieses Feld hat sich jedoch seit dem Kalten Krieg massiv erweitert. Es geht nicht nur um Raketen, sondern auch um Drohnen, Hyperschallwaffen oder Cyberangriffe.

    Der Umgang mit Moskau ist ein schwieriger Balanceakt. Der Westen muss klar Position beziehen und Grenzen aufzeigen. Aber er sollte permanent Gesprächsbereitschaft signalisieren.