Berlin. Die Grünen wollen die Mietspiegel reformieren. Mieter könnten damit viel Geld sparen, zeigen neue Daten. Doch es gibt mehrere Haken.

  • Die Hoffnung auf einen Erfolg bei der Bundestagswahl ist bei den Grünen groß
  • Laut ihres Wahlprogramms wollen sie dann unter anderem Mieter entlasten
  • Die Partei sagt hohen Mieten den Kampf an – mit möglichen Folgen für Millionen Deutsche

Manchmal sind es die kleinen Sätze, die eine große Wirkung entfalten. Wie jener Satz im Wahlprogramm der Grünen, bei dem es um die zukünftige Ausgestaltung des Mietspiegels geht. „Zur Berechnung sollen die Mietverträge der letzten 20 Jahre herangezogen werden“, heißt es dort. Elf Worte im 133-seitigen Wahlprogramm – doch sie reichen aus, um die Immobilienbranche in Aufruhr zu versetzen.

Eine „Art Super­mietendeckel“, der verfassungswidrig sei, verknüpft Axel Gedaschko, Präsident des Spitzenverbandes der Immobilienwirtschaft GdW, mit der Forderung. Als einen „Angriff auf die Mietspiegel“ wertet Kai Warnecke, Präsident des Eigentümerverbandes Haus & Grund, die Idee. Und Jürgen Schick, Präsident des Immobilienverbandes IVD, fürchtet ein „Mietenmanipulationsgesetz“.

Grünen-Idee zur Miete: Ist es ein zweiter Mietendeckel?

Die Grünen-Forderung, sie polarisiert auf dem Immobilienmarkt, vermutlich mehr, als die Grünen es selbst erwartet hätten. Denn die Schwerpunkte im Wahlprogramm sind andere. Wahlkampf mit Mietspiegeln – das mutet technisch an, nicht wirklich attraktiv. Sehr viel leichter lässt sich mit Instrumenten wie dem Mietendeckel auf Stimmenfang gehen, wie es etwa die Linke tut und der der Union und der FDP als einfaches Angriffsziel dient.

Eine festgelegte Miete, Erhöhungen sind weitestgehend ausgeschlossen. So simpel, so umstritten. Der Mietspiegel dagegen ist komplexer, technischer. Kann er ein Instrument sein, um steigenden Mieten und Wohnungsknappheit in den Metropolregionen Einhalt zu gebieten?

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Mietspiegel wurde gerade erst reformiert

Beim Mietspiegel wird betrachtet, wie sich die Preise bei neuen Mietverträgen über einen bestimmten Zeitraum entwickeln. Im Zielsprint einigten sich CDU/CSU und SPD vor Kurzem in der letzten Sitzungswoche des Bundestages noch auf eine Reform.

Künftig müssen Städte und Gemeinden mit mehr als 50.000 Einwohnern einen Mietspiegel erstellen. Denn Mietspiegel sind die Grundlage für Instrumente wie etwa die Mietpreisbremse. Die Mietpreisbremse regelt, dass bei angespannten Wohnungsmärkten die Miete höchstens zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen darf – die wiederum im Mietspiegel zu finden ist.

Existiert kein Mietspiegel, dann wird auch die Mietpreisbremse de facto unbrauchbar, weil alternative Verfahren juristisch leicht anfechtbar sind.

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Grüne wollen Betrachtungszeitraum auf 20 Jahre erhöhen

Im Mietspiegel sind Mietverträge erfasst, die in den vergangenen sechs Jahren neu abgeschlossen oder erhöht wurden. Hier wollen die Grünen ansetzen. Nicht mehr nur die vergangenen sechs Jahre sollen in die Betrachtung einfließen, sondern die vergangenen 20 Jahre.

„Wir brauchen den Einbezug der Mieten der letzten 20 Jahre, um die Zeiten fairer und normaler Mietniveaus vor Beginn der großen Mietpreisrally überhaupt noch realistisch abzubilden“, sagte Christian Kühn, wohnungspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Bundestag, unserer Redaktion.

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Vor 20 Jahren sah der Wohnungsmarkt anders aus

Es ist eine Zeitreise. 2001 war der Immobilienmarkt ein anderer. Besonders deutlich wird das anhand der Hauptstadt. In Berlin war es schwierig, überhaupt eine Wohnung zu vermieten, vor allem die heutigen Szenekieze Kreuzberg und Neukölln waren verrufen. Es gab einen hohen Leerstand, die demografischen Annahmen waren ernüchternd, Mieten teils spottbillig.

