Washington. Olaf Scholz ist zur Tagung von Weltbank und Währungsfonds in die USA geflogen. Auf seiner Reise wirkt der Politiker “wie verwandelt“.

  • Mitten in den Sondierungen über eine mögliche Ampel-Koalition ist Olaf Scholz in die USA gereist
  • In Washington tagten die G20-Finanzminister
  • Die Körpersprache von Scholz war eindeutig - Journalisten zeigten sich verwundert

Was doch drei Monate und ein unerwarteter Bundestagswahl-Sieg in der Zwischenzeit ausmachen: Olaf Scholz, bis in die nicht mehr vorhandenen Haarspitzen der Gegenentwurf von zur Schau gestellter Lebensfreude, wirkt an diesem lauwarm temperierten Dienstagabend auf der schönen Dach-Terrasse des Washingtoner Hotels "The Hive" trotz Jetlag so gelöst und redselig, wie man ihn selten erlebt hat.

Der Bundesfinanzminister kommt mit über 45 Minuten Verspätung zum Treffen mit ortsansässigen und aus Berlin angereisten Journalisten, die der eigentliche Anlass seines Hierseins - das traditionelle Treffen von Weltbank und Internationalem Währungsfonds - nur rudimentär interessiert.

Man will sehen, hören und spüren, wie kanzlerhaft sich der 25,7-Prozent-Wahlsieger vom 26. September womöglich schon geriert. Und ab wann die "Ampel" in Berlin leuchten könnte.

Scholz' Körpersprache ist eindeutig

Scholz' Botschaft bis in die Körpersprache ist eindeutig: Mir geht’s bolle. Ich bin zuversichtlich. Es wird klappen. Stunden später wird der Hamburger im Lafayette Park vor dem Weißen Haus an der Seite der kanadischen Finanzministerin Chrystia Freeland klipp und klar sagen, er sei sicher, dass "wir vor Weihnachten eine neue Regierung haben". In zehn Wochen ist Heiligabend...

Das klang Anfang Juli noch ganz anders. Damals stand Olaf Scholz mit verkniffenem Gesicht an gleicher Stelle im Hotel Hive in Rufweite des berühmten Watergate-Komplexes über den Dächern der US-Hauptstadt.

Statt Anzug trug er Schlabber-T-Shirt und schwarze Turnschuhe. Vor sich eine Journalisten-Traube, die immer näher rückte, weil ein schwerer Gewittersturm die elende Schwüle unterbrochen hatte und es durch die Sonnensegel wie aus Eimern schüttete. Scholz war die Bedröppeltheit in Person, auch wenn er mehrfach in leisem Ton bekräftigte, noch sei nichts verloren. Seine Partei, die SPD, wurde damals in Umfragen auf ungefähr 15 Prozent taxiert. Politisches Niemandsland.

Olaf Scholz hat sich Rückschläge gemerkt

Als sein wackerer Sprecher an der unter Wasser stehenden Theke, wo lokale Biere und Soda-Getränke mit Ingwer-Waldbeeren-Geschmack ausgeschenkt werden, das Szenario ausbreitete, wie der Chef Kanzler einer Dreier-Koalition mit FDP und Grünen werden könne und warum er "fest daran glaubt", verzogen manche Zuhörer das Gesicht. Das Wort vom "Realitätsverlust" machte die Runde.

Am Tag darauf gab es noch einen Dämpfer. Kamala Harris, die amerikanische Vize-Präsidentin, ließ einen vereinbarten Foto- und Gesprächstermin mit dem Gast aus Deutschland kurzfristig absagen. Zwei Wochen später empfing Harris Angela Merkel.

Olaf Scholz hat sich Spötter und Rückschläge gemerkt. Seine Genugtuung darüber, dass alles anders kam, ist heute dezent unaufdringlich. Aber unverkennbar.

Warum Scholz in die USA flog

Dass Scholz am Dienstagnachmittag vorübergehend den Berliner Sondierungs-Zug mit Grünen und FDP verließ und im Bundeswehr-Airbus knapp neun Stunden über den Atlantik in die US-Hauptstadt flog, hat natürlich nicht nur mit einem diszipliniert-seriösen Arbeits-Ethos zu tun - wenn die Finanzeliten zur traditionellen Herbsttagung am Potomac einlaufen, hat der deutsche Finanzminister nach seinem Verständnis vor Ort zu sein.

Scholz trat in Washington gewissermaßen als Bauer in eigener Sache auf. Es galt vor der Weltöffentlichkeit eine seltene Ernte einzufahren, die sich positiv auf die anlaufenden Koalitionsverhandlungen auswirken könnte, wie es in seinem Umfeld heißt. Denn dass die Finanzminister der G-20-Staaten gestern die letzten Spiegelstriche für die von 136 Ländern unterstützte und ab 2023 geltende Mindeststeuer von 15 Prozent für internationale Großunternehmen wasserdicht trimmten, hat einiges mit dem Hanseaten zu tun.

Seine amerikanische Ressort-Kollegin Janet Yellen, die ehemalige Chefin der Notenbank "Fed", hatte bereits bei einer Scholz-Visite im Juli mit aufrichtiger Anerkennung bezeugt, dass die von US-Präsident Joe Biden begrüßte Reform im globalen Umfang maßgeblich von dem deutschen Sozialdemokraten vorangetrieben wurde. "Wir wissen, Olaf, dass das Dein Baby ist." Freeland, die Kanadierin, die zunächst skeptisch war, ob eine solche Welt-Steuer funktionieren kann, schloss sich gestern mit ihrem Lob an.

Olaf Scholz "wie verwandelt"

Wie das Münchner Ifo-Institut kalkuliert, könnte allein der deutsche Fiskus dadurch um die fünf Milliarden Euro im Jahr an Extra-Einnahmen verbuchen. "Ein Pfund, mit dem man wuchern kann", sagt ein Mitreisender und schildert einen Olaf Scholz, der bereits im Anflug auf Washington "wie verwandelt" gewesen sei.

Ohne Details aus den Diskretion praktizierenden Vorgesprächen mit Grün-Gelb auszuplaudern, habe der 63-Jährige "sich offen und mitteilungsfreudig wie nie gezeigt" und den Eindruck "großer Zuversicht vermittelt". Der Wahlausgang sei ein "Jungbrunnen" für ihn. Die Versatzstücke lauten: Die Atmosphäre in den Gesprächen "stimmt". Scheitern sei "keine Option". Seine Chancen auf die Kanzlerschaft taxiert der Noch-Vizekanzler dem Vernehmen nach zurzeit auf "99 Prozent".

Bereits am heutigen Donnerstag wird Olaf Scholz wieder in Berlin landen. Auf die Frage, wann er das nächste Mal in Washington sein wird, sagte er mit einem Augenzwinkern: "Bald."