Berlin. Erneut stehen „Reichsbürger“ vor Gericht. Wie gefährlich ist diese Bewegung – und was wollen ihre Mitglieder erreichen? Ein Überblick.

Die Frage, wie gefährlich sogenannte Reichsbürger sind, ist umstritten. Das zeigt sich bereits im Umgang der Behörden mit der Bewegung: Obwohl der aktuelle Jahresbericht des Bundesamts für Verfassungsschutz das Wort „Reichsbürger“ in keinem Satz erwähnt, warnen zahlreiche Landesbehörden vor ihrem Gewaltpotenzial.

Aktuell hat die Polizei bei bundesweiten Razzien Rechtsextreme festgenommen, der Hauptbeschuldigte aus Baden-Württemberg soll ein „Reichsbürger“ sein. Wurde die Gefahr, die von sogenannten Reichsbürgern ausgeht, unterschätzt? Oder handelt es sich um harmlose Spinner? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

• Woran glauben die „Reichsbürger“?

Die Anfänge ihrer Gedankenwelt reichen zurück in die Gründungszeit der Bundesrepublik. „Reichsbürger“ behaupten, die Bundesrepublik sei illegal entstanden und existiere deshalb nicht als souveräner Staat. Stattdessen sind sie überzeugt, das Deutsche Reich bestehe bis heute fort. Häufig legen sie die Grenzen von 1937 zugrunde.

Sie stellen das komplette politische System infrage – mit weitreichenden Konsequenzen: Weil die BRD in ihren Augen kein Staat ist, erkennen Sie Ordnungshüter und Verwaltung nicht an. Vor diesem Hintergrund sprechen sie dem Grundgesetz, Behörden und Gerichten die Legitimität ab und akzeptieren amtliche Bescheide nicht.

• Welche Personen zählen dazu?

In Georgensgmünd in Bayern hat im Oktober 2016 ein „Reichsbürger“ einen Polizisten tödlich verletzt.
In Georgensgmünd in Bayern hat im Oktober 2016 ein „Reichsbürger“ einen Polizisten tödlich verletzt. © dpa | Daniel Karmann

Das ist schwer zu sagen, weil sich ganz unterschiedliche Menschen zu den „Reichsbürgern“ zählen. Ein Sprecher des Verfassungsschutzes Bayern formuliert es so: Zu ihnen gehören „Querulanten, Spinner, Verschwörungstheoretiker und Geschäftemacher, aber auch Rechtsextremisten“.

Laut Experten handelt es sich um ein diffuses Sammelsurium, lose Zusammenschlüsse: Politisch interessierte Trachtenvereine, esoterisch angehauchte Gruppierungen, bis hin zu Gewalttätern mit rechtsextremem Hintergrund. Die Gruppierungen sind laut Verfassungsschutz Sachsen-Anhalt auch untereinander zerstritten. So schließen sich spätestens seit 80er-Jahren „Reichsbürger“ zu sogenannten Reichsregierungen zusammen – sektenartige kleine Gruppen, die auch untereinander konkurrieren.

Mitte März wurde der 51-jährige Peter Fitzek in Halle zu drei Jahren und acht Monaten Haft verurteilt. Fitzek, der vom Verfassungsschutz den „Reichsbürgern“ zugerechnet wird und sich selbst zum „König von Deutschland“ ausgerufen hatte, wurde Untreue vorgeworfen. Er hatte 2012 ein eigenes Königreich ausgerufen und sich sogar krönen lassen. Er stand bereits mehrfach vor Gericht und wurde unter anderem wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis verurteilt.

Etliche Akteure sind nach Einschätzung von Verfassungsschützern auch in der rechtsextremen Szene aktiv. Zahlen nennt das Bundesamt für Verfassungsschutz aber nicht.

Darum sind die Reichsbürger gefährlich

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    • Wie gewaltbereit sind die „Reichsbürger“?

    In den vergangenen Monaten kam es immer wieder zu Gewalttaten durch „Reichsbürger“. Die Behörden beobachten dabei die Affinität zu Schusswaffen in der Bewegung. Im Oktober 2016 etwa wurde in Franken ein Polizist erschossen, als die Beamten bei einem „Reichsbürger“ eine Razzia gestartet hatten. Ein weiterer Beamter wurde verletzt. Späte wurde bekannt, dass der Schütze Kontakte zu Polizeibeamten hatte.

    Im März gab es Razzien bei „Reichsbürgern“ in Bayern und Hessen. Dabei fielen den Fahndern zahlreiche Blankopapiere zur Herstellung von Urkunden, aber auch Waffen, Munition und Totschläger in die Hände.

    In Niedersachsen beispielsweise wurde seit November 19 mutmaßlichen „Reichsbürgern“ die Waffenerlaubnis entzogen. Landespolizeipräsident Uwe Binias sagte, er gehe davon aus, dass sich die Zahl noch erhöhen werde. Insgesamt stünden 109 Menschen in Niedersachsen unter dem Verdacht, „Reichsbürger“ zu sein und einen Waffenschein oder eine Waffenbesitzkarte zu haben.

    • Warum sind die „Reichsbürger“ ein Problem für Behörden?

    Zahlreiche Reichsbürger nutzen selbst erstellte Dokumente, wie gefälschte Reisepässe.
    Zahlreiche Reichsbürger nutzen selbst erstellte Dokumente, wie gefälschte Reisepässe. © dpa | Patrick Seeger

    Eine spezielle Untergruppe bilden die sogenannten Selbstverwalter. Der Verfassungsschutz Sachsen-Anhalt schreibt in einem Leitfaden: „Sie kommen im esoterischen Gewand daher, um Ziele zu verschleiern. Sie rufen ‘Königreiche’ aus und veranstalten eigenartige ‘Krönungszeremonien’.“ Im Zentrum stehen nicht selten Gurus oder selbst ernannte „Minister“ oder „Richter“. Diese beschäftigen zunehmend die Behörden. Zum größeren Problem wurden sie beispielsweise vor kurzem in Niedersachsen, wo sie die Behörden mit pseudo-juristischen Widersprüchen überschütteten.

    Probleme verursachte das zum Beispiel in Brandenburg. „Reichsbürger“ treten dort mittlerweile so zahlreich auf, dass der Verfassungsschutz des Landes allein in den Jahren 2012 bis 2014 mehr als 30 Info-Runden mit 2000 Beamten der Landes- und Kommunalverwaltungen veranstaltet hat.

    Im Frühjahr 2016 gab es im Brandenburger Finanzministerium zudem Überlegungen, ein Notrufsystem gegen „Reichsbürger“ einzuführen. In Hunderten Fällen haben sich die Behörden allein in Sachsen-Anhalt in den vergangenen Jahren mit sogenannten Reichsbürgern beschäftigen müssen. Allein in der Stadt Halle gab es rund 200 Fälle – zumeist ging es um die Verweigerung der Zahlung von Rundfunkgebühren. Auch Steuern und staatliche Abgaben sind aus ihrer Sicht illegal. Manche „Reichsbürger“ haben eigene Fantasiepapiere. Daraus machen einzelne auch ein Geschäft: Sie verkaufen falsche Führerscheine, Baugenehmigungen, Personal- und Dienstausweise. (mit Material von dpa/epd)