Heute sieht es anders aus. Die ­Metropolen haben in den vergangenen Jahren einen enormen Zuwachs erlebt, die Mietpreise sind durch die Decke geschossen. Die Berliner Landesregierung senkte schließlich sogar in einem historischen Projekt die Mieten ab, ehe die Karlsruher Verfassungsrichter den Mietendeckel im April wieder kippten

Mietspiegel würden um mehr als zwei Euro pro Quadratmeter sinken

Was würde es bedeuten, wenn diese beiden extremen Phasen im Mietspiegel berücksichtigt werden würden? Das hat das Center for Real Estate Studies (CRES), ein Forschungsinstitut der Steinbeis-Hochschule Berlin und der an der Universität Freiburg angesiedelten Deutschen Immobilien-Akademie, berechnet. Die Daten liegen unserer Redaktion vor.

2020 betrug die Angebotsmiete demnach bundesweit im Schnitt 9,74 Euro netto kalt pro Quadratmeter. Würde man den Mietspiegel auf 20 Jahre anpassen, wären es nur noch 7,36 Euro – und damit 2,38 Euro pro Quadratmeter weniger.

In den Metropolen wären die Effekte noch stärker ausgeprägt

Noch deutlicher werden die Effekte in den Metropolen. In Berlin lag die Miete 2020 laut CRES im Schnitt bei 10,62 Euro, im 20-jährigen Mietspiegel würden sie nur noch bei 7,09 Euro liegen. Und in Stuttgart würde es sogar von 14,23 Euro auf 9,85 Euro pro Quadratmeter runtergehen.

Bei einer Wohnfläche von 92 Quadratmetern – so hoch ist nach jüngsten Daten des Statistischen Bundesamtes die durchschnittliche Fläche pro Wohnung zuletzt – wäre das also ein Unterschied von fast 220 Euro pro Monat. Wohlgemerkt: Eine Absenkung um diesen Betrag wäre eine Anpassung des Mietspiegels nicht. Aber viele Mieten wären in Städten mit Mietpreisbremse de facto eingefroren.

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Deutscher Mieterbund begrüßt die Forderung

Beim Deutschen Mieterbund stößt die Forderung entsprechend auf Zustimmung. „Ein Betrachtungszeitraum von 20 Jahren würde aus Mietersicht wirklich etwas bewirken“, sagt Mieterbund-Präsident Lukas Siebenkotten. Ihm wäre es am liebsten, wenn stichprobenartig alle laufenden Mietverträge – unabhängig vom Zeitraum – betrachtet würden.

Dann aber würden auch „rabattierte Mieten“, etwa durch sozial ausgerichtete Vermieter wie Genossenschaften, in die Berechnung kommen, gibt Marco Wölfle, Professor für Finanz- und Immobilienwirtschaft zu bedenken. Der gesetzliche Anspruch des Mietspiegels aber sei es, die „freien Mieten zwischen Vermietern und Mietern zu betrachten“, sagt Wölfle, der wissenschaftlicher Leiter am CRES ist.

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Privatvermietern droht hoher Wertverlust

Der Immobilienprofessor hält einen längeren Betrachtungszeitraum für ungeeignet. Zum einen würde er vor allem Privatvermieter und Eigentümergemeinschaften treffen, die drei Viertel aller deutschen Wohnungen vermieten. Ähnlich wie bei der Einführung der Mietpreisbremse 2015 oder des Berliner Mietendeckels würde ein solches Gesetzesvorhaben dazu führen, dass kurz vor der Einführung die Miete erhöht werden würde.

Hinzu kämen Wertverluste für die Eigentümer, die mit der Immobilie auf ihre Altersvorsorge setzen. Um bis zu knapp 73.000 Euro über einen Zeitraum von 40 Jahren und immerhin rund 27.000 Euro über einen Zeitraum von 15 Jahren beziffert Wölfle diesen Verlust.

Vor allem aber bilde dieser Zeitraum die Realität nicht mehr ab, kritisiert der CRES-Leiter. „Wenn ich morgens im Bad in den Spiegel schaue, dann möchte ich die Realität abgebildet bekommen. Wenn ich ein Foto von mir von vor 20 Jahren auf das Glas klebe, dann brauche ich keinen Spiegel“, sagt Wölfle.