Berlin. Bei der Frage nach der künftigen Wunsch-Regierung geben sich viele Verbände schmallippig. Dabei schien der Wunsch vor der Wahl klar.

Die Zuschreibungen der Wirtschaftsinteressen sind vor Bundestagswahlen meist recht eindeutig: Arbeitgeberverbände harmonieren mit Union und FDP, Gewerkschaften orientieren sich meist im linken Parteienspektrum rund um die SPD und die Grünen.

Doch von klaren Präferenzen, ob die künftige Bundesregierung von einem SPD-Kanzler Olaf Scholz in einem Ampel-Bündnis oder von einem CDU-Kanzler Armin Laschet in einer Jamaika-Koalition geführt werden soll, nehmen in diesen Tagen beide Seiten Abstand.

Bundestagswahl: Arbeitgeberpräsident mahnt Reformen an

„Es geht nicht um eine Farbenlehre, sondern um Inhalte“, sagte Rainer Dulger, Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), unserer Redaktion. „Für die neue Bundesregierung muss gelten: Raus aus dem Igelmodus, rein in den Reformmodus.“

Während andere große Arbeitgeberverbände sich vor den Gesprächen von Union und Grünen gar nicht mehr äußern wollten, ließ Dulger zumindest einen leichten Fingerzeig durchblitzen. „Die Schulden, die wir aufnehmen mussten, müssen zurückgezahlt und die Sozialversicherungssysteme stabilisiert werden“, sagte Dulger. Im Wahlkampf hatten Union und FDP mit der Schuldenbremse geworben, die SPD hatte sich zurückhaltender positioniert.

Dulger mahnte „weitreichende Reformen an“ – und machte in diesem Zuge auch deutlich, was er von der jüngsten Regierungsperformance der sich nun dem Ende zu neigenden schwarz-roten Koalition von CDU/CSU und SPD hält. „Wir müssen umschalten in einen höheren Gang und nicht weiter im Leerlauf laufen“, sagte Dulger. „Das Schlüsselwort lautet Modernisierung.“

Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger fordert weitreichende Reformen.
Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger fordert weitreichende Reformen. © dpa | Bernd Weißbrod

Unternehmer präferieren Jamaika-Bündnis

Viele andere Arbeitgeberverbände schwiegen dagegen hinsichtlich der Gespräche zwischen Union und Grünen. Die Union ist nach der Wahlschlappe schwer angeschlagen, befindet sich im innerparteilichen Machtkampf. Umso wichtiger sind für CDU/CSU die Gespräche mit den Grünen – immerhin entscheidet sich an ihnen, ob die Union in die Regierung darf oder die Oppositionsbank drücken muss.

Dass die FDP lieber mit der Union als mit der SPD regieren würde, hat Parteichef Christian Lindner immer wieder deutlich gemacht. Bei den Grünen sieht es dagegen anders aus. Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt bezeichnete im Interview mit unserer Redaktion die Union in ihrer derzeitigen Lage als „nicht sondierungsfähig“.

Das Schweigen vieler Verbände und Unternehmen macht die Misere der Union nicht gerade besser. Kurz vor der Bundestagswahl hatte sich in einer Civey-Umfrage im Auftrag des „Handelsblatts“ noch jeder Fünfte der 750 befragten Unternehmer für ein Jamaika-Bündnis ausgesprochen, knapp gefolgt von einem Bündnis aus Union, SPD und FDP. Eine Ampel favorisierten dagegen nur zwölf Prozent.

Anlegerschützer Tüngler präferiert Jamaika-Bündnis

Nun bleiben vielfach nur noch vage Ankündigungen und Schweigen. Klarer artikulierte den Wunsch nach einem Jamaika-Bündnis dagegen Anlegerschützer Marc Tüngler, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW).

Jamaika wäre für Anlegerinnen und Anleger gegenüber einer Ampel die bevorzugte Wahl“, sagte Tüngler unserer Redaktion. Doch auch der DSW-Hauptgeschäftsführer macht dabei Einschränkungen. „Allerdings passen die Aussagen der Union in puncto Anlegerstärkung zum Gesamtbild der Partei: Sie eiert rum, ist wenig konkret.“

Im Gegensatz zur Ampel seien bei einem Jamaika-Bündnis aber mit der Union und der FDP zwei von drei Koalitionspartnern gegen Steuererhöhungen. Zudem rechnet Tüngler nicht damit, dass mit der SPD der Sparerfreibetrag auf Kapitalerträge nennenswert erhöht wird. Enttäuscht zeigte sich Tüngler von den Grünen. „Die Grünen haben ihren Ankündigungen, mehr für Anlegerinnen und Anleger tun zu wollen, im Wahlkampf keine Taten folgen lassen.“

Ohnehin habe nur die FDP konkrete Konzepte zur Stärkung von Sparern und Anlegern im Wahlkampf präsentiert. „Für Anlegerinnen und Anleger ist es gut, dass die FDP im Boot ist“, sagte Tüngler.

IG BCE-Chef Vassiliadis fordert Aufbruch

Dass längst nicht alle so große Hoffnungen in die FDP setzen wie Anlegerschützer Tüngler wurde am Wochenende deutlich. Als „Sicherheitsrisiko für Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerrechte“ hatte Verdi-Chef Frank Werneke im „Deutschlandfunk“ die FDP bezeichnet. Es treibe ihn mit Sorge um, dass die FDP wahrscheinlich der kommenden Regierung angehören werde. Zugleich betonte Werneke seine Hoffnungen auf einen höheren Mindestlohn – eine Forderung von SPD und Grünen und damit ein eindeutiger Wink in Richtung Ampel.

Zurückhaltender zeigte sich dagegen der Vorsitzende der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE), Michael Vassiliadis, gegenüber unserer Redaktion. „Was wir jetzt brauchen, ist eine Regierung des sozialen, ökologischen und ökonomischen Aufbruchs“, sagte . Um den industriellen Wandel zu meistern, brauche es Kompromiss- und Kooperationswillen. „Die Parteien sind nun in der Pflicht, dies vorzuleben. Mehr denn je sind jetzt Machen und Anpacken gefragt“, sagte Vassiliadis.