Brüssel/Berlin. An der belarussisch-polnischen Grenze spitzt sich die Flüchtlingskrise weiter zu. Die Außenminister der EU setzen auf neue Sanktionen.

Gefährlicher Zwischenfall an der polnisch-belarussischen Grenze: Belarussische Soldaten haben einen von Polen errichteten provisorischen Grenzzaun in der Nähe des Übergangs Podlachien gewaltsam geöffnet, um eine Gruppe von rund 100 Migranten auf polnisches Gebiet marschieren zu lassen, so der polnische Grenzschutz. Die Migranten seien mit Tränengas ausgestattet worden, das sie gegen die polnischen Beamten eingesetzt hätten. Ein Grenzübertritt wurde demnach aber verhindert.

Tausende Migranten harren unterdessen in Belarus bei Temperaturen um den Gefrierpunkt in provisorischen Camps aus. An diesem Montag beraten die Außenminister der EU über die Krise, die der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko offenbar absichtlich ausgelöst hat. Welche Möglichkeiten hat die EU?

Flüchtlingskrise: Die EU will die Migranten-Flüge stoppen

Die Türkei verbietet es den Airlines, Bürger aus Syrien, dem Irak und Jemen nach Belarus zu fliegen. Auch der Irak hat Direktflüge nach Minsk gestoppt. Die syrische Fluggesellschaft Cham Wings erklärte ebenfalls, Flüge nach Belarus einzustellen. Ein Erfolg für die EU, die jetzt Gespräche mit den Regierungen der insgesamt 30 Herkunftsländer führt.

Deutschland und die EU drohen mit Landeverboten für die beteiligten Airlines in Europa und mit Maßnahmen etwa gegen Reisebüros, die an der Schleuserpraxis verdienen. Außenminister Heiko Maas sagte unserer Redaktion, es sei möglich, sich aus der Schleuserkette auszuklinken, wenn der Wille da sei. „Für alle, die das nicht tun, werden harte Sanktionen kommen.“ Auch Überflugrechte seien „dann nicht mehr unantastbar“. Lesen Sie dazu:Belarus: Das ist die neue Flüchtlingsroute nach Deutschland

Neue Sanktionen sollen nicht die Bevölkerung treffen

Neue Wirtschaftssanktionen der EU gegen Belarus sind in Vorbereitung, doch soll die belarussische Bevölkerung möglichst verschont bleiben. Deshalb wird mehr auf gezielte Sanktionen gegen Personen gesetzt, die in Belarus für die Schleusung von Migranten an die EU-Außengrenze verantwortlich sein sollen.

Die EU-Außenminister bereiten eine neue Liste von rund 30 Personen vor, die mit Einreiseverboten und Vermögenssperren belegt werden sollen, darunter der belarussische Außenminister.

Das Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen soll helfen

In Berlin und Brüssel setzt man auf einen Hilfseinsatz der Vereinten Nationen und anderer Organisationen. Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR und die Internationale Migrationsorganisation IOM hatten bereits Zugang zu einer Gruppe von rund 2000 Flüchtlingen, versorgten sie mit Essen und Medikamenten; das belarussische Rote Kreuz als Partnerorganisation bringt jetzt Decken und Kleidung vor allem für Kinder.

UNHCR und IOM bieten den Flüchtlingen auch den Rücktransport in ihre Heimatländer an. Das ist die Lösung, auf die die EU-Kommission hofft.

Belarus’ direkte Nachbarn wollen die Grenze komplett abriegeln

Lettland, Litauen und Polen setzen seit Wochen auf eine Abriegelung der Ostgrenze zu Belarus. Dennoch schaffen es immer wieder Migranten, auf EU-Gebiet zu gelangen. Polen baut jetzt eine fünf Meter hohe Grenzanlage zur kompletten Abschottung. Das Problem: Die Maßnahme würde aktuell nicht schnell genug helfen. Und politisch gibt es Streit, ob Zäune oder Mauern mit Geld aus der EU-Kasse gefördert werden sollen.

Die Aufnahme von Flüchtlingen ist umstritten

Die EU könnte die mehreren Tausend Flüchtlinge aus dem Grenzgebiet aufnehmen und auf freiwilliger Basis an Mitgliedsländer verteilen. Vor allem Hilfsorganisationen fordern das. In Deutschland haben sich schon mehrere Städte bereit erklärt, Flüchtlinge aufzunehmen. Bundesregierung und EU-Kommission fürchten aber, damit einen Sogeffekt auszulösen und weitere Migranten auf die Belarus-Route zu locken.

Der Chef der Innenministerkonferenz, Thomas Strobl (CDU), warnt, so werde Deutschland „zum Schlepper“ des belarussischen Regimes. „Ein Fehlschluss“, kritisiert Liza Pflaum vom Verein Seebrücke. „Wir brauchen einen humanitären Migrationspakt und müssen die Menschen aufnehmen, dann ist das Thema vom Tisch.“

Lukaschenko will verhandeln – die EU aber sträubt sich

Belarus-Machthaber Alexander Lukaschenko wartet auf ein Gesprächsangebot der EU. Er will offenbar erreichen, dass Brüssel die Sanktionen lockert. Auch Russlands Präsident Wladimir Putin fordert die EU auf, direkt mit Lukaschenko zu verhandeln. Das Problem: Die EU erkennt Lukaschenko nach den Wahlfälschungen von 2020 nicht als Präsident an.