Berlin. Zu Beginn der Pandemie als Krisenmanager hochgelobt, nun viel gescholten: Ist die Karriere von Gesundheitsminister Spahn zu Ende?

Jens Spahn ist ein Mann der starken Nerven. Als Bundesgesundheitsminister stand der CDU-Politiker seit Beginn der Pandemie an vorderster Front, musste nicht nur viel Kritik, sondern auch offenen Hass und Drohungen aushalten. Trotzdem ließ er sich selten aus der Fassung bringen.

Starke Nerven braucht er auch, was die eigene Zukunft betrifft. Denn der 41-Jährige ist an einem Tiefpunkt seiner Karriere angekommen. Bezeichnend dafür war sein Auftritt bei der Debatte um die neuen Corona-Maßnahmen der Ampel-Partner am Donnerstag im Bundestag. Nachdem mehrere Abgeordnete der Ampel ihn als Kronzeugen für die Forderung nach der Abschaffung der epidemischen Notlage angeführt hatten, sah sich Spahn gezwungen, sich zu Wort zu melden. Er sprach dabei nicht vorne von der Regierungsbank aus, sondern aus dem hinteren Teil des Saales – wo die einfachen Abgeordneten sitzen.

Corona: Wie Jens Spahn gescheitert ist

Die Dynamik der letzten Wochen hätten "in dieser Dimension nur wenige" vorhergesagt, rechtfertigte er sich. Tatsächlich hatten Virologen wie Christian Drosten bereits im Juli vor einer "Winterwelle" gewarnt. Trotzdem hatte Spahn noch im Oktober die Abschaffung des Ausnahmezustands gefordert.

Am Freitag stellte Spahn in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem Chef des Robert-Koch-Instituts, Lothar Wieler, fest: "Wir sind in einer nationalen Notlage." Aus dem großen Pandemiemanager ist zum Ende seiner Amtszeit ein Gescheiterter geworden.

Aber wie konnte das passieren? Vor einem Jahr hatte Spahn noch als Mann mit besten Karriereaussichten gegolten. Als das Meinungsforschungsinstitut Kantar im Dezember 2020 in einer repräsentativen Umfrage wissen wollte, von welchem Politiker sich die Deutschen 2021 eine große Wirkung in der Politik wünschen würden, landete Spahn auf Platz eins – noch vor der Kanzlerin.

Impfkampagne: Corona-Politik nicht erfolgreich

Bis dahin war Deutschland vergleichsweise gut durch die Krise gekommen, auch wenn es Ärger über Pannen bei der Impfstoffbestellung gab. Aber die blieben eher an der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hängen, nicht an Spahn. Der wirkte besorgt, aber zuversichtlich zugleich und traf damit einen Nerv. Auch in der Partei schienen sich neue Möglichkeiten aufzutun. Weil Armin Laschet, mit dem Spahn als Team im Kampf um den Parteivorsitz angetreten war, schwächelte, lotete der Münsterländer insgeheim aus, ob er nicht doch noch selbst antreten sollte.

Doch dann verlief der Impfstart schleppend und chaotisch. Die Impfkampagne war weniger erfolgreich als vom Minister behauptet, die Booster-Impfung nicht gut vorbereitet. Dass die Pandemie Deutschland stärker im Griff hat als je zuvor, liegt an der Delta-Variante, aber auch am Missmanagement von Spahn.

Auch in der Partei lief es zuletzt alles andere als rund für ihn. Bei der Wahl des Parteivorsitzenden nahmen es viele Delegierte Spahn übel, dass er in einer Wortmeldung für Laschet warb. Laschet selbst hat Spahn nicht vergessen, dass dieser ihn in den Monaten vor der Wahl kaum öffentlich unterstützt hatte.

Laschets Abgang als Parteichef macht die Situation für Spahn nicht besser. Als der chancenreichste Kandidat für die Nachfolge, Friedrich Merz, am Dienstag in Berlin sein Team vorstellte, erwähnte er Spahn nur am Rande: Merz bedankte sich bei ihm, dass er nicht für den Vorsitz kandidiere – und ließ zugleich durchblicken, dass dieser sich in der "Funktion eines stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden" einbringen könne. Damit moderierte Merz ganz nebenbei Erwägungen ab, Spahn könne für den Fraktionsvorsitz kandidieren.

Auch im Fall eines Sieges des CDU-Außenpolitikers Norbert Röttgen ist keine besondere Position für Spahn vorgesehen. Warum auch sollte Röttgen dies ausgerechnet jetzt tun?

Für Spahn bleibt nur noch die Statistenrolle

Jetzt, wo Spahns Stern sinkt, erinnern sich viele in der Union auch wieder an seine Kurswechsel. Gestartet als moderner Konservativer wurde er in der Flüchtlingskrise plötzlich zum Hardliner, der Merkels Politik scharf kritisierte. Nicht aus Überzeugung, sondern weil er eine Gelegenheit zur Profilierung sah, argwöhnten viele. Spahn gehe es vor allem um sich selbst, sagt ein ehemaliger Parteiwegbegleiter.

Aber es wäre zu früh, Spahn abzuschreiben. Er hat mehr Talent als viele Spitzenpolitiker und auch mehr Mut zum Risiko. Bei der Bundestagswahl hat er seinen Wahlkreis zum sechsten Mal direkt gewonnen. Klar ist aber auch, dass CDU-Ministerpräsidenten wie Daniel Günther – wenn sie die Landtagswahlen gewinnen – in der Partei höher im Kurs stehen werden als ein Ex-Gesundheitsminister mit gemischter Bilanz.

Die Prophezeiung vieler, die große Stunde von Spahn schlage, wenn die Nach-Merkel-Ära beginnt, hat sich nicht bewahrheitet. Nun wird er sie erst einmal in der Statistenrolle erleben.