Berlin. Klimaschutz ist eigentlich der Markenkern der Grünen. Doch auch mit ihrem Wahlprogramm ist das 1,5-Grad-Ziel nicht zu erreichen.

Klimaschutz und die Grünen – für viele Wählerinnen und Wähler geht die Partei mit dem Thema Hand in Hand. Umfragen bestätigen diese Einschätzung: Mit Abstand rechnen die meisten Befragten stets Bündnis 90/Die Grünen die größte Kompetenz beim Klimaschutz zu. Umso überraschender, dass zwei Studien zufolge die im Grünen-Wahlprogramm vorgesehenen Maßnahmen eben nicht ausreichen, um die Klimaziele einzuhalten.

Dabei sind die Vorhaben der Partei recht ambitioniert: Die Grünen wollen bis 2030 eine Verringerung der CO2-Emissionen um 70 Prozent – statt, wie es bisher im Klimaschutzgesetz der Großen Koalition vorgesehen ist, um 65 Prozent.

Klimaschutz: Das sind die Pläne der Grünen

Geht es nach den Grünen, soll zudem der CO2-Preis bis 2023 auf 60 Euro steigen, fünf Euro mehr als bisher für 2025 vorgesehen. Zum Ausgleich sollen die EEG-Umlage sinken und alle Bürgerinnen und Bürger ein Energiegeld erhalten.

Den Kohleausstieg wollen die Grünen bis spätestens 2030 und nicht erst bis 2038 umsetzen. Union und SPD stellen dieses späte Datum dagegen nicht infrage. 2035 soll Strom zu hundert Prozent erneuerbar erzeugt werden. Auf Autobahnen soll ein Tempolimit von 130 Stundenkilometern gelten, ab 2030 sollen nur noch emissionsfreie Autos neu zugelassen werden. Kurzstreckenflüge sollen bis dahin möglichst überflüssig werden – vor allem durch einen massiven Ausbau der Bahn. Flankiert werden soll all dies durch ein massives Klima-Investitionsprogramm.

Studie des DIW: Grüne auf Platz 1 beim Klimaschutz

Was sich nach gewaltigen Anstrengungen im Kampf gegen die Klimakrise anhört, reicht dennoch nicht aus, um die weitere Erderwärmung abzufedern oder gar zu verhindern. Das zeigt unter anderem eine neue Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), die die Stiftung Klimaneutralität in Auftrag gegeben hat.

Dort landen die Grünen zwar im Gesamtranking der untersuchten Parteien auf Platz 1, da die Partei ein Gesamtkonzept präsentiere, das am ehesten konkrete Vorschläge zum Erreichen der Klimaschutzziele mache. Außerdem gelinge es der Partei, in allen Sektoren des Klimaschutzes zumindest relativ geeignete Ideen zu präsentieren. Wahlprogramme: Wie die Parteien zum Thema Legalisierung von Cannabis stehen

Wahlprogramm der Grünen – nicht ausreichend für Klimaziele

Doch durchgerechnet reichen die Vorschläge nicht aus, um selbst die aktuellen Vorgaben des Klimaschutzgesetzes zu erreichen, schlussfolgern die DIW-Forscher. Zwar würden die Grünen bei der Analyse noch besser abschneiden, wenn das nachgereichte Klimaschutzsofortprogramm der Partei berücksichtigt worden wäre – dass damit die Emissionen aber so deutlich reduziert werden könnten, dass das 1,5-Grad-Ziel mit großer Wahrscheinlichkeit erreicht werden kann, ist nicht gesichert.

Auch das Thinktank „Konzeptwerk Neue Ökonomie“ aus Leipzig kommt bei der Analyse des Grünen-Wahlprogramms zum selben Schluss: „Aus einer Perspektive, die sowohl die Klimawissenschaften als auch die vom Sachverständigenrat für Umweltfragen errechneten Emissionsbudgets wirklich ernst nimmt und sich konsequent am Maßstab globaler Klimagerechtigkeit und der Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze orientiert, wird deutlich: Auch die weitgehendsten Wahlprogramme haben zwar in Teilen ambitionierte Ziele, aber auch zahlreiche Leerstellen“, so Kai Kuhnhenn, Mitautor der Wahlprogrammanalyse des Konzeptwerks.

Für das Papier untersuchten die Autoren die Klimaziele von Union, Grünen, SPD, Linken und FDP. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass keine Partei mit einem CO2-Budget für Deutschland plant, mit dem die Klimaziele eingehalten werden können. Lesen Sie dazu: Bundestagswahl 2021: Klimaschutz - Das planen die Parteien

Emissionen: CO2-Budget im Klimaprogramm der Grünen zu hoch?

