Berlin. Die AfD wirft mit Andreas Kalbitz einen ihrer radikalsten Vertreter raus. Jetzt stehen der Partei unruhige Zeiten bevor. Eine Analyse.

Hört man Jörg Meuthen zu, ist die ganze Angelegenheit vor allem eine unangenehme Formsache: Die Diskussion über die Frage, ob Andreas Kalbitz Mitglied der AfD bleibt, sei eine rechtliche gewesen, keine politische, erklärte der AfD-Chef am Wochenende im RBB. Die Entscheidung sei eine schmerzhafte gewesen.

Tatsächlich markiert die Entscheidung vom Freitag den Beginn es neuen Kapitels in einem erbitterten innerparteilichen Machtkampf – dem vielleicht heftigsten in der an Machtkämpfen nicht armen Parteigeschichte.

AfD schließt Andreas Kalbitz aus – Kontakte zur rechtsextremen Szene länger bekannt

Am Freitagnachmittag hatte der Bundesvorstand der Partei entschieden, Kalbitz’ Mitgliedschaft in der Partei mit sofortiger Wirkung für nichtig zu erklären. Grund war laut Partei, dass Kalbitz bei seiner Aufnahme die frühere Mitgliedschaft in der rechtsextremen und heute verbotenen „Heimattreuen Deutschen Jugend “ (HDJ) habe. Auch habe er eine Mitgliedschaft bei den Republikanern nicht angegeben.

Gestellt hatte den Antrag Parteichef Jörg Meuthen, sechs weitere Mitglieder des Bundesvorstands stimmten dafür – fünf dagegen. Eine Person enthielt sich.

Nach AfD-Rauswurf: Andreas Kalbitz’ Unterstützer schlagen martialische Töne an

Andreas Kalbitz will gegen die Beendigung seiner AfD-Mitgliedschaft juristisch vorgehen.
Andreas Kalbitz will gegen die Beendigung seiner AfD-Mitgliedschaft juristisch vorgehen. © AFP | Ronny Hartmann

Die Partei entledigte sich damit einer kontroversen Figur. Kalbitz, bis Freitag Chef des Brandenburger Landesverbands, war neben Björn Höcke der wichtigste Kopf des sogenannten „Flügels“, einer parteiinternen Gruppierung, die der Verfassungsschutz Anfang dieses Jahres offiziell als rechtsextrem einstufte. Lesen Sie hier: AfD-Mann Kalbitz räumt Teilnahme an Neonazi-Aufmarsch ein

Kalbitz selbst geht von einer politisch motivierten Entscheidung aus. Seine Verbündeten, Mitglieder und Anhänger des mittlerweile offiziell aufgelösten „Flügels“ teilen diese Auffassung: Sie meldeten sich am Wochenende mit martialischen Tönen zu Wort. Einer der ersten war Stephan Brandner. Der stellvertretende Parteichef und Bundestagsabgeordnete forderte auf Twitter einen Bundesparteitag, auf dem jedes Mitglied des Vorstands die Gründe für seine Entscheidung darlegen könne. „Ich war übrigens bei den Fünfen“, schrieb er – denen, die für Kalbitz gestimmt hatten. Auch zahlreiche andere Funktionäre, aus Kalbitz’ ehemaligen Landesverband Brandenburg, aber auch anderen Ländern solidarisierten sich.

Björn Höcke zum Kalbitz-Rauswurf aus der AfD: „Verrat“

Thüringens AfD-Vorsitzender und Fraktionschef Björn Höcke spricht nach dem Kalbitz-Rauswurf von „Verrat“; er werde eine „Spaltung“ der AfD nicht zulassen.
Thüringens AfD-Vorsitzender und Fraktionschef Björn Höcke spricht nach dem Kalbitz-Rauswurf von „Verrat“; er werde eine „Spaltung“ der AfD nicht zulassen. © AFP | JOHN MACDOUGALL

Björn Höcke, bekanntestes Gesicht des „Flügels“ und enger Verbündeter des geschassten Landeschefs, ließ sich Zeit mit einer Äußerung. Dann meldete er sich in einer Video-Botschaft auf seiner Facebook-Seite zu Wort: Wer Argumente von Parteigegnern aufgreife und sie gegen Parteifreunde wende, der begehe „Verrat an der Partei“, so der Thüringer. Meuthen und die stellvertretende AfD-Vorsitzende Beatrix von Storch „wollen eine andere Partei“, so Höcke. Er werde „die Spaltung und Zerstörung“ der Partei nicht zulassen.

Aus anderen Ecken kam Applaus für die Entscheidung: Uwe Junge, Fraktionsvorsitzender der Partei in Rheinland-Pfalz, nannte den Rauswurf einen „überfälligen Befreiungsschlag“.

Kalbitz’ Verbindungen zur rechtsextremen Szene für AfD lange keine Problem

Lange Zeit waren Kalbitz’ Verbindungen in die rechtsextreme Szene kein Problem für seine Arbeit in der Partei: Er führte seit 2017 die Landtagsfraktion in Brandenburg, wurde 2019 – mit einer hauchdünnen Mehrheit – erneut in den Bundesvorstand gewählt. Dabei waren die Kontakte zur HDJ bereits seit 2018 bekannt. Dass er bei den Republikanern war, hatte Kalbitz öffentlich nie geleugnet.

Doch unter dem Auge des Verfassungsschutzes wurde der „Flügels“ zum Problem, die Beobachtung der Gesamtpartei steht im Raum. Parteichef Jörg Meuthen, früher gern gesehener Gast bei „Flügel“-Treffen, ging deshalb auf Distanz und schlug in einem Interview sogar vor, der „Flügel“ könne ja eine eigene Partei gründen. Denn die drei ostdeutschen Landtagswahlen, wo „Flügel“-dominierte Landesverbände große Erfolge für die Partei eingefahren hatten, sind vorbei. Der Parteichef blickte auf die Bundestagswahl – und fürchtete vor allem in Westdeutschland Stimmeinbußen wegen des Brandmals der Radikalen. Auch interessant: Verfassungsschutz warnt vor „Scheinauflösung“ des „Flügels“

Meuthen setzt sich durch – Hält der Beschluss?

Fürs Erste hat sich Meuthen durchgesetzt. Fraglich ist, ob der Beschluss hält. Alexander Gauland, Ehrenvorsitzender der Partei und Fraktionschef im Bundestag, war gegen den Rauswurf, den er für juristisch nicht tragfest hält. Er sagte der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“, der Aufnahmeantrag, um den es geht, sei nicht mehr auffindbar. Damit stehe die Entscheidung vom Freitag auf der Kippe. Meuthen dagegen sagte der Zeitung, es gebe mindestens zwei Zeugen, die sich genau an die Prüfung des Inhalts des Aufnahmeformulars erinnern könnten. Daher gehe er „natürlich“ davon aus, dass der Rauswurf Bestand habe.

Kalbitz selbst hat bereits angekündigt, Rechtsmittel gegen die Entscheidung einlegen zu wollen. Sollte er Erfolg haben, würde er gestärkt in die Partei zurückkehren.