Braunschweig. SPD-Mitglieder aus der Region schwanken zwischen Großer Koalition und Neuwahlen. Die FDP-Basis unterstützt die Jamaika-Absage von Parteichef Lindner.

Unsere Leserin Frau Kröger fragt:

Die Entscheidung der SPD, weiterhin nicht für eine Große Koalition zur Verfügung zu stehen, ist eine reine Trotzhaltung. Stimmt die SPD-Basis in unserer Region dem Parteivorstand in dieser wichtigen Frage eigentlich zu?

Die Antwort recherchierte Andre Dolle

Bei der SPD ist die Unsicherheit groß. Das Scheitern der Jamaika-Sondierungen setzt die Partei unter Zugzwang: Was macht die SPD-Spitze um Martin Schulz, Andrea Nahles und Sigmar Gabriel nach dem Lindner-Manöver?

Lindner Schulz Montage

Schulz gilt wie Lindner als Verweigerer. Eine eindeutige Handlungsempfehlung kommt von der SPD-Basis aus unserer Region allerdings nicht. Im Gegenteil. Das ergab eine kleine Stichprobe unserer Zeitung bei Ortsverbänden zwischen Harz und Heide.

Umfrage Neuwahlen

Dabei hat sich unsere Region spätestens seit der Bundes- und Landtagswahl eine Art Sonderstellung innerhalb der SPD erarbeitet. Beide Male gingen sämtliche Direktmandate an die SPD. Seither gilt der Raum zwischen Harz und Heide als „roter Klops“, als „Bastion“. Ein klares Signal aus der Heimat von Außenminister Sigmar Gabriel und Generalsekretär Hubertus Heil wäre wichtig für die gesamte Partei.

Jens Kloppenburg, Vorsitzender der Goslarer SPD, stellte am Montag eine kleine Spitze gegen die FDP auf die Internetseite des Ortsvereins. Zu sehen ist das Wahlplakat der Liberalen mit Spitzenkandidat Lindner. Darunter der Slogan „Nichtstun ist Machtmissbrauch.“ An der Macht klebt die FDP offenbar nicht. Kloppenburg kommentierte das Plakat spitz mit den Worten: „Wir sind dann mal weg...“

Bei der SPD in Goslar ist die Bundespolitik derzeit das alles beherrschende Thema. Kloppenburg hat am Montag bis zu 30 Mails und Anrufe von besorgten Parteifreunden erhalten. Nächste Woche kommt der Ortsverein zu einer Sondersitzung zusammen. Einziges Thema: die SPD und die Bundespolitik. Die Goslarer wollen anschließend einen Brief an die SPD-Zentrale in Berlin schicken.

Noch aber sind die SPD-Mitglieder laut Kloppenburg vollkommen unentschlossen. Die einen sind für eine erneute Große Koalition, andere für Neuwahlen, die dritten für eine von der SPD tolerierte Minderheitsregierung unter Kanzlerin Angela Merkel. Kloppenburg selbst sagt: „Man kann eigentlich nur etwas falsch machen.“ Die SPD steht vor einem strategischen Dilemma: zuerst die Partei oder zuerst das Land? Müsste Kloppenburg sich entscheiden, würde er für eine Minderheitsregierung votieren, dann könne die SPD sich in der Opposition nach dem historischen Wahldesaster mit den nur eingefahrenen 20 Prozent inhaltlich und personell neu aufstellen. „Neuwahlen müssen wir den Bürgern ersparen“, sagt Kloppenburg. „Wahrscheinlich würden sowieso ähnliche Mehrheitsverhältnisse zustande kommen wie im September.“