Mit CO2-Budgets wird beziffert, wie viele Emissionen ein Land in den kommenden Jahren noch produzieren darf. Denn um einen katastrophalen Klimawandel zu verhindern, muss die globale Erderwärmung auf maximal 1,5 Grad begrenzt werden. Aus diesem Ziel ergibt sich ein verbleibendes Treibhausgasbudget – das schwindend gering ist.

Für Deutschland beträgt ein solches Budget, welches mit einer Wahrscheinlichkeit von zwei Dritteln mit einer Erderwärmung von 1,75 Grad kompatibel ist, ab 2020 noch maximal 6,7 Gigatonnen CO2. Um die Erderwärmung aber mit einer 50-prozentigen Wahrscheinlichkeit auf die dringend notwendigen 1,5 Grad zu begrenzen, können in Deutschland ab 2020 hingegen nur noch 4,2 Gigatonnen CO2 ausgestoßen werden.

Die Grünen geben in ihrem Wahlprogramm ein verbleibendes Budget von 6,6 Gigatonnen CO2 ab 2020 an. Das liegt deutlich über dem, was in Deutschland noch an Emissionen anfallen darf. Laut der Analyse des Konzeptwerks behaupten die Grünen zudem fälschlicherweise, dass dieses Budget eine Chance von 75 Prozent auf 1,5 Grad bieten würde. Laut Weltklimarat und Sachverständigenrat bietet diese Menge an Treibhausgasemissionen allerdings nur eine 2/3­-Chance auf eine Erwärmung um 1,75 Grad.

Die Grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock und der Co-Chef der Grünen Robert Habeck beim Moorbesuch in Brandenburg.
Die Grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock und der Co-Chef der Grünen Robert Habeck beim Moorbesuch in Brandenburg. © AFP | Tobias Schwarz

Andere Parteien geben kein CO2-Budget im Wahlprogramm an

Immerhin: Die Grünen arbeiten als einzige Partei überhaupt mit einem Bud­get, stellen die Autoren der Untersuchung fest. Problematisch sei aber, dass die Einsparungen vor allem durch Ausbau der erneuerbaren Energien und anderer Innovationszweige, und nicht etwa durch Einschnitte wie Energiesparkonzepte, Negativ­emissionen oder Kohlestoff­speicherung ermöglicht werden sollen.

Unabhängig davon, dass mit dem Wahlprogramm der Grünen das tatsächliche Einhalten der Klimaziele unwahrscheinlich ist, verspricht es auch, dass der Klimaschutz ohne Verzicht möglich sein wird. Diese Annahme zieht sich auch durch die Wahlprogramm der anderen Parteien – und ist fatal, wie die Autoren der Analyse schreiben.

„Die meisten Parteien wollen Klima und Wirtschaft durch technische Lösungen versöhnen. Das heißt beispielsweise elektrische Pkw, Elektrifizierung und Wasserstoff marktkonform fördern und ausbauen und sich damit im internationalen Wettbewerb durchsetzen – die Verheißung des grünen Wachstums, bei dem alle gewinnen“, erklärt Ronja Morgenthaler, Mitarbeiterin im Konzeptwerk. Dabei würden wissenschaftliche Analysen ignoriert, die nachweisen, dass sich Wirtschaftswachstum und Treibhausgasausstoß nicht in ausreichendem Umfang entkoppeln lassen.

Klimaschutz in den Parteiprogrammen: „In der Summe ungenügend“

Auch wenn es auffällig ist, dass gerade die Pläne der Grünen nicht zur Einhaltung der vereinbarten Klimaziele führen könnten, darf nicht vernachlässigt werden, dass laut DIW-Studie und Wahlprogrammanalyse des Konzeptwerks keine Partei dafür taugliche Ideen liefert. DIW-Expertin Claudia Kemfert erklärte bei der Vorstellung der Studie, dass keine Partei den Klimaschutz ausreichend addressiere. „Das ist in Summe ungenügend“, sagte sie. „Die Parteien sind aufgefordert, statt Gespensterdebatten endlich die notwendigen Inhalte für erfolgreichen Klimaschutz zu liefern.“

Dass auch die aktuellen Bemühungen Deutschlands nicht reichen, um die Ziele des Pariser Klimaabkommens einzuhalten zeigt beispielsweise der „1.5°C national pathway explorer“ der gemeinnützigen Organisation Climate Analytics, der die Klimaschutzvorhaben einzelner Länder durchrechnet und analysiert. Demnach müsste Deutschland eigentlich seine Treibhausgas-Emissionen bis 2030 um mindestens 68 Prozent reduzieren, um dazu beizutragen, dass die Erderwärmung 1,5 Grad nicht übersteigt. Aktuell sind nur 65 Prozent vorgesehen. Mit den im Klimaschutzpaket vereinbarten Vorhaben ist dies aber eh nicht zu schaffen, da sind sich die Wissenschaftler einig.