Hannover. Die niedersächsische Landesregierung steht. Stephan Weil und Bernd Althusmann präsentieren sich als Partner und Pragmatiker.

Ein Leser, der sich auf unseren Facebookseiten Ulrich Vo nennt, schreibt:

Davon können sich die potenziellen Koalitionäre in Berlin eine Scheibe abschneiden. Etwas mehr Ernsthaftigkeit und etwas weniger Selbstdarstellung, das ist die Zauberformel.

Zum Thema recherchierte Michael Ahlers

Der Seminarraum im Haus C beim Landessportbund in Hannover sieht nicht so aus, als ob dort Geschichte gemacht wird, nicht einmal Landesgeschichte. Sogar die bei Politiker-Auftritten üblichen Stehpulte fehlten.

Mit einem knappen „Moin“ und „Guten Morgen“ passten sich die Männer, die buchstäblich Großes zu verkünden hatten, dem Ambiente an. Stephan Weil (SPD) und Bernd Althusmann (CDU) setzten sich also hinter einen einfachen Tisch, blickten kurz auf die Mikrofone und Kameras und verkündeten dann eine Große Koalition für Niedersachsen. „Wir sind uns einig geworden“, sagte Ministerpräsident Weil nüchtern. Ein „Höchstmaß an Professionalität“ bei den Verhandlungen lobte Althusmann. Und Weil wäre nicht Weil, garnierte er den Handel nicht noch mit ein bisschen Ironie. Es sei doch schön, wenn man im höheren Lebensalter neue Horizonte für sich erschließen könne, sagte Weil. Zwei Tage hatten SPD und CDU endverhandelt, richtig kritisch wurde es wohl nie.

Dass die Große Koalition kommen würde, war nach dem Nein der FDP zu einer „Ampel“ klar. Nur widerwillig war die FDP überhaupt mit der SPD zu einem Gespräch im Landtag zusammengekommen. Schon vorher hatte FDP-Generalsekretär Gero Hocker prophezeit, für eine größere Tasse Kaffee werde das Treffen gar nicht lange genug dauern. Entsprechend angefasst kam Weil seinerzeit aus dem Gespräch und konzentrierte sich dann auf einen Partner, der wollte: die CDU.

Deren Spitzenkandidat Bernd Althusmann, Ex-Kultusminister in Niedersachsen, hatte einen weitgehend verpatzten Wahlkampf hingelegt und dazu noch kräftigen Gegenwind einer schlecht sortierten Bundes-Union. Zum ersten Mal seit 1998 wurde die SPD bei der Landtagswahl im Oktober wieder stärkste politische Kraft in Niedersachsen, die CDU rutschte auf Platz 2 ab.

Man habe gar nicht geglaubt, „dass wir hier sitzen“, sagte Althusmann nun neben Weil, als Partner in der neuen Regierung. Die SPD wiederum, zunächst im Umfragen-Tief, genießt immer noch ihre erfolgreiche Aufholjagd und ihre Stellung als neue Nummer 1. Und war in den Verhandlungen überrascht, dass mit der CDU gut zu reden war. „Auf Augenhöhe“ seien beide Partner, betonte Althusmann – eine Formulierung, die der CDU-Mann seit längerem wiederholt. Dass die Regierungsbildung in Hannover so viel glatter ging als im Bund, erklärt sich aus dem gemeinsamen Interesse am Regieren, den offenbar leichter beherrschbaren Egos – und daran, dass eben zwei Partner leichter zusammengehen als vier. Um die vielbeschworene Augenhöhe sicherzustellen, gibt es jeweils fünf Ministerien. Die SPD beharrte auf dem Innenministerium, das weiter Boris Pistorius führt. Dafür durfte die CDU ein erweitertes Wirtschaftsministerium für Althusmann sowie auch das wichtige Finanzministerium besetzen.

Der Rest wurde entsprechend zusammengebastelt. Wirtschaftsminister Olaf Lies etwa, neben Pistorius und dem scheidenden Finanzminister Peter-Jürgen Schneider der große Aktivposten der SPD in der rot-grünen Regierung, wechselt nun nicht ins Finanz-, sondern ins Umweltressort. Der frühere Landtagsabgeordnete Grant Hendrik Tonne soll für die SPD als Kultusminister die Schulen befrieden, der frühere CDU-Fraktionschef Björn Thümler darf nun als Minister Wissenschaftspolitik machen. Neu ist ein Bundes- und Europaministerium, das es früher in Niedersachsen schon gab. Die SPD-Bundestagsabgeordnete Carola Reimann aus Braunschweig, neue Sozial- und Gesundheitsministerin, soll die Fahne der Region in der neuen Regierung hochhalten. „Wir sind stolz darauf, dass Carola Reimann dem Kabinett angehören wird“, erklärte SPD-Bezirkschef Hubertus Heil. Die Region werde mit einer starken Stimme vertreten sein. Das soll möglichst auch für die Staatssekretäre gelten.

Weil betonte die Qualität der Koalitionsvereinbarung, deren genaue Analyse aber noch aussteht. Mehr Polizei, mehr Lehrer, schneller Lückenschluss bei Autobahnen sind Ankündigungen, die bei SPD und CDU nicht strittig sind. Auch einen zusätzlichen Feiertag für Niedersachsen hatten beide Seiten befürwortet, der Reformationstag oder der Buß- und Bettag gelten als Kandidaten.

Doch es gibt auch heiklere Bereiche. In der Asylpolitik etwa sollen laut Althusmann „Rückführungen“ auch aus Erstaufnahmeeinrichtungen erfolgen, und der „Unterbindungsgewahrsam“ etwa zur Abwehr von Terror wird deutlich verlängert. Bei der Inklusion behinderter Kinder soll es längere Übergangszeiten geben, Förderschulen also länger bestehen können. Was all das im Detail bedeutet, wird sich noch klären.

„Wir stellen heute fest, dass wir einen Koalitionsvertrag gefunden haben, der die linke Handschrift der SPD – ich glaube, Sie sind Linkshänder – und die rechte Handschrift der CDU trägt“, sagte Althusmann im Landessportbund. Beim gemeinsamen Regieren werden beide Partner wohl noch herausfinden, an welchen Stellen wessen Handschrift zu lesen ist.

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