Die Wahl des neuen Vorsitzenden war auch eine Entscheidung über den Kurs der Partei. Doch ist Laschet so liberal, wie viele vermuten?

Die Enttäuschung sitzt tief bei den Anhängern von Friedrich Merz. Der einstige Fraktionschef der Union und spätere Aufsichtsratsvorsitzende des Vermögensverwalters BlackRock hatte nicht nur eine stärkere Profilierung der CDU versprochen. Er stand auch für die Hoffnung einiger, er könne die Partei wieder weiter nach rechts führen – und so die wahrgenommene „Sozialdemokratisierung“ der CDU durch Angela Merkel korrigieren.

Die Niederlage ihres Favoriten beim Bundesparteitag und die Wahl von Armin Laschet zum Nachfolger von Annegret Kramp-Karrenbauer an der Spitze löst in diesem Flügel das Gefühl aus, endgültig heimatlos geworden zu sein.

Das könnte Sie auch interessieren: Susanne Eisenmann: Darum ist die CDU-Politikerin umstritten

Der unterlegene Friedrich Merz (r) gratuliert Armin Laschet zur Wahl als Parteivorsitzender beim digitalen Bundesparteitag der CDU.
Der unterlegene Friedrich Merz (r) gratuliert Armin Laschet zur Wahl als Parteivorsitzender beim digitalen Bundesparteitag der CDU. © Michael Kappeler/dpa

Wie das Links-Rechts-Schema entstand

Doch stimmt das auch? Dazu muss man zunächst die grundsätzliche Verortung von Parteien betrachten. Politische Parteien werden klassischerweise in einem Rechts-Links-Schema verortet, was seinen Ursprung in der französischen Nationalversammlung von 1789 nach der französischen Revolution hat.

Diese spiegelte nicht mehr traditionelle gesellschaftliche Hierarchien wider, sondern politische Strömungen. Auf der linken Seite saßen Abgeordnete, die für eine revolutionäre Orientierung standen, auf der rechten Anhänger der Monarchie. Die Rechts-Links-Achse ist bis heute Grundlage vieler politischer Modelle, meist ergänzt durch eine weitere Achse (zum Beispiel mit den gegensätzlichen Polen libertär und autoritär).

Mehr Artikel zur Bundestagswahl 2021

Auch als Sitzordnung ist sie erhalten geblieben: Im Bundestag sitzen vom Bundestagspräsidenten aus gesehen die Abgeordneten der Linken links, die AfD-Parlamentarier ganz rechts. Früher saßen dort SPD und CDU/CSU. Das sagt bereits viel über eine wesentliche Veränderung im Parteiensystem aus. Die beiden großen Volksparteien, die lange das Parteienspektrum dominierten, sind in die Mitte gerückt.

Denn auch in der Gesellschaft hat die Polarisierung abgenommen und die meisten Menschen verorten sich in der Mitte. Wer Wahlen gewinnen will, muss also hier nach Wählerinnen und Wählern suchen. Zugleich hat dieses „Zusammenrücken“ der großen Parteien, verstärkt auch durch mehrere große Koalitionen zwischen SPD und Union, an den Rändern ein Vakuum hinterlassen, was von der Linkspartei und der AfD gefüllt wurde.

Lesen Sie auch: Superwahljahr 2021: Das sind die Termine

Sozialdemokratisierte CDU

So neutral das Links-rechts-Schema ist, so verpönt ist in Deutschland der Begriff „rechts“. Im Gegensatz zum Wort „links“ wird „rechts“ gleich mit extremistischen oder nationalistischen Positionen assoziiert und deshalb auch von konservativen Politikern vermieden. Immer wieder wird auch das Argument vorgebracht, diese alten Kategorien würden heute nicht mehr zutreffen.

Vom früheren Bundeskanzler stammt der Satz, es gebe keine linke oder rechte Wirtschaftspolitik, sondern nur gute oder schlechte. Schröder war es auch, der dem Land eine eher konservativ-liberal anmutende Agenda 2010 verordnete, in deren Zentrum die Verschmelzung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe stand. Im linken Flügel seiner Partei hat er damit eine Wunde gerissen, die bis heute nicht verheilt ist.

Angela Merkel wiederum entschied sich 2015 angesichts der Flüchtlingsströme, die Grenzen offen zu lassen. Eine Politik, die auch jeder Grünen-Politiker mitgetragen hätte. Unter ihrer Führung wurden der Mindestlohn und die abschlagsfreie „Rente ab 63“ beschlossen, beides „linke“ Projekte.

Lesen Sie auch: Bundeswahlleiter gibt sein Wort: Die Briefwahl ist sicher

Politikprofessor: Unter Merkel ist die CDU nach „links“ gerückt

„Unter Angela Merkel ist die CDU sowohl wirtschafts- als auch gesellschaftspolitisch nach ‚links‘ gerückt, also hin zu mehr staatlicher Regulierung und weg von konservativen Werthaltungen“, sagt der Berliner Politikprofessor Oskar Niedermayer von der Freien Universität Berlin: „Da die SPD unter ihren beiden neuen Vorsitzenden jedoch auch weiter nach links gerückt ist, lassen sich durchaus Unterschiede feststellen.

Niedermayer nennt als Beispiele unter anderem die Verteilungspolitik (die SPD ist für Steuererhöhungen), die Sicherheitspolitik (etwa bei der Anschaffung von Kampfdrohnen, die die SPD ablehnt) oder die innere Sicherheit (in der die CDU Recht und Ordnung betont).
Klar gegensätzliche Positionen lassen sich auch an anderer Stelle erkennen.

Das fängt bei der Aufgabe des Staates an: Das Leitbild linker Politik ist der Fürsorgestaat, der seinen Bürger ein möglichst vollumfängliches Unterstützungsangebot macht. Die soziale Gleichheit steht als Ziel dabei über der individuellen Freiheit.

Für konservative Politik ist das Subsidiaritätsprinzip prägend, das auf der Eigenverantwortung der Bürger basiert. Erst, wenn diese nicht erbracht werden kann, springt der Staat ein. Die Unterschiedlichkeit zeigt sich aber auch in zahlreichen gesellschaftspolitischen Positionen. Aus dem traditionell christlichen Selbstverständnis der Union heraus gibt es immer noch starke Vorbehalte gegenüber gleichgeschlechtlichen Ehen, Abtreibungen und Sterbehilfe.

Laschet: Wohin führt der neue CDU-Chef die Partei?

Wohin der neue CDU-Chef Armin Laschet die Partei führt, ist noch nicht ausgemacht. Seine prägendste Wurzel ist das katholische Elternhaus. Gesellschaftspolitisch vertritt er viele liberale Positionen, ein Grund, warum die schwarz-gelbe Koalition in NRW sehr geräuschlos funktioniert. In der Flüchtlingspolitik unterstützte er weitgehend den Kurs der Kanzlerin. In der Pandemiepolitik wehrte er autoritäre Maßnahmen lange ab und setzte sich (zumindest in der ersten Jahreshälfte 2020) für Lockerungen ein.

Damit geriet er in eine Gegenrolle zum bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder, der mit harten Auflagen vorpreschte. In seinem Kabinett in Nordrhein-Westfalen hat er den Hardliner Herbert Reul zum Innenminister gemacht, der mit Razzien und der Erstellung eines Lagebilds gegen Clankriminalität vorgeht. Die zuvor unter Rot-grün eingeführte anonymisierte individualisierte Kennzeichnungspflicht für Polizisten (durch Nummern) wurde wieder abgeschafft.

Als CDU-Chef will Laschet ein „Entfesselungspaket“ vorantreiben, was auf Planungsbeschleunigung und Bürokratieabbau setzt, beides Klassiker konservativer Wirtschaftspolitik. Dem Vorstoß von Kanzleramtschef Helge Braun, die Schuldenbremse auszusetzen, hat Laschet umgehend eine Absage erteilt.

Neuer CDU-Chefs muss Merz-Anhänger einbinden

„Die CDU braucht keinen ‚Rechtsruck‘, der ist sowieso zum politischen Kampfbegriff geworden“, sagt Politikprofessor Niedermayer: „Aber eine Neujustierung der drei Säulen, auf denen ihr Wertefundament seit jeher ruhte: dem wirtschaftspolitischen Liberalismus, dem gesellschaftspolitischen Konservatismus und dem christlich-sozialen Menschenbild.“

Zu den wichtigsten Aufgaben des neuen Parteichefs gehöre es nun „die Merz-Anhänger in der Partei und unter den Wählern durch wirtschaftsliberale und konservative inhaltliche Angebote einzubinden“, um Geschlossenheit herzustellen. Nur so könne die CDU ihr Wählerpotenzial optimal auszuschöpfen, gibt sich Niedermayer überzeugt. Nötig sei „eine Revitalisierung des traditionellen Markenkerns der CDU, der Wirtschaftskompetenz, und ein stärkeres Eingehen auf konservative Werthaltungen, um die CDU-Kompetenz vor allem im Bereich der inneren und äußeren Sicherheit zu verdeutlichen“.

Die Ruhe in der Partei ist trügerisch

Doch hier steht ein entsprechendes Angebot an das Lager der Merz-Anhänger noch aus. Merz selbst hatte noch auf dem Parteitag einen Versuch gemacht, ein Regierungsamt für sich erzwingen – indem er sich als Wirtschaftsminister anstelle von Peter Altmaier anbot. Laschet lehnte ab, zumal er diese Entscheidung gar nicht treffen kann.

Es ist die Aufgabe der Kanzlerin, die einen Teufel tun würde, sich den Erzrivalen Merz auf den letzten Metern ihrer Kanzlerschaft an den Kabinettstisch zu holen. Das Versprechen eines Postens für die Zeit nach der Bundestagswahl (im Fall eines Wahlsiegs) dürfte aber weder Merz noch seinen Fans ausreichen.

Derzeit herrscht Ruhe in der Partei. Doch die ist trügerisch. Laschet muss es gelingen, sein flügelintegrierendes Modell aus NRW in der Bundespartei glaubwürdig zu reproduzieren. Verliert er die Merz-Anhänger und damit das „rechte“ Lager innerhalb der CDU, hat diese als Volkspartei kaum eine Überlebenschance.