Washington. Der US-Konzern möchte eine Klagewelle in Milliardenhöhe auslagern. Babypuder soll die Gesundheit mehrerer Frauen geschädigt haben.

Der US-Pharmakonzern Johnson & Johnson (J&J) hat im seit Jahren anhängigen Skandal um mutmaßlich asbestverseuchtes Babypuder einen juristischen Rückschlag erlitten. Um vor dem Hintergrund von rund 38.000 Klagen in den USA Schadenersatzzahlungen einzugrenzen, hat der mit 430 Milliarden Dollar Börsenwert kerngesunde Konzern im Oktober einen umstrittenen, nur in wenigen Bundesstaaten etablierten juristischen Trick versucht: die Auslagerung der Verbindlichkeiten in eine neue Teilgesellschaft in Texas, die unmittelbar danach in einem anderen Bundesstaat, in diesem Fall North Carolina, kontrolliert Bankrott anmeldet.

Die neue Geschäftseinheit LTL Management ist mit zwei Milliarden Dollar ausgestattet worden, um sämtliche noch ausstehenden Klagen bedienen zu können. Klägeranwälte kritisieren das als "entschieden zu wenig". Die Demokraten im Kongress von Washington wollen per Gesetzgebung dafür sorgen, dass derartige Abspaltungen nach der Methode "Texas Two Step" künftig verboten werden, haben aber noch keine ausreichenden Mehrheiten gefunden.

Johnson & Johnson bestreitet Gefährdung

Bislang hat der Konzern Johnson & Johnson, der auch im Corona-Impfstoffgeschäft eine wichtige Rolle spielt, insgesamt 3,5 Milliarden Dollar an "Asbest"-Kläger ausgezahlt. Dabei bestreitet das Unternehmen unter Berufung auf wissenschaftliche Studien bis heute vehement, dass das 2020 aus dem Sortiment genommene Babypuder unter anderem Eierstockkrebs und Mesotheliome – Rippenfellkrebs – auslösen kann. Ein Gericht in Missouri sah das anders und hatte 22 klagenden Frauen 2018 insgesamt 4,7 Milliarden Dollar Schadenersatz zugesprochen. Mehr zum Thema Johnson & Johnson: Schutz nicht ausreichend – Experten stellen Forderung

Die Summe wurde später auf 2,1 Milliarden Dollar reduziert. Johnson & Johnson wehrte sich juristisch mit Händen und Füßen. In diesem Sommer bestätigte der Oberste Gerichtshof in Washington die Entscheidung der unteren Instanz. Vorausgegangen war dem MissouriProzess ein spektakulärer Medienbericht, wonach J&J seit den 1970er-Jahren von der Existenz des schädlichen Stoffes in seinen Pudern gewusst, dies aber Verbrauchern und Investoren bewusst verschwiegen haben soll. Richter Craig Whitley im Bundesstaat North Carolina hat dem Ansinnen von J&J, das Puderproblem finanziell günstig für sich auszulagern, in dieser Woche einen Dämpfer verpasst.

Brilliante Strategie oder aber "offenkundig unfair"

Das Verfahren an sich wurde von ihm in den Bundesstaat New Jersey transferiert, wo in New Brunswick der Hauptsitz von Johnson & Johnson ist. Ein Bundesgericht wird sich dort erstmals mit dem Fall befassen – und mit der Methode "Texas Two Step". Whitley machte bei seiner Entscheidung klar, worum es geht. Je nach Perspektive könne das Vorgehen von Johnson & Johnson als "brillante Strategie" gewertet werden, die Unternehmen die Vorteile des Gläubigerschutzes nach "chapter 11" bietet – ohne die "Tücken, den gesamten Konzern in Bankrott gehen zu lassen". Weiterlesen: Johnson & Johnson – Wann und wie ein Booster ratsam ist

Betroffene Kläger hingegen könnte die Idee, dass ein solventes Unternehmen sich aufspaltet und die "schlechten Teile" pleitegehen lässt, um den "guten Teilen" zu nutzen, als "offenkundig unfair" empfinden. Aus diesem Blickwinkel betrachtet, sei die Perspektive, dass "Unternehmensgewinne letztlich gegen menschliche Tragödien obsiegen", nichts, was "sehr angenehm klingt". Das könnte Sie interessieren: Johnson & Johnson – US-Behörde warnt vor seltener Krankheit