Celle/Salzgitter. Ein 57-Jähriger stand vor Gericht, weil er für das Gebiet Salzgitter verantwortlich war.

Er sieht sich als Kämpfer für eine gerechte Sache. Das machte der als hochrangiger PKK-Funktionär vom Oberlandesgericht Celle verurteilte Kurde Zahir A. in seinem letzten Wort unmissverständlich deutlich: „Wo es Unrecht gibt, stelle ich mich dagegen. Der türkische Staat hat das Haus meiner Familie in Brand gesetzt.“ Die Kurden seien einem Völkermord ausgesetzt. In Deutschland habe er nur seine demokratischen Rechte wahrgenommen. Für die kurdische Sache. „Ich habe keiner Fliege etwas zuleide getan.“

Eine Einschätzung, die der vierte Staatsschutzsenat des Celler Oberlandesgerichts (OLG) nicht teilte. Die Berufsrichter verurteilten den 57-Jährigen wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten – ausgesetzt zur Bewährung. Eine im Vergleich zu ähnlichen Prozessen milde Strafe. Schließlich war Zahir A. nach Einschätzung des Gerichts 15 Monate lang hauptamtlicher Leiter des Gebiets „Salzgitter“ für die Kurdische Arbeiterpartei (PKK). Ein Gebiet, das die Region vom Harz bis Braunschweig umfasst.

Damit würde Zahir A. der zweithöchsten Hierarchieebene der in Deutschland als Terrororganisation eingestuften Gruppe angehören. Eine Organisation, deren Zweck und Tätigkeit zumindest teilweise „auf Mord und Totschlag“ ausgerichtet sei, wie Richter Frank Rosenow deutlich machte. Oder die diese Folgen zumindest billigend in Kauf nimmt.

Mit dem Urteil folgte das Gericht nahezu dem Strafantrag der Generalstaatsanwaltschaft. Ihr Vertreter hatte eine Bewährungsstrafe von zwei Jahren beantragt. Zahir A. und sein Verteidiger Dündar Kelloglu forderten einen Freispruch. Das Gesetz sieht einen Strafrahmen von einem bis zehn Jahren vor.

Der Strafsenat sah es als erwiesen an, dass der 57-Jährige tief in die Strukturen der PKK in Deutschland eingebunden war. Immer in Absprache mit seinen Vorgesetzten in einem straff aufgebauten Apparat beteiligte er sich an der Organisation kurdischer Veranstaltungen wie dem Newros-Fest, Kundgebungen oder Wahlhilfe für die türkische Partei HDP. Der Kontakt erfolgte konspirativ. Über verschlüsselte Nachrichten, unter Decknamen. Was Zahir A. einräumte. Einen PKK-Bezug stritt er jedoch ab. Geld für den bewaffneten Kampf will er nicht gesammelt haben.

Das nahm das Gericht dem türkischen Staatsbürger nicht ab. Er habe die Organisation unterstützt, obwohl er um ihre Ziele und Methoden gewusst habe. Gewusst, dass bei Anschlägen, die von PKK-Guerillaeinheiten verübt werden, türkische Soldaten, Polizisten und Zivilisten sterben. Im Zeitraum von März 2014 bis Juni 2015, in dem er für „Salzgitter“ verantwortlich war, rechnete der Strafsenat der PKK mehrere Anschläge mit Waffen und Sprengstoff in der Türkei zu. Trotz eines Waffenstillstands.

Zahir A. stammt aus einen kleinen Dorf in der Osttürkei und wurde hineingeboren in den Widerstand gegen einen Staat, den er als repressiv erlebte. Sein Vater kam bei einer Umsiedlungsmaßnahme zu Tode. Er selbst engagierte sich früh, kam in Haft, wurde gefoltert. In den 1990er Jahren beantragte der Kurde in Deutschland Asyl. Zweimal war er von hiesigen Gerichten bereits wegen seines Engagements für die seit 1993 verbotene PKK verurteilt worden.

Für seinen Verteidiger handelte es sich um „ein politisches Verfahren“. Er unterstellt: Das Bundesjustizministerium ermögliche seit 2011 mit einer Ermächtigung die Strafverfolgung von Unterstützern der PKK als Mitglieder einer ausländischen terroristischen Vereinigung. Ohne, dass sie konkret an der Planung von Straftaten beteiligt gewesen sein müssen. Der Beziehungen zur Türkei wegen. Und das, obwohl der türkische Staat den Kurden keine andere Wahl lasse, als zu kämpfen.

Dass es sich um einen politischen Prozess handelt, wies der Vorsitzende des Staatsschutzsenats von sich – trotz Verfolgungsermächtigung. Das Urteil falle durch ein Gericht. Und das sei unabhängig. Und: Es genüge nach der Rechtsprechung, wenn Handlungen im Interesse und Auftrag der PKK entfaltet würden. Für Richter Rosenow mag die Haltung des Angeklagten „nachvollziehbar erscheinen“. Denn: „Das kurdische Volk wurde wiederholt betrogen.“ Auch sei die Situation in Syrien „problematisch“. Zudem würden Kurden in der Türkei benachteiligt und verfolgt. Aber es gehe vor Gericht nicht um die Bewertung des politischen Engagements des 57-Jährigen. „Der Senat stellt sich nicht in den Dienst politischer Interessen.“ Sondern er urteile nach dem Gesetz. Und das frage nicht nach Ursachen und Zwecken, sondern erteile dem Grundsatz „Der Zweck heiligt die Mittel“ eine Absage. Es gehe auch um den Schutz der inneren Sicherheit. Tötungen von Menschen sollten nach dem Willen des Gesetzgebers nicht straffrei bleiben.

Dass die Strafe milde ausfiel, lag unter anderem an der Sozialprognose des Angeklagten. Er soll sich zur Ruhe gesetzt haben. Das Gericht geht davon aus, dass das so bleibt. Zudem habe die zehnmonatige Untersuchungshaft den Überzeugungstäter beeindruckt.

„Machen Sie es, wie Sie gesagt haben“, gab Rosenow ihm mit auf den Weg in die Freiheit. „Genießen Sie Zeit mit der Familie. Halten Sie sich aus dem politischen Geschäft heraus.“