Berlin. Einige Experten betrachten es als unumgänglich, dass das Renteneintrittsalter angehoben wird. Doch es gibt eine ganz andere Lösung.

Oft war in den letzten Monaten im Wahlkampf davon die Rede, dass eine Reform des Rentensystems unumgänglich sei. Das untermauern auch aktuelle Zahlen des Statistischen Bundesamts, die zeigen, dass die Rentenversicherung schon bald Finanzierungsprobleme bekommen könnte. In Deutschland werden in den kommenden Jahren immer mehr Menschen das Rentenalter erreichen – während die Zahl der Erwerbstätigen deutlich sinken wird.

Die Zahl der Personen im Alter ab 67 Jahren – und damit berechtigt, in Rente zu gehen – wird laut Statistischem Bundesamt zwischen 2020 und 2035 um 22 Prozent von 16 Millionen auf voraussichtlich 20 Millionen steigen. Besonders stark werde die Zunahme mit 25 Prozent in den westlichen Flächenländern ausfallen. Gleichzeitig wird es den Statistikern zufolge bis 2035 deutlich weniger Menschen im Erwerbsalter geben.

Immer mehr Rentner, weniger Beitragszahler: Wie wird die Rente in Zukunft finanziert?

Der erwartete Rückgang sei darauf zurückzuführen, „dass die großen Baby-Boom-Jahrgänge in den 2020er-Jahren aus dem Erwerbsalter ausscheiden und viel schwächer besetzte jüngere Jahrgänge aufrücken werden“, erklärte Olga Pötzsch, Demografie-Expertin im Statistischen Bundesamt. Viele Fachleute plädieren daher dafür, das Renteneintrittsalter auf 68 oder sogar 70 Jahre zu erhöhen.

So fordert beispielsweise der Freiburger Ökonom und Rentenexperte Bernd Raffelhüschen, dass das Rentenzugangsalter an die Lebenserwartung angepasst wird. „Wir können den Alten nicht sagen, dass sie jeden Tag, den sie länger leben, auch als Tag in Rente verbringen.“ Das sei nicht finanzierbar, so Raffelhüschen. Er verwies auf die gravierenden Engpässe in der Rentenkasse, die sich bereits ab 2025 zeigen würden.

Aktuell liegt das Renteneintrittsalter bei 67 Jahren. In Deutschland gibt es schon jetzt rund 21 Millionen Rentner und Rentnerinnen – im nächsten Jahr soll es sogar mehr Geld für sie geben.

Rentenexperte: Kreis der Beitragszahler erweitern statt Rentenalter anheben

Doch lässt sich das Problem der leeren Rentenkasse nur durch den späteren Antritt der Rentenzeit lösen? Peter Bofinger, ehemaliger Wirtschaftsweise und Rentenexperte, sieht das anders. Der Ökonom plädiert statt einer Anhebung des Renteneintrittsalters dafür, den Kreise derer, die in die Rentenversicherung einzahlen, zu erweitern. In einem Interview mit dem „Focus“ schlug Bofinger vor, dass künftig auch Selbstständige und Beamte ihren Teil zur Rentenkasse beitragen sollten. Aktuell sind diese Gruppen vom System der Deutschen Rentenversicherung ausgenommen.

Der Ökonom Peter Bofinger plädiert für eine Erweiterung des Kreises der Rentenbeitragszahler.
Der Ökonom Peter Bofinger plädiert für eine Erweiterung des Kreises der Rentenbeitragszahler. © Maurizio Gambarini/dpa | Maurizio Gambarini/dpa

Neben der Lösung des finanziellen Problems sieht Bofinger in dieser Regelung noch einen weiteren Vorteil: „Es entlastet das Gesamtsystem sogar dauerhaft, weil es eine ganze Reihe von Selbstständigen gibt, die nicht ausreichend fürs Alter vorsorgen. Sie fallen – nach dem bisherigen Modell – im Alter dem Staat zur Last, der für sie die Grundsicherung bezahlen muss“. Würden Selbstständige in Zukunft ebenfalls eine gesetzliche Rente erhalten, könnte das verhindern, dass sie anderweitig staatliche Hilfe benötigen würden, glaubt Bofinger.

Bofinger: Diskussion über Rente ab 70 „unsinnig“

Diskussionen darüber, das Renteneintrittsalter auf 70 Jahre anzuheben, hält der Ökonom für unsinnig. Denn die aktuellen Prognosen zur Bevölkerungsentwicklung könnten deutlich von der Realität abweichen. „In den Rentenversicherungsberichten der Jahre 2000, 2005 und 2010 wurde die tatsächliche Anzahl der Arbeitnehmer ohne Beamte im Jahr 2020 jeweils um vier bis 4,5 Millionen Personen unterschätzt.“

Bofinger glaubt, dass ein höheres Renteneintrittsalter frühestens gegen Ende des laufenden Jahrzehnts notwendig sein wird. Daher gebe es keinen Grund für Aktionismus, so der Rentenexperte.

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Rente: Reform könnte unter neuer Bundesregierung kommen

Tatsächlich haben mehrere Parteien in ihren Wahlprogrammen zur Bundestagswahl Vorschläge gemacht, die dem von Bofinger ähneln. So will die Union durchsetzen, dass es in Zukunft eine Pflichtversicherung für Selbstständige gibt. Geht es nach der SPD – die nach aktuellem Stand gute Chancen hat, die nächste Regierung anzuführen – soll der Kreis der Beitragszahler auf Selbstständige, Beamte und Abgeordnete ausgeweitet werden.

Auch im Wahlprogramm der Grünen heißt es, dass Selbstständige, die nicht anderweitig abgesichert sind, sowie Abgeordnete als Beitragszahler in die gesetzliche Rentenversicherung aufgenommen werden sollen. Im Gegensatz zu anderen Parteien will die FDP die Selbstständigen nicht zur gesetzliche Rentenversicherung verpflichten. Dies könnte auch ein Thema bei den anstehenden Sondierungen und Koalitionsverhandlungen für die Ampel-Koalition werden. Lesen Sie dazu: Rente und Wahlkampf: Das planen Grüne, CDU, AfD und SPD

(mit dpa)