Berlin. Der Onlinehändler hat einen Skandal am Hals. Das Unternehmen gestand, dass Fahrer unter menschenunwürdigen Bedingungen arbeiten.

Amazon gilt nicht gerade als ausgesprochener Freund der Arbeiterinnen und Arbeiter. Der Onlineversandgigant steht immer wieder für harsche Arbeitsbedingungen in der Kritik: Spitzeleien am Arbeitsplatz, hoher Leistungsdruck und niedrige Stundenlöhne brachten dem Unternehmen und seinem Gründer, Multimilliardär Jeff Bezos, schon den Titel des "Schlechtesten Arbeitgebers der Welt" ein. 2014 verlieh der Internationale Gewerkschaftsbund (IGB) den Negativpreis an Amazon.

Während in Deutschland die Gewerkschaft Verdi regelmäßig – vor allem vor konsumträchtigen (Feier-)Tagen wie Ostern, Weihnachten oder dem "Prime Friday" – die Belegschaften der Amazon-Logistikzentren zu Streiks aufruft, müssen sich die Angestellten in den USA nicht nur mit niedrigen Löhnen plagen. Ganz offensichtlich haben dort die Fahrerinnen und Fahrer des Versandhauses mit dem Lächeln im Logo während der Arbeit nicht immer Zugang zu einer Toilette. Oder überhaupt die Zeit dafür, ihre Notdurft unter menschenwürdigen Bedingungen zu verrichten. Stattdessen müssen sie in Flaschen urinieren.

Missstände bei Amazon: Schlagabtausch auf Twitter

Auf den Missstand hatte zuletzt ein Abgeordneter des US-Repräsentantenhauses aufmerksam gemacht. Der Demokrat Marc Pocan twitterte am Mittwoch: "Mitarbeitern 15 Dollar Stundenlohn zu zahlen, macht einen nicht zu einem ‚fortschrittlichen Arbeitsplatz‘, wenn man gegen Gewerkschaften vorgeht und Beschäftigte in Wasserflaschen urinieren." Damit spielte der Abgeordnete der demokratischen Partei auf seit Jahren kursierende Berichte über Pinkel-Flaschen bei Amazon an.

Zudem hatte Amazon versucht, eine Abstimmung über die Gründung einer Gewerkschaft am US-Standort in Bessemer, im Bundesstaat Alabama, zu verzögern. 6000 Beschäftigte können dort gerade abstimmen, ob sie einer Arbeitnehmervertretung ins Leben rufen wollen. Rund 85 Prozent der Belegschaft sollen Schwarze sein. Je nach Abstimmungsergebnis wäre diese die erste Gewerkschaft in der US-Konzerngeschichte.

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Amazon schoss denn auch in ungewöhnlich scharfem Ton zurück: "Sie glauben die Sache mit dem in die Flasche pinkeln nicht wirklich?", konterte Amazon den Tweet des Abgeordneten Pocan. "Wenn das wahr wäre, würde niemand für uns arbeiten." Das könnte Sie interessieren: Größer geht immer – Die unheimliche Macht von Amazon und Co.

Amazon gesteht Pinkel-Skandal letztendlich doch

Nachdem Amazon schnippisch getweetet hatte, nahm die Diskussion über die Pinkelflaschen zunächst Fahrt auf. Ein Journalist von "Buzzfeed" etwa stellte prompt Dienstanweisungen einer für Amazon tätigen Lieferfirma ins Netz, in denen Fahrer dazu aufgerufen wurden, "Urinflaschen" nach Schichtende aus ihren Vans zu entsorgen.

Noch derber wurde es am nächsten Tag, als das Investigativportal "The Intercept" geleakte Dokumente einer Amazonlogistics-Managerin postete, in denen unter anderem klargestellt wird, dass keine Tüten mit "menschlichen Fäkalien" in den Lieferzentren geduldet werden.

Nun musste das US-Versandhaus kleinbeigeben. Auf dem Unternehmensblog veröffentlichte Amazon am Freitag ein Statement, in dem es die Vorwürfe einräumt und den Tweet ein "Eigentor" nennt. Der sei unter anderem inhaltlich falsch gewesen. "Er bedachte nicht unsere größere Zahl an Fahrerinnen und Fahrern, sondern fokussierte sich fälschlich auf unsere Fullfillment Center." Diese seien mit Duzenden Toiletten ausgestattet und die Angestellten könnten ihre Arbeitsplätze jederzeit verlassen.

Amazon: Fehlen von Toilettenpausen branchenweites Problem

"Wir wissen außerdem, dass unserer Fahrerinnen und Fahrer Schwierigkeiten haben, Toiletten zu finden, weil der Verkehr zu dicht ist oder sie in ländlichen Gegenden unterwegs sind", gestand der Konzern weiter. Es handle sich dabei um ein branchenweites Problem. Nun wolle man an einer Lösung arbeiten. Man wisse nur noch nicht, wie. Dem Abgeordneten Pocan bot Amazon zudem eine Entschuldigung an. Auch interessant: Amazon und Co: Geld nie direkt an den Händler überweisen

Der quittierte Amazons Statement auf Twitter seinerseits mit einem Tweet. "Seufz", schrieb der US-Demokrat. "Es geht hier nicht um mich – sondern um eure Arbeiterinnen und Arbeiter, die ihr nicht mit genug Würde und Respekt behandelt."

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Amazon macht Profite in der Krise

Amazon gehört weltweit zu den Profiteuren der Corona-Krise. 2020 erzielte Amazon allein in Deutschland laut Geschäftsbericht des US-Mutterkonzerns knapp 29,6 Milliarden US-Dollar Umsatz – ein Sprung von über 30 Prozent verglichen mit den 22,2 Milliarden Dollar 2019. 5000 neue Stellen will der Konzern hierzulande besetzen. Damit soll deren Zahl um über ein Fünftel steigen – von 23.000 auf 28.000. Das Vermögen des Amazon-Gründers verdoppelte sich in der Pandemie. Mit gut 170 Milliarden Euro auf dem Konto ist Jeff Bezoz derzeit der reichste Mann der Welt. Auch interessant: Welche Krise? Diese Branchen sind echte Corona-Gewinner

Möglich macht so ein Traum-Wachstum auch der Lockdown. Durch die Schließung weiter Teile des stationären Einzelhandels sei das Bestellaufkommen bei Amazon durch die Decke gegangen, sagte Orhan Akman, bei Verdi für den Einzel- und Versandhandel zuständig. "Ausbaden mussten das die Kolleginnen und Kollegen. Durch die permanente Arbeitshetze und Leistungskontrolle ist die Einhaltung von Abständen und anderen Maßnahmen gegen Ansteckungen oft kaum möglich." Amazon verweigere sich bisher, einen verbindlichen Tarifvertrag zum Schutz der Beschäftigten abzuschließen. Das Unternehmen weißt die Vorwürfe zurück. (mit dpa)