Berlin. Neue Corona-Beschlüsse, Sonderurlaub, Impfungen und mehr: SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich spricht im Interview über aktuelle Themen.

Mit wehender schwarz-grauer Mähne stürmt Rolf Mützenich zum Interview in ein Büro. Eben hat er nach der Kanzlerin im Bundestag zu Corona gesprochen. Zur Stärkung verteilt der SPD-Fraktionschef Gebäck. Für Arbeitnehmer und Familien plant er größere Hilfen, um die Krise durchzustehen.

Herr Mützenich, haben Sie schon einen Friseurtermin?

Rolf Mützenich: (lacht) Ich brauche dringend einen Friseurtermin, aber der wird wahrscheinlich deutlich nach dem 1. März liegen. Denn dann haben wir erst einmal Sitzungswoche im Bundestag.

Friseure dürfen öffnen, während Läden, Museen, Restaurants und Hotels noch geschlossen bleiben. Wie erklären Sie das den Bürgern?

Mützenich: Wir müssen schrittweise vorgehen. Priorität haben Kitas und Schulen. In den Wahlkreisen sind meine Kolleginnen und Kollegen aber auch oft auf die Friseurtermine angesprochen worden. Sie scheinen bei einigen im Mittelpunkt der derzeitigen Wünsche zu stehen.

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Für andere Branchen ist das bitter – auch weil die Corona-Hilfen immer noch spärlich fließen.

Mützenich: Ich verlasse mich auf die Zusagen des Wirtschaftsministers, dass die Überbrückungshilfe III mit hohen Abschlagszahlungen jetzt endlich schnell fließt. Herr Altmaier hat eine Menge aufzuholen. Wir werden ihn an seinen Taten messen.

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich.
SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich. © Kay Nietfeld/dpa

Bei den Schulen können die Länder tun und lassen, was sie wollen. Sieht so konsequente Pandemiebekämpfung aus?

Mützenich: Die Länder werden je nach Infektionslage verantwortungsvoll handeln. Die Öffnung der Schulen hat auch eine soziale Bedeutung. Deswegen ist es sehr berechtigt, hier die ersten Schritte zu gehen.

Könnten Schnelltests den Unterricht sicher machen?

Mützenich: Ich hoffe auf die Selbsttests – in Form von Gurgel- oder Spucktests. Bisher ist leider noch keiner zugelassen. Gesundheitsminister Spahn wäre nach den Erfahrungen beim Impfen gut beraten, bei den Selbsttests vorausschauend und konzen­triert zu handeln. Am Geld darf und wird es nicht scheitern, wenn es zu den Zulassungen kommt. Die Selbsttests müssen dann auch den Ländern für den Schulbetrieb zur Verfügung gestellt werden.

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Lehrerinnen und Lehrer sollen früher geimpft werden. Wann werden die Kinder an der Reihe sein?

Mützenich: Ich wünsche mir, dass die Impfhersteller noch stärker versuchen, einen sicheren Impfstoff für Jugendliche und Kinder zu entwickeln. Leider ist es bisher nicht zu großen Fortschritten gekommen. Wenn wir einen umfassenden Schutz wollen, müssen Impfstoffe für Kinder und Jugendliche so schnell wie möglich auf den Markt. Wir sind bereit, die herstellenden Unternehmen finanziell noch stärker zu unterstützen. Aber sie haben dann auch eine Bringschuld.

Besondere Freiheiten beansprucht die Fußball-Bundesliga. Bayern-Boss Karl-Heinz Rummenigge verlangt sogar bevorzugte Impfungen für Fußballprofis ...

Mützenich: Ich finde es irritierend, mit welcher Attitüde manche Funktionäre aus dem Profisport auftreten. Ich bin sicher, dass der Fußball alles getan hat, um die Verbreitungswege gerade bei den Spielen der Bundesliga einzuschränken. Aber weitergehende Sonderbehandlungen für Fußballprofis kann und darf es nicht geben.

Ich würde Herrn Rummenigge empfehlen, sich mit weiteren Bemerkungen zurückzuhalten, zumal die Bundesligaprofis ohnedies schon Privilegien genießen, von denen andere Sportarten nur träumen können.

Was ist aus dem Corona-Sonderurlaub geworden, den die SPD für überlastete Arbeitnehmer gefordert hat?

Mützenich: Die Grenzen der Mehrfachbelastung durch Homeoffice und Homeschooling sind überschritten. Die zehn zusätzlichen Tage Kinderkrankengeld waren ein Kompromiss, der angesichts der Verlängerung der Maßnahmen nicht mehr ausreicht.

Schulen und Kitas werden ja erst nach und nach geöffnet. Es gab das Versprechen der Bundeskanzlerin, mit der Ministerpräsidentenkonferenz im Dezember für eine neue Regelung zu sorgen. Da sind jetzt auch die Herren Laschet und Söder gefordert.

Wie viele Tage schweben ihnen vor?

Mützenich: Es sollte schon eine nennenswerte Zahl sein. Es ist Eltern nicht zuzumuten, jetzt den Jahresurlaub zur Betreuung der Kinder zu nehmen, der dann in den Sommerferien fehlt. CDU und CSU dürfen nicht länger die Interessen der Arbeitgeberlobby über die Familien stellen.

Die SPD macht die Union für alle möglichen Versäumnisse in der Pandemie verantwortlich. Dabei sitzen die Sozialdemokraten selbst am Kabinettstisch. Hat der Wahlkampf schon begonnen?

