Wolfsburg. Den Wolfsburger Handwerksbetrieben gehen die Fachkräfte aus. Warum sich junge Menschen dennoch für eine Ausbildung entschieden haben.

Das Handwerk hat für Wolfsburgs Wirtschaft eine hohe Bedeutung. Rund 21 Prozent aller Beschäftigten sind in Handwerksberufen tätig. Doch im Zuge des Fachkräftemangels ringen Handwerksbetriebe kräftig um Nachwuchs. Immer mehr Ausbildungsstellen in handwerklichen Berufen bleiben unbesetzt, weil sich