Auch in der SPD in Wolfsburg ist die Bundespolitik derzeit ein „riesiges Thema“. Das sagt Ralf Krüger, SPD-Ortsratsmitglied in Fallersleben und Sülfeld. Er sagt: „Die SPD hat diese Situation nicht verursacht, sondern andere.“ Krüger tendiert zu einer Großen Koalition. Aber nicht aus Überzeugung, sondern rein aus Vernunftsgründen. „Es ist richtig, dass die SPD nach der Wahl gesagt hat: Wir gehen in die Opposition.“ Nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen gebe es nun aber eine neue Situation. „Die SPD sollte darüber nachdenken, ob sie sich nicht doch der Verantwortung stellt.“ Schließlich berge eine Neuwahl Risiken, womöglich werde die SPD weiter abgestraft und die AfD würde noch stärker. Von einer Minderheitsregierung hält Krüger nichts. „Wir brauchen eine stabile Regierung.“

Auch Sabine Zwiebler vom Peiner SPD-Ortsverein Vöhrum-Eixe-Röhrse lehnt eine von den Sozialdemokraten tolerierte Minderheitsregierung ab. Auch Schulz’ Absage an eine Große Koalition unterstützt sie. „Ich bin für Neuwahlen“, sagt Zwiebler, „auch wenn das die Gefahr birgt, dass das SPD-Ergebnis sich verschlechtern könnte.“ Das sei aber ein ganz schwieriges Thema. Ihr Ortsverein wolle darüber am Abend sprechen, so Zwiebler am Nachmittag am Telefon.

Hans-Peter Palm, Vorsitzender des SPD-Ortsvereins in Braunschweig-Rüningen, kann einer Minderheitsregierung hingegen durchaus etwas Positives abgewinnen – „auch wenn diese nur ein Jahr halten sollte“. Sofortige Neuwahlen lehnt er ab. „Die SPD muss sich erneuern. Niedersachsen hatten gerade erst zwei Wahlen hintereinander. Die Leute sind des Wählens müde geworden“, sagt Palm.

Unsere Redaktion hat sich die Freiheit genommen, die Frage unserer Leserin auf die FDP auszuweiten. Denn nicht nur Martin Schulz, auch Christian Lindner steht in der Kritik. Bei der FDP hingegen ist die Situation deutlich einfacher: Offenbar steht die Basis der Liberalen aus unserer Region hinter der Parteispitze und dem Aus für Jamaika.

Kristin Krumm trat für die FDP in Wolfsburg zur Bundestagswahl an. Sie sitzt im Rat der Stadt Wolfsburg und sagt: „Ich traue denen, die die Sondierungsgespräche für die FDP geführt haben und die Verhandlungen abgebrochen haben. Ich halte das grundsätzlich für richtig.“ Die FDP-Themen seien zu wenig berücksichtigt worden. Den Vorwurf, dass die FDP sich aus der Verantwortung stiehlt, lässt sie nicht gelten. „Es gehört Mut dazu, einen Schlussstrich zu ziehen. Das ist auch eine Form von Verantwortung.“ Neuwahlen fürchtet sie für die FDP nicht. „Die Menschen haben gesehen, dass wir für unsere Überzeugungen einstehen.“

Auch Gunda Reichenbach, Schatzmeisterin des FDP-Kreisverbands Wolfenbüttel, sagt: „Ich kann der Parteispitze nur zustimmen.“ Sie sagt aber auch: „Vergnüglich ist das alles nicht.“ Die Verhandlungsführer der FDP hätten kein Theater aufgeführt.

Über die SPD ist sie „wütend“. Diese müsse sich der Verantwortung stellen, die FDP habe es immerhin versucht. „Die Große Koalition als solche stand bei der Bundestagswahl doch gar nicht zur Wahl. Wie kann sie da abgewählt worden sein?“

Rüdiger Rodloff vom FDP-Kreisverband Gifhorn unterstützt den Kurs der Liberalen. „Jamaika wäre nie stabil geworden“, sagt er. Er hätte sich nur gewünscht, dass die Parteispitze um Lindner das Ende der Gespräche geschickter hätte verkaufen sollen. Neuwahlen sieht Rodloff kritisch: „Die anderen Parteien werden alles dafür tun, die FDP zum Sündenbock zu machen.“ Die FDP sei noch geschwächt. „Sie hatte sich gerade erst wieder aufgerappelt.“

Einen Kommentar zum Thema lesen Sie hier: Das Genossen-Dilemma