Berlin. Im Handwerk fehlen abertausende Fachkräfte. Experten warnen nun davor, dass deswegen sogar der Klimaschutz in Deutschland scheitert.

Die Zeit drängt. Jahrhunderthochwasser und Waldbrände in vielen Teilen der Welt haben wohl allen klargemacht: Der Mensch muss seinen schädlichen Einfluss auf das Klima durch eine noch schnellere Senkung der CO2-Emissionen reduzieren. In Deutschland wird in fast allen Parteien darüber debattiert, die Klimaschutzziele noch einmal zu verschärfen. Doch unter den fünf großen Sektoren mit solchen Einsparvorgaben gibt es einen, der schon mit dem jetzigen Tempo nicht mithalten kann.

Die Bundesregierung hat in den Bereichen Industrie, Verkehr, Energie- und Landwirtschaft sowie Gebäude seit 2020 vorgeschrieben, wie viel Millionen Tonnen Treibhausgas jährlich eingespart werden müssen. Das sind die Klimaschutzziele. 2021 wurden sie noch einmal verschärft. Bereits zuvor war der Gebäudesektor der einzige Bereich, der seine Klimaschutzziele nicht erreichen konnte. Um umgerechnet zwei Millionen Tonnen CO2 wurde der Grenzwert überschritten.

Fachkräftemangel auf dem Bau verschlimmert sich in rasantem Tempo

Deswegen müssen die Immobilien hierzulande auf Vordermann gebracht werden: weniger Energieverlust durch besser isolierte Häuser, raus mit der alten Ölheizung im Keller, rauf aufs Dach mit den Solarpanels. Doch anstatt zu den anderen Bereichen aufzuschließen, besteht im Gebäudesektor weiter ein Problem, das das Potenzial hat, die Klimaschutzziele zu gefährden.

Egal, ob bloß ein Stein auf den anderen gesetzt oder ein Nagel in die Wand gehauen werden muss: Es braucht Hände, die das Werk vollbringen. Es braucht Handwerker. Und die sind Mangelware.

Ende 2020 gab es laut Statistik der Bundesagentur für Arbeit 44.000 unbesetzte Stellen im Baugewerbe. Aktuell schätzt der Zentralverband des Deutschen Bauhandwerks (ZDB) die Zahl bereits auf 60.000. Das gesamte Handwerk beziffert die fehlenden Fachkräfte in Deutschland sogar auf 250.000 Beschäftigte. Gleichzeitig sollen bis 2030 die Emissionen im Gebäudebereich genau wie in den anderen Sektoren um zwei Drittel verringert werden. Selbst wenn die Ziele nicht verschärft werden, ist 2045 die Klimaneutralität angepeilt.

Klimaziele in Gefahr? ZDH-Präsident Wollseifer wird deutlich

„Man muss kein Prophet sein, um vorauszusehen, dass wir all die zusätzlichen Vorhaben besonders im Klima- und Umweltschutz mit dem jetzigen Stamm an Beschäftigten wohl kaum hinbekommen werden“, sagt der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH), Hans Peter Wollseifer, unserer Redaktion.

Bei den Immobilienbesitzern selbst ist die Nachfrage nach Klimaschutzmaßnahmen groß und steigt weiter. Geld ist ebenso vorhanden. Von den acht Milliarden Euro, die die Bundesregierung im Sofortprogramm 2022 noch einmal für das Erreichen der Klimaziele nachschießt, sind allein 4,5 Milliarden Euro als Förderung für die Gebäudesanierung vorgesehen. Bessere Dämmung auf dem Dachboden oder neue Fenster im Erdgeschoss? Der Staat übernimmt mindestens 20 Prozent der Kosten.

Aber eben nur, wenn Fachkräfte die Sanierung zumindest begleiten. Eigenleistung wird nicht gefördert. Heißt: Wer es nicht schafft, sich in die vollen Auftragsbücher von Energieberatern, Fensterbauern und Co. zu quetschen, hat es schwer mit der Sanierung. Das ist nicht erst seit den neuen Förderprogrammen oder dem Beginn der Corona-Pandemie der Fall. Wie kritisch die Lage seit mehr als einem Jahrzehnt ist, beschreibt die sogenannte Sanierungsrate, die die Anzahl der Gebäude in Deutschland, die jährlich energetisch saniert werden, prozentual wiedergibt.

Bereits seit einem Jahrzehnt herrscht Stagnation

„Wenn wir die Klimaziele im Gebäudesektor erreichen wollen, brauchen wir ab 2021 eine Sanierungsrate von mindestens zwei Prozent“, sagt Peter Engelmann. Er forscht am Fraunhofer Institut zu energieeffizienten Gebäuden und hat zusammen mit anderen Experten und Expertinnen verschiedene Untersuchungen zum Thema ausgewertet. Ergebnis: Die Sanierungsrate in Deutschland hat in den vergangenen 15 Jahren nie die Marke von einem Prozent überschritten.

Auch die Deutsche Energie-Agentur stellt im Gebäudereport 2021 fest: Seit einem Jahrzehnt ist für den Emissionsverbrauch im Gebäudesektor „eine Stagnation festzustellen“. Wenn also seit zehn Jahren keine Fortschritte erzielt wurden, wo sollen bis 2030 plötzlich ausreichend Handwerker herkommen? Neben Förderprogrammen seien flankierende Maßnahmen für mehr Handwerker „unabdingbar“, schreibt das Umweltbundesamt. Nur scheinen diese flankierenden Maßnahmen bislang wirkungslos zu verpuffen.

Der Mangel beginnt schon in der Ausbildung

So ist 2020 das Fachkräfteeinwanderungsgesetz in Kraft getreten. Nicht-EU-Bürgern mit abgeschlossener Berufsausbildung soll die Einwanderung nach Deutschland erleichtert werden. Doch zu einer spürbaren Entlastung des Arbeitsmarktes im Baubereich habe es nicht geführt, sagt das ZDH. Nicht selten stelle das Gesetz zu spezielle oder formelle Qualifikationsanforderungen an die Zuwanderer.

„Fachkräfte fallen nicht vom Himmel. Die müssen wir ausbilden“, mahnt der Handwerkspräsident Wollseifer. Doch auch in der Ausbildung ist der Mangel bereits deutlich. Ende Juni waren im Bauhandwerk mehr als 14.000 Ausbildungsstellen unbesetzt. Dabei sind aufgrund der hohen Nachfrage gerade in denen für Klimaschutz wichtigen Handwerksberufen die Zukunfts- und Gehaltsaussichten rosig. Wieso finden sich dann seit mehrerem Jahren nicht genug Jugendliche, um gegen den Klimawandel zu handwerken?

Die Bildungspolitik habe sich zu lange auf die Förderung von akademischen Laufbahnen konzentriert, heißt es dazu vom Zentralverband des Handwerks. „Bisher haben alle Parteien noch nicht ausreichend auf dem Schirm, dass sie bei der beruflichen Bildung – auch finanziell – deutlich stärker einsteigen müssen”, sagt Präsident Wollseifer.

Fachkräfte brauche es aber auch für den Klimawandel in anderen Bereichen. Irgendjemand müsse die Windparks für die Energie- und die Elektroautos für die Mobilitätswende bauen. Die Warnung ist deutlich: Ohne mehr Handwerker droht Deutschland nicht nur die Klimaschutzziele im Gebäudebereich, sondern insgesamt zu verpassen. Die Zeit drängt.