Mützenich: Naja. Es wurden insbesondere bei der Impfstoffbeschaffung Fehler gemacht. Das haben wir durch unsere Nachfragen festgestellt. Das aufzuklären, ist unsere Pflicht. Schließlich geht es um die Gesundheit der Bevölkerung. Dabei ging es uns nicht um Wahlkampf, sondern darum konkrete Verbesserungen zu erreichen.

Eignet sich Corona als Wahlkampfthema?

Mützenich: Natürlich wird der Umgang mit der Pandemie - und auch der Erfolg bei deren Bekämpfung, den wir in den nächsten Monaten hoffentlich noch sehen werden - eine wichtige Frage im Bundestagswahlkampf sein. Genauso wie die anderen Herausforderungen, die im kommenden Jahrzehnt auf uns warten. Deutschland muss digitaler, sozialer und klimaneutral werden.

Die SPD verharrt in den Umfragen bei 15 Prozent. Warum kommt der Scholz-Zug nicht ins Rollen?

Mützenich: Machen wir uns nichts vor: Zurzeit denken die Menschen nicht darüber nach, für wen sie sich bei der Bundestagswahl entscheiden. Die Wahlentscheidung wird sehr spät fallen. Ich bin sehr zuversichtlich, dass die SPD am Ende die Nase vorn hat. Wir wollen stärkste Kraft werden und die nächste Bundesregierung anführen.

Hat es sich ausgezahlt, in der Großen Koalition zu bleiben?

Mützenich: Es war vollkommen berechtigt, sich immer wieder zu fragen, ob wir unsere Vorstellungen in der Großen Koalition durchsetzen können. Und wir haben gerade im letzten Jahr gezeigt, dass uns das gelingt. Die Einführung der Grundrente und die Abschaffung des Soli für mehr als 90 Prozent der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler sind dafür nur zwei Beispiele. Es war im Interesse der Menschen richtig, dass wir in der Großen Koalition geblieben sind.

Was haben Sie bis zur Bundestagswahl noch vor? Die Schuldenbremse abräumen?

Mützenich: Bei der Debatte um die Schuldenbremse geht es um Ehrlichkeit und Transparenz. Der Vorstoß des Kanzleramtes hat die Unionsparteien offenbar überrascht, weil das für die CDU eins der letzten verbliebenen identitätsstiftenden Themen ist. Die Krise reißt natürlich Löcher in die Finanzplanung, weil geplante Einnahmen ausbleiben und zusätzliche Ausgaben nötig werden.

Über die notwendigen Anstrengungen werden wir in den nächsten Wochen sprechen, und das gehört vor dem Wahlkampf auf den Tisch. Die SPD lehnt jedenfalls eine Vollbremsung und Kürzungen bei den Investitionen oder den Ausgaben für den sozialen Zusammenhalt ab.

Deutschland schaut gespannt auf das Impeachment-Verfahren gegen den abgewählten US-Präsidenten Donald Trump. Mit Ihrer langjährigen Erfahrung als Außenpolitiker: Ist Trump Geschichte - oder halten Sie ein Comeback für möglich?

Mützenich: Das Denken, das Trump groß gemacht hat, wird nicht von heute auf morgen verschwinden - im Gegenteil. Das wird sich auch auswirken auf die Entscheidung der Republikaner, mit wem sie in den nächsten Präsidentschaftswahlkampf ziehen. Wir werden erst in zwei Jahren wissen, ob Trump Geschichte ist oder nicht. Dann stehen Wahlen zum Repräsentantenhaus an. Wenn sich seine Favoriten durchsetzen, würde ich nicht ganz ausschließen, dass er an ein Comeback denkt. Ob die Republikaner das zulassen werden, kann heute niemand mit Sicherheit sagen.

Halten Sie an Ihrer Forderung nach einem Abzug der amerikanischen Atomwaffen aus Deutschland fest?

Mützenich: Daran ändert sich nichts. Wir haben eine gültige US-Nukleardoktrin, die nukleare Kriege für denkbar hält und bereit ist, kleine Atomwaffen einzusetzen. Ich appelliere an die neue US-Regierung, dieses Dokument sofort zu überarbeiten. Und ich wünsche mir, dass weitere Schritte zur Rüstungskontrolle angegangen werden. Wir müssen ernsthafte Verhandlungen über die taktischen Nuklearwaffen in Europa führen. Damit ist meine Forderung verknüpft, die US-Atomwaffen aus Deutschland abzuziehen. Das Kriegsrisiko hat in den vergangenen Jahren zugenommen. Die Stationierung neuer seegestützter atomarer Trägersysteme hat das Konzept der technischen nuklearen Teilhabe im Grunde obsolet gemacht. Ich war etwas verwundert über die scharfen Reaktionen auf meine Forderung. Die CDU scheint das Bekenntnis zu Atomwaffen zum Maßstab für Regierungsfähigkeit machen zu wollen.

Die US-Truppen, die Trump abziehen wollte, bleiben nun wahrscheinlich doch in Deutschland. Ist Ihnen das überhaupt recht?

Mützenich: Auf jeden Fall ist es klug, dass sich Präsident Biden diese Entscheidung seines Vorgängers noch einmal anschaut. Aber wir dürfen uns nichts vormachen: Der Fokus der Biden-Regierung wird nicht auf Europa liegen, sondern auf Asien. Deswegen stellen wir uns darauf ein, dass das militärische Engagement der USA in Europa weiter abnehmen wird.