„Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier muss vermitteln, ausloten, moderieren, gleichzeitig ermahnen und Stärke zeigen.“

Die Rolle des Staatsoberhauptes ist in der deutschen Geschichte eine
äußerst zwiespältige. In der
Weimarer Verfassung hatte der Reichspräsident noch eine große Machtfülle, die Paul von Hindenburg auf unheilvolle Weise nutzte. Nach diesen Erfahrungen schränkten die Väter des Grundgesetzes die Befugnisse des Präsidenten bewusst stark ein.

Der Bundespräsident übernimmt als deutsches Staatsoberhaupt heute vor allem repräsentative Tätigkeiten. Als seine schärfste Waffe gilt das Wort. In parlamentarischen Krisenmomenten aber weist ihm die Verfassung eine wichtige Rolle zu. In dieser Situation befindet sich Deutschland nach dem Aus der Jamaika-Sondierungen zwischen CDU, CSU, FDP und Grünen. Mit dem erfahrenen Diplomaten Frank-Walter Steinmeier gibt es einen versierten Krisenmanager an der Spitze des Staates. Das ist beruhigend. Die ersten Monate blieb Steinmeier in seiner Rolle als Präsident eher farblos. Doch im Oktober überzeugte er mit seiner Rede zum Tag der Einheit, fand Worte zu Themen wie Heimat und Flüchtlinge, die nachhallen. Jetzt fällt ihm die entscheidende Rolle bei der Regierungsbildung zu. Er muss vermitteln, ausloten, moderieren, gleichzeitig ermahnen und Stärke zeigen. Eine heikle Aufgabe. Doch dem ehemaligen Außenminister geht es auch um Deutschlands Bild in der Welt. Es soll keinen Schaden nehmen. Steinmeier soll sich die Papiere der Jamaika-Verhandlungen bestellt haben, um zu erkunden, woran es denn nun genau gelegen hat. Neuwahlen wären vielleicht die einfachere Lösung, aber eine Minderheitsregierung will er nicht einfach deshalb ausschließen, weil es sie noch nicht gegeben hat. Lieber redet er noch einmal allen ins Gewissen. Der Bundespräsident schwört in seinem Amtseid, seine Kraft dem Wohle des Volkes zu widmen und Schaden von ihm zu wenden. Steinmeier nimmt das ernst.