„Niedersachsen jedenfalls muss sich vor Rot-Schwarz nicht fürchten. Falls SPD und CDU ihrer Verantwortung gerecht werden.“

„Lasst uns der Lage Vorteil überschaun. Ruft ein’ge Männer von bewährtem Rat. Lasst Zucht uns halten und nicht lässig ruhn, denn, Lords, auf morgen gibt’s vollauf zu tun.“


Shakespeare, Richard III.

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Die einen Experten sagen, es gebe die Liebe auf den ersten Blick, die anderen bestreiten es. Unstreitig ist, dass viele besonders haltbare Beziehungen das Ergebnis einer schrittweisen Annäherung sind. Nehmen wir Herbert Diess, den Chef der Marke Volkswagen, und den Betriebsratsvorsitzenden Bernd Osterloh. Da hat es anfänglich nicht wirklich gefunkt – es sei denn, man verstünde darunter den schlagartigen Energiefluss mit Lichtbogen und Knall. Heute stellen wir einen tragfähigen Grundkonsens fest, der der Sanierung der Kern-Marke erkennbar gut getan hat. Die neue Transparenz der Kosten und Strukturen, die Spar-Kur, die Modell-Offensive und natürlich der anhaltende Erfolg der Marke VW auf wichtigen Märkten bescherten Diess’ Unternehmen außerordentlich erfreuliche Zahlen.

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Es ist ein Segen angesichts der Milliardenstrafen und teuren Reparaturen an abgasmanipulierten Fahrzeugen – und weil ausgerechnet die bisher als schwer manövrierbar geltende Marke Volkswagen dem ganzen Konzern vormacht, dass sich klare Entscheidungen und ehrgeizige Maßnahmen auszahlen. Da ist es dann nicht mehr ganz so wichtig, ob Führungskräfte Mitglieder der IG Metall sind oder nicht.

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Leider ist inzwischen fast ausgeschlossen, dass FDP und Grüne in Niedersachsen etwas aus der Wolfsburger Beziehungskiste lernen. Die Liberalen verweigern sich der Gestaltung der Landespolitik, weil sie nicht mit Rot und Grün zusammenarbeiten wollen. Die Grünen zeigen dieselbe Hartleibigkeit gegenüber CDU und FDP. Der kluge Braunschweiger Kaufmann Carl Langerfeldt, ein treuer, selbst denkender Christdemokrat, schrieb diese Woche: „Stefan Birkner sagt: Wir sind unseren Wählern verpflichtet und kommt dieser Verpflichtung nicht nach. Die Wähler wollten eine Landesregierung mit liberalem Einschlag durch Beteiligung der FDP; absolut zweitrangig, in welcher Koalition. Stefan Birkner sagt: Wir sind für ein differenziertes Schulwesen und nicht für eine Gleichmacherei und weigert sich, dafür durch Regierungsbeteiligung politisch wirksam mit vernünftigen Kompromissen zu arbeiten. Stefan Birkner stellt seine Prinzipien und die seiner Gefolgsleute über die Verantwortung, im Rahmen des Möglichen praktische liberale Politik zu verwirklichen; vermutlich hat er auch Angst vor eigenem Gesichtsverlust als Umfaller, was keinen Wähler interessiert.“ Dem ist nichts hinzuzufügen, außer, dass man den Grünen sehr Ähnliches nachsagen müsste.

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Es wird also auf eine Große Koalition in Niedersachsen hinauslaufen. Bernd Althusmann nahm die Wahlniederlage mit beeindruckender Sachlichkeit auf. Nichts war da von verletzter Seele und politischer Eitelkeit zu spüren. Die Union sei zur Übernahme von Verantwortung bereit, sagte er schon kurz nach der Wahl. Und so scheinen sich der amtierende Ministerpräsident und SPD-Chef Stephan Weil und sein wichtigster Kontrahent aufeinander zuzubewegen. Selbstverständlich ist das nicht, auch angesichts der in dieser Schärfe nicht immer zwingend notwendigen Wahlkampfauseinandersetzungen.

Die Große Koalition in Berlin hatte das Negativimage dieser Konstellation bestätigt – Einigung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner statt durchgreifender Projekte zu den Schlüsselfragen unserer Zeit, Klientelpflege statt Blick für das Große und Ganze. Aber wie beim Beton ist auch bei der Groko stets die Frage, was man daraus macht.

Rechnet man eine zwischen Größenwahn und Existenzangst changierende CSU aus der Gleichung heraus, wäre auch die Berliner Koalition für ganz andere Ergebnisse gut gewesen. Man wird ja sehen, ob die Alternative in den freundlichen Farben Jamaikas überhaupt zustande kommt (und ob unser Land wegen fauler Kompromisse zwischen wenig kompatiblen Standpunkten vom Regen in die Traufe gerät).

Niedersachsen jedenfalls muss sich vor Rot-Schwarz nicht fürchten. Falls SPD und CDU ihrer Verantwortung gerecht werden. Allzu oft hörten wir aus der Ein-Stimmen-Mehrheit-Koalition in Hannover, was auf solch schmaler Basis alles nicht zu schaffen sei. Welche Freude wäre es, wenn es nun Bewegung gäbe. Von der überfälligen Kommunalreform über den Ausbau unseres Straßennetzes bis zur Verbesserung der Lage an den Schulen und bei den Sicherheitsbehörden bis zur Hebung der gemeinsamen Potenziale der Wissenschafts- und Industrieregionen Niedersachsens wäre plötzlich vieles möglich, was unser Land braucht.

Nein: Liebe auf den ersten Blick verbindet weder Weil und Althusmann noch die Männer und Frauen hinter ihnen. Aber um es mit Konfuzius zu sagen: „Liebevolle Beziehung zu dem anderen soll etwas von uns Entferntes sein? Nein, wenn ich sie erstrebe, dann erreiche ich sie.“

Einen aktuellen Artikel zum Thema finden Sie hier: FDP und Grüne in Hannover stellen sich auf Opposition ein