Berlin. Der Chef der Wirtschaftsweisen, Lars Feld, sieht das Konjunkturpaket skeptisch. Vor allem vom Kinderbonus hält der Volkswirt nichts.

In der Nacht haben sich die Spitzen der Koalition auf das größte Konjunkturprogramm in der Geschichte der Bundesrepublik verständigt. Am nächsten Morgen sitzt Lars Feld, der Vorsitzende des Sachverständigenrats, in seinem Freiburger Büro und bewertet die Beschlüsse im Videointerview mit unserer Redaktion.

Wie schwer trifft Corona die deutsche Wirtschaft?

Lars Feld: Wir werden gegen Ende des Monats ein Konjunktur-Update vorlegen. Unsere Prognose vom März, in der wir drei Szenarien ausgebreitet haben, werden wir nach unten korrigieren müssen. Der Lockdown hat länger gedauert und die Außenwirtschaft wird härter getroffen als erwartet. Vor allem im Hinblick auf die USA waren wir deutlich zu optimistisch. Wir haben in diesem Jahr einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts zu erwarten, der voraussichtlich zwischen minus 6 Prozent und minus 7 Prozent liegen wird.

War der Shutdown härter – und schädlicher für die Unternehmen – als nötig?

Feld: Der Schutz der Gesundheit hat Vorrang. Es geht darum, die Anzahl der Todesfälle so gering wie möglich zu halten. Daher war der Lockdown aus meiner Sicht notwendig. Ich habe auch in der Corona-Arbeitsgruppe der Nationalakademie Leopoldina darauf gedrängt, vorsichtig zu sein bei der Öffnung. Eine schnelle zweite Welle mit einem zweiten Lockdown wäre wesentlich schädlicher. Wenn es uns gelingt, die zweite Welle in den nächsten Winter zu verschieben, sind wir viel besser vorbereitet und können wahrscheinlich einen Lockdown verhindern.

Wie wirkt das 130-Milliarden-Konjunkturpaket der Regierung? Kommt die Wirtschaft – wie Finanzminister Olaf Scholz glaubt – „mit Wumms aus der Krise“?

Feld: Ich halte nichts von martialischen Äußerungen. Das Konjunkturpaket bringt aber durchaus einen kräftigen Schub. Bei den einzelnen Maßnahmen ist mehr Licht als Schatten. Manches ist mir zu kleinteilig. Was beispielsweise das Tierwohl bei der Konjunktur zu suchen hat, das weiß ich wirklich nicht.

Welchen Effekt erwarten Sie von der vorübergehenden Mehrwertsteuersenkung?

Feld: Das ist unklar. Den Konsum regt die Mehrwertsteuersenkung nur an, wenn sie in den Preisen weitergegeben wird. Nur dann können wir im letzten Quartal dieses Jahres einen höheren Konsum erwarten. Wir haben Erfahrungen mit der Reduktion des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes. Das war die berühmte Mövenpicksteuer, die so gut wie gar nicht an die Kunden weitergegeben wurde. Die Hoteliers haben das als Subvention eingestrichen. Die Mehrwertsteuersenkung soll außerdem nur bis Jahresende gelten. Daher bringt sie nicht die großen Entlastungen, die bei einem solchen Produktivitätsschock wie der Corona-Krise notwendig wären. Im Übrigen halten sich die Leute ja mit dem Konsum zurück, weil sie eine Ansteckung mit dem Coronavirus fürchten. Und dieses Problem wird nicht behoben – weder mit einer Mehrwertsteuersenkung noch mit einem Kinderbonus…

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… vor dem Sie früh gewarnt haben. Warum genau?

Feld: Ein Kinderbonus bringt einfach wenig, wenn man auf die konjunkturelle Wirkung abstellt. Die Verunsicherung durch die Pandemie ist zu groß, als dass dieses Geld den Konsum merklich ankurbeln würde. Außerdem gibt es immer noch behördliche Einschränkungen. Man kann das Geld ja nicht nutzen, um ein Festival zu besuchen und sich Lady Gaga oder die Foo Fighters reinzuziehen.

Wenigstens bleibt Ihnen eine allgemeine Kaufprämie für Autos erspart.

Feld: Darüber bin ich wirklich froh. Eine Autoprämie für Verbrenner wäre kontraproduktiv gewesen. Wir müssen in Zukunftstechnologien investieren.

Die Kommunen vermissen eine Altschuldenregelung. Wie beurteilen Sie die Hilfen für Städte und Gemeinden?

Feld: Die stärkere Übernahme der Kosten der Unterkunft durch den Bund ist eine zielführende Maßnahme. Die Übernahme der Altschulden von besonders hoch verschuldeten Kommunen ist glücklicherweise unterlassen worden. Ich freue mich, dass sich hier die Vernunft durchgesetzt hat. Das Problem der Altschulden liegt bei den Ländern, die verantwortlich sind für die Kommunen. Es ist die Aufgabe der Länder, sich um die finanzielle Ausstattung ihrer Städte und Gemeinden zu kümmern. Manche scheinen das vergessen zu haben. Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz haben offenbar darauf gewartet, dass der Bund sie raushaut. Ich bin froh, dass das so nicht läuft.

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Wie sollen die Staatsfinanzen nach der Krise wieder in Ordnung gebracht werden? Aus der SPD kommen dazu schon Vorschläge, etwa ein Lastenausgleich wie nach dem Zweiten Weltkrieg …

Feld: Allein die Diskussion über Steuererhöhungen ist in dieser konjunkturellen Phase sehr problematisch. Ich halte das für kontraproduktiv und weiß nicht, was diese Kommentatoren geritten hat. Wirtschaftspolitische Sachkenntnis kann es nicht gewesen sein. Es kommt doch darauf an, dass wir das Wachstumspotenzial der deutschen Volkswirtschaft steigern. Wir müssen Maßnahmen ergreifen mit dem Ziel, die Produktivität zu erhöhen, und zwar über dieses und nächstes Jahr hinaus. Es geht darum, einen Ausgleich zu schaffen - für den Produktivitätsschock der Corona-Krise wie für die Effekte der demographischen Entwicklung. Steuererhöhungen sind da Gift, absolut.

Worauf wollen Sie hinaus?

Feld: Wir sollten in der Krise die Ruhe bewahren, was die zusätzliche Verschuldung angeht. Die zehn Jahre seit der Finanzkrise haben gezeigt, dass wir von einer höheren Schuldenquote durch Konsolidierung wieder herunterkommen. Wenn wir Wirtschaftswachstum schaffen, laufen die Einnahmen ja von selber und die Arbeitslosigkeit sinkt. Darüber hinaus müssen wir sinnvolle Maßnahmen auf der Ausgabenseite ergreifen. Das gilt vor allem für die Sozialversicherungen. Die Beiträge dürfen insgesamt nicht über die Marke von 40 Prozent steigen, daher sollten auch die Leistungen im Rahmen bleiben. Ein erster Schritt bestünde darin, die Grundrente sein zu lassen. Sie belastet die Sozialversicherungen dauerhaft mit anderthalb bis zwei Milliarden Euro im Jahr.

Erwarten Sie, dass die große Koalition die Grundrente noch stoppt?

Feld: Ich fürchte, das wird nicht geschehen. Der politische Wille ist dafür nicht da. Eine andere Frage ist das Renteneintrittsalter. Ich empfehle dringend eine Kopplung des gesetzlichen Renteneintrittsalters an die fernere Lebenserwartung. Das würde nach dem Jahr 2030 eine allmähliche Erhöhung über 67 Jahre hinaus bedeuten. Daran führt meines Erachtens kein Weg vorbei.

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Wie viel Solidarität in Europa kann sich Deutschland in der Corona-Krise leisten?

Feld: Ich finde den Vorschlag von Angela Merkel und Emmanuel Macron, einen Wiederaufbaufonds im Rahmen des EU-Haushalts zu schaffen, am wenigsten schädlich. Corona-Bonds mit gesamtschuldnerischer Haftung wären deutlich problematischer. Ohne Finanztransfers, nur auf Basis von Krediten, wird eine Entlastung der hoch verschuldeten Staaten im Süden allerdings nicht erreichbar sein.

Wir dachten, Sie sind eher auf Seiten der „sparsamen Vier“ um den österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz…

Feld: Ich würde nicht in der vollen Summe von 500 Milliarden Euro auf Transfers setzen, wie es der Merkel-Macron-Plan macht. Zudem sollten wir die Empfängerstaaten dazu verpflichten, ihre Schulden zurückzuführen und Strukturreformen auf den Weg zu bringen. Hier bin ich eher bei Sebastian Kurz als bei den freigiebigen Regeln von Merkel und Macron. Und ich bin zuversichtlich: In der Frage von Reformen wird sich die Kanzlerin am Ende auf die Seite der „sparsamen Vier“ schlagen.

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