Berlin. Die Impfkampagne stockt, die Inzidenz steigt und die Kliniken füllen sich wieder. Im Herbst droht deshalb eine allgemeine „2G-Regel“.

  • Die Politik hat sich auf ein neues Maß zur Bewertung der Corona-Pandemie in Deutschland geeinigt
  • Die Hospitalisierungsrate statt der Inzidenz soll von nun an im Zentrum stehen
  • Kann so ein Lockdown verhindert werden? Und würde dieser nur für Ungeimpfte gelten?

Die Corona-Inzidenz ist relativ, die Hospitalisierungsrate wird der wichtigere Maßstab. So sieht es eine Reform des Infektionsschutzgesetzes vor, die der Bundestag am Dienstag beschließen will.

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft begrüßte, „dass die alleinige Fixierung auf die Sieben-Tage-Inzidenz beendet wird“. Ihr Vorstandsvorsitzender Gerald Gaß rät, sich davor zu hüten, „wieder nur einen einzelnen Wert in den Blick zu nehmen“.

Die Krankenhausgesellschaft ist für ein Zusammenspiel verschiedener Kriterien und hält es für richtig, wenn die im Krankenhaus aufgenommenen Personen, die Kapazitäten in der Intensivmedizin und die Impfquote berücksichtigt werden. „Aus meiner Sicht ist die Zahl der Neuaufnahmen in den Krankenhäusern entscheidend und vor allem die Belegung der Intensivstationen“, sagte Gaß unserer Redaktion.

Corona: Impfquote oder Hospitalisierungsrate?

Für Eugen Brysch von der Deutschen Stiftung Patientenschutz fehlen wissenschaftliche Parameter, wann einem Klinikum durch Covid-19-Patienten die Überlastung droht. „So bleibt die Hospitalisierungsinzidenz ein rein politischer Wert, der von jedem Bundesland anders gesetzt wird“, sagte er unserer Redaktion.

Unklar sei, welche Maßnahmen greifen sollten, wenn festgelegte Marken erreicht würden. „Zu diesen praktischen Fragen fehlt ein Bundeskonzept.“ Notwendig sei eine tagesaktuelle Übersicht, die alle belegbaren Betten und ihre Auslastung nach Fachrichtungen abbildet. „Zu dieser Transparenz sind die Krankenhäuser nicht bereit“, kritisierte er.

Das Risiko, mit Corona ins Krankenhaus zu müssen, ist für Geimpfte gering. Die Covid-19-Patienten auf den Intensivstationen sind laut Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zu 90 Prozent ungeimpft. Wenn die Entwicklung anhält und sich im Herbst verschärft, hat der Staat drei Alternativen: eine Belastung der Krankenhäuser in Kauf zu nehmen, die Impfquote zu steigern oder eine 2G-Regel zu setzen.

Das würde bedeuten, dass Geimpfte und Genesene ihrem Alltag ohne Auflagen nachgehen könnten, Ungeimpfte in bestimmten Bereichen des öffentlichen Lebens aber nicht mal mit einem negativen Corona-Test – für sie wäre der Infektionsschutz wie ein Lockdown.

Bürger befürworten Einschränkungen für Ungeimpfte

In der Bevölkerung würde das auf Zustimmung stoßen, wie eine Befragung des Meinungsforschungsinstituts Yougov ergab. 58 Prozent würden es befürworten, wenn für Ungeimpfte strengere Regeln gelten würden – 28 Prozent halten gleiche Regeln für alle für richtig.

Am Montag ist die Sieben-Tage-Inzidenz bei den Corona-Neuinfektionen wieder gestiegen, nach Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) von 83,1 auf 84,3 Neuansteckungen pro 100.000 Einwohner. Binnen 24 Stunden wurden insgesamt 4749 Infektionen neu gemeldet.

„Wenn wir bis Oktober nicht die Impfquote deutlich nach oben bringen, bekommen wir im Herbst einen richtig starken Anstieg der Corona-Fälle auf den Intensivstationen“, warnt der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin, Christian Karagiannidis.

54,7 Millionen Bürger wurden mindestens einmal geimpft, das RKI gibt die Impfquote mit 65,8 Prozent an. Das ist kein entmutigender Wert, aber unter der Zielmarke der Europäischen Union (70 Prozent).

Manche Staaten sind weiter, Belgien, Dänemark, Irland oder Portugal, wo 85 Prozent der Bürger mindestens einmal ein Vakzin bekommen haben. Der Virologe Christian Drosten erklärte sich das in seinem Podcast zuletzt mit der „schrecklichen gesamtgesellschaftlichen Erfahrung“ auf der Iberischen Halbinsel: viele Tote und strengste Lockdowns.

Corona: Wird 2G eingeführt, droht eine Klagewelle

Um sicher durch den Herbst zu kommen, sind nach Spahns Ansicht „fünf Millionen Impfungen und mehr“ notwendig. Er setzt auf unbürokratische Angebote. Auch die Praxisärzte werben dafür, Unentschlossene anzusprechen. Wobei sich für sie im Herbst eine Doppelbelastung mit den Auffrischungen – der dritten Impfung – ankündigt. Wenn auf freiwilliger Basis kein Erfolg erreicht wird, sollen die Länder den Druck erhöhen.

„Wer sich nicht impfen lässt, der wird es an bestimmten Stellen eben auch schwerer haben müssen, einfach weil der Schutz nicht da ist“, so Jens Spahn. Im Klartext: 2G. Für die Schulen wollen die Kultusminister davon nichts wissen. In der Justiz wäre die 2G-Regel vollends unpraktikabel.

Impfung: Hamburgs 2G-Modell umstritten

In der Wirtschaft hat Hamburg ein Modell gestartet mit einer 2G-Option für Clubs oder Restaurants. Sie können nur Gäste reinlassen, die immun sind. Bloß: Was ist mit den Beschäftigten? Verlieren die ihren Job, wenn sie weder geimpft noch genesen sind? Der Deutsche Gewerkschaftsbund sieht das Modell in der Hansestadt kritisch, weil die Beschäftigten unter Druck geraten.

Dürfen sie überhaupt nach ihrem Impfstatus befragt werden? Fragen über Fragen, und die Antworten der Bundesländer müssten gerichtsfest sein. Gleichwohl wäre eine Klagewelle sehr wahrscheinlich.

Bisher schaut Spahn nur auf die Ungeimpften, ihren relativ hohen Anteil erklärt er sich nicht zuletzt mit Bequemlichkeit oder Unwissenheit. Aber wie groß ist erst das Risiko bei den Bürgern, die schon geimpft und damit immun sind und sich in der trügerischen Sicherheit wähnen, dass die dritte Impfung nicht eilt?