Berlin. Nach den Ausschreitungen am Kapitol in Washington wollen mehrere Demokraten Trump aus dem Präsidentenamt entfernen. Ist das möglich?

  • Donald Trump steht nach dem Sturm auf das Kapitol im Fokus: Dem US-Präsident werden schwere Vorwürfe gemacht
  • Viele sehen ihn verantwortlich für das, was sich am Mittwoch in und um das Kapitol in Washington abgespielt hat
  • Einige demokratische Politiker drängen deshalb auf ein neues Amtsenthebungsverfahren gegen den scheidenden Präsidenten oder seine Absetzung durch einen Verfassungszusatz
  • Könnte dies noch zum vorzeitigen Ende von Trumps Präsidentschaft führen? Wir beantworten alle Fragen

Nach dem Sturm auf das US-Kapitol durch randalierende Trump-Anhänger werden Forderungen nach einer Absetzung des Präsidenten immer lauter. Der Vorwurf: Der Präsident habe den Mob durch seine unbelegten Vorwürfe vom „Wahlbetrug“ erst angestachelt.

Einige demokratische Kongressabgeordnete appellierten an Vizepräsident Mike Pence, Donald Trump auf Basis eines Verfassungsartikels für amtsunfähig zu erklären. Nach US-Medienberichten haben auch hochrangige Mitglieder der Regierung darüber beraten. Andere verlangten ein erneutes Impeachment-Verfahren.

Alle wichtigen Infos zum Sturm auf das Kapitol lesen Sie im US-Newsblog.

Wie wahrscheinlich es ist, dass Trump tatsächlich noch vor Ende seiner Amtszeit aus dem Weißen Haus ausziehen muss, ist unklar. In 14 Tagen soll bereits sein Nachfolger Joe Biden als neuer Präsident vereidigt werden. Was ein Amtsenthebungsverfahren oder eine Disqualifizierung Trumps für das Amt bedeuten würde, erklärt der folgende Überblick.

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Wie funktioniert das Amtsenthebungsverfahren in den USA?

Im Gegensatz zur deutschen Bundeskanzlerin, die jederzeit vom Parlament abberufen und auch von der eigenen Fraktion gestürzt werden kann, kann der US-Präsident oder die Präsidentin nicht vom Kongress aus politischen Gründen abgewählt werden. Statt einem Misstrauensvotum wie in Deutschland sieht die US-Verfassung dagegen die Möglichkeit der Amtsenthebung (Impeachment) vor.

Die Hürden für ein solches Verfahren sind aber sehr hoch. Das Staatsoberhaupt kann nur von einer Mehrheit beider Parlamentskammern des Kongresses des Amtes enthoben werden. Als Gründe für das Impeachment nennt die Verfassung „Verrat, Bestechung oder andere schwere Verbrechen und Vergehen“ - eine nähere Definition gibt es nicht. Zur Verurteilung und Amtsenthebung des Präsidenten braucht es eine Zweidrittelmehrheit der anwesenden Senatorinnen und Senatoren, die eigens für dieses Verfahren unter Eid genommen werden.

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Was droht Donald Trump nun?

Der Präsident könnte vom eigenen Kabinett unter Führung von Vizepräsident Mike Pence abgesetzt werden. Festgehalten ist dies im 25. Zusatzartikel („Amendment“) zur US-Verfassung. Dieser befasst sich mit der Möglichkeit, dass „der Präsident unfähig ist, die Befugnisse und Obliegenheiten seines Amtes wahrzunehmen“. Vorgesehen ist ein solcher Schritt für den Fall einer schweren Erkrankung oder geistiger Probleme des Präsidenten.

Pence und eine Mehrheit des Kabinetts müssten gegenüber dem Kongress erklären, dass Trump amtsunfähig sei - es wäre eine historische Premiere in den USA. Der Vize würde dann sofort die Amtsgeschäfte des Präsidenten übernehmen. Trump könnte sich dem aber mit einer Gegenerklärung widersetzen. Entscheiden müsste letztlich der Kongress mit Zweidrittelmehrheiten in Senat und Repräsentantenhaus. Er hätte dafür 21 Tage Zeit. Lesen Sie auch: USA: Sturm aufs Kapitol – Chronik einer Eskalation

Wird Mike Pence weiter zu Donald Trump stehen? Er könnte bei einer vorzeitigen Absetzung des Präsidenten eine wichtige Rolle spielen.
Wird Mike Pence weiter zu Donald Trump stehen? Er könnte bei einer vorzeitigen Absetzung des Präsidenten eine wichtige Rolle spielen. © Erin Schaff/Pool The New York Times/dpa | Erin Schaff/Pool The New York Times/dpa

Ist ein neues Impeachment möglich?

Gegen Donald Trump wurde im Herbst 2019 schon einmal ein Verfahren eingeleitet. Hintergrund war die Ukraine-Affäre. Das von den Demokraten dominierte Repräsentantenhaus hatte Trump deswegen wegen Machtmissbrauch und Behinderung des Kongresses angeklagt. Im Februar vergangenen Jahres wurde Trump vom damals republikanisch dominierten Senat freigesprochen.

Laut US-Verfassung kann ein Präsident wegen „Verrats, Bestechung oder anderer hoher Verbrechen und Vergehen“ seines Amtes enthoben werden. Für die Anklageerhebung gegen Trump wäre eine einfache Mehrheit im Repräsentantenhaus ausreichend. Für eine tatsächliche Amtsenthebung wäre dann aber eine Zweidrittelmehrheit im Senat nötig. Nicht zuletzt wegen des komplizierten und langen Verfahrens gilt ein neues Impeachment derzeit als unwahrscheinlich.

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Könnte Trump nach einer Verurteilung im Amtsenthebungsverfahren erneut kandidieren?

Sollte es dennoch zu einer Amtsenthebung des scheidenden US-Präsidenten kommen, wären auch dessen Pläne für eine erneute Kandidatur in 2024 in Gefahr. Wer durch „Impeachment“ aus dem Amt entfernt wird, hat meistens kein Recht auf eine erneute Kandidatur.

Maßgeblich ist hier aber die Formulierung der Anklage – ob offiziell oder inoffiziell: So enthielten die Artikel gegen Richard Nixon in 1974 keine Formulierung in Bezug auf seine weitere politische Laufbahn. Nixon sollte lediglich des Präsidentenamtes enthoben werden, trat aber vorher zurück. In der Anklage gegen Bill Clinton 1998 hieß es aber, dass es erforderlich sei, ihn „für jedes Amt in den Vereinigten Staaten zu disqualifizieren“. Dieselbe Formulierung befand sich auch in der Anklageschrift gegen Trump aus dem Verfahren 2019/2020.

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Sollte ein erneutes Amtsenthebungsverfahrung gegen ihn erfolgreich sein und enthielte die Anklage diese Formulierung, so könnte Trump nie wieder für ein politisches Amt in den USA kandidieren.

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Was kann Trump noch anrichten?

Der Präsident hat zwar am Donnerstag erstmals eine „geordnete“ Amtsübergabe zugesagt. Gleichzeitig fügte er hinzu: „Das ist nur der Anfang unseres Kampfes.“ Trump hat seine Anhänger durch Verschwörungstheorien vom „Wahlbetrug“ politisch unter Strom gesetzt. Es ist durchaus möglich, dass die gewaltbereiten Trump-Fans zur Amtseinführung des neuen Präsidenten Joe Biden am 20. Januar erneut mobil machen. Dies könnte auch in den Tagen davor passieren. Angesichts des aufgeheizten politischen Klimas könnte es zu gewaltsamen Zusammenstößen mit radikalisierten Gegen-Demonstranten kommen.

Die Lage ist bis zum 20. Januar ist höchst angespannt. Rein theoretisch könnte Trump das Kriegsrecht verhängen, das ihm Sondervollmachten gäbe. Nach Berichten von US-Medien soll der Präsident darüber kurz vor Weihnachten mit seinem ehemaligen Sicherheitsberater Michael Flynn und der Anwältin Sidney Powell gesprochen haben. Dabei sei es auch um mögliche Militäreinsätze innerhalb der USA gegangen. Trump hatte dies später dementiert.

Kann Trump noch einen Krieg anfangen?

Auch dieses Szenario kann nicht völlig ausgeschlossen werden. So soll Trump im November über einen Angriff auf iranische Atomanlagen nachgedacht haben, berichtete die „New York Times“. Unter anderem hätten ihm Vizepräsident Mike Pence, Außenminister Mike Pompeo und der amtierende Verteidigungsminister Christopher C. Miller abgeraten.

Für bewaffnete US-Einsätze gibt es allerdings gesetzliche Hürden. Nach dem „War Powers Act" von 1973 kann der Präsident nur in einem Notfall für 60 Tage Kampftruppen entsenden, ohne ein Mandat oder eine Kriegserklärung vom Kongress erwirkt zu haben. Diese Zeitspanne kann auf maximal 90 Tage ausgedehnt werden. Anders sieht die Lage aus, wenn der Präsident keine Soldaten entsendet, sondern nur Drohnen oder Raketen einsetzt wie bei der Tötung des iranischen Generals Qassem Soleimani am 3. Januar 2020 in Bagdad. Laut US-Verteidigungsministeriums hat Trump in diesem Fall den „Präzisionsangriff" als „defensive" Maßnahme zum Schutz von US-Personal im Ausland angeordnet. Offen bleibt, auf welcher Rechtsgrundlage konkret Trump diese Mission befahl.

Wie hat sich das US-Militär positioniert?

Es ist kein Zufall, dass zehn ehemalige US-Verteidigungsmister kürzlich gemeinsam davor gewarnt haben, das Militär im Streit über die Wahlergebnisse zu missbrauchen. Die Streitkräfte einzuschalten, würde die USA in „gefährliches, gesetzeswidriges und verfassungswidriges Gebiet bringen", schrieben die Republikaner und Demokraten. Auch Mark Esper und James Mattis, die unter Trump gedient hatten. Auch interessant: Twitter und Facebook ergreifen "Notmaßnahmen" gegen Trump

Bereits bei den Anti-Rassismus-Kundgebungen („Black Lives Matter“) im vergangenen Juni hatte sich das Militär eindeutig positioniert. Generäle wiesen die Drohung Trumps, die reguläre Armee gegen Demonstranten und Randalierer einsetzen, zurück. Generalstabschef Mark Milley erinnerte alle Soldaten daran, dass sie einen Eid auf die Verfassung geschworen hätten - nicht auf Trump. Diese garantiere Versammlungs- und Redefreiheit.

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(mit Zitaten von dpa)