Berlin. Werden Sie neuerdings einfach geduzt? Ein gesellschaftlicher Niedergang, findet unsere Autorin. Wann ist es im Büro okay, wann nicht?

Es gibt einen Autor, der beschreibt das immer weiter um sich greifende „Duzen“ als gesellschaftlichen Niedergang, sogar als Beginn eines Übels. Und ich kann mich nicht wehren, die These irgendwie gut zu finden. Dabei gelte ich im Büro und unter Bekannten eher als „lockere“ Person, was Umgangsformen angeht, zumindest glaube ich das von mir. Ich muss nicht per se jemanden siezen. Ich duze gern und strahle das offenbar sogar aus.

Ich gebe Ihnen einen Beweis: Vor zehn Jahren kam ich einmal im Kapuzenpullover, heute "Hoodie", in die Redaktion, ich hatte an diesem Tag einen Termin auf einer Baustelle und musste einen Text schreiben, der mir nicht ganz leicht fiel. Dazu entsprach meine innere Haltung meinem Kleidungsstück, ich wollte nicht auffallen, hatte an diesem Tag auch keine Verantwortung zu tragen, saß nur an meinem Platz. Doch dann hatte ich Hunger.

Grünen-Politiker duzt mich einfach, ich denke: Na, warte!

Ich ging in die Kantine, als ich mit meinem Tablett einen Platz suchte, winkten mir die Kollegen aus dem politischen Ressort zu, bei ihnen ein damals Hamburger stellvertretender Fraktionschef der Grünen. „Und“, fragte er mich, „in welchem Ressort arbeitest du, im Sport?“ Die Kollegen grinsten erfreut in ihre Suppe und warteten gespannt auf meine Antwort. Volley, aber höflich, knallte ich ihm meine Antwort aufs Tablett.

Und selbst wenn ich damals im Sport gearbeitet hätte, und nicht schon verantwortlich für die Reportagen des Hauses gewesen wäre, was war das für eine Frage?! Vielleicht sah ich jünger aus, vielleicht weil ich eine Frau war, vielleicht weil er mich dem Sport zurechnete? Vielleicht, weil er bei den Grünen war? In jedem Fall löste dieses Du zu viele Fragen und zu viel inneren Ärger aus.

Hätte sich vermeiden lassen, a) wenn meine Kollegen mich vorgestellt hätten, b) wenn er mich gesiezt hätte und sich nicht von meiner Kleidung/ Alter/ Auftreten hätte verleiten lassen auf eine bestimmte Position zu schließen.

Siezen schafft Distanz, die aus diesen Gründen im Job-Alltag aufgehoben wird

Alle wären besser dran gewesen, hätten sie die Umgangsformen gewahrt. Es ist ja so, das Siezen schafft eine gewisse Distanz zueinander, ein Grund, warum neuerdings viele Firmen diese Distanz mit einem generellen Duz-Dekret aufheben. Duzen wirkt vertrauter, kreativer, offener, familiärer, Hierarchieverschleiernd und auch jünger. So können sich altangestammte Häuser ganz leicht den inneren Anstrich eines Start-ups geben. Huiiii, jetzt glaubt es wirklich jeder und der Aktienwert schießt nach oben!

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Der Chef, der vor ein paar Jahren nie ohne Schlips ins Büro kam, trägt jetzt V-Ausschnitt-T-Shirts unterm Sakko und Turnschuhe und er bietet jedem das Du an, weil ist ja jetzt so, aber auch, weil er so mit den Jüngeren mithalten kann. Da kommt natürlich niemand darauf, ihn jetzt noch auszutauschen. Sicherlich. Nun das generelle Duzen als Versagensangst oder Midlife-Crisis-Auswirkung der Chefetagen auszulegen, ist vielleicht nicht ganz allein richtig. Alle Morgenland-Kolumnen lesen Sie hier.

Das Duzen hat ja auch gute Seiten, in Ausnahmen

Es hat ja auch gute Seiten. Irgendwann bietet man es sich gegenseitig an – wenn es dann so weit ist, dann ist es echt, gewachsen. Und wenn junge Kollegen partout nicht anders können, schwenke ich aufs Du ein, verstehe, wenn manch jüngere Leute das brauchen.

Diana Zinkler schreibt an dieser Stelle regelmäßig über die Gesellschaft und das Deutschland von morgen.
Diana Zinkler schreibt an dieser Stelle regelmäßig über die Gesellschaft und das Deutschland von morgen. © FMG | FMG

Mein alter Chef sagte entweder: „Diana, könnten Sie bitte mal eine Geschichte...“, das klassische „Hamburger Sie“ also, manchmal verwendete er auch das „Kassiererinnen-Du“ „Du, Frau Zinkler, so geht es aber nicht“,... beides war in Ordnung. Allerdings hätte ich mich nie getraut, schon wegen des Altersunterschieds, „Karl, Sie wissen schon, bin wieder hier wegen der Gehaltserhöhung...“ zu antworten. Übrigens die meisten Deutschen, vor allem die Frauen, aber auch junge Menschen jeden Geschlechts von 20 bis 29, bevorzugen nach wie vor das Sie am Arbeitsplatz. Denk’ da mal drüber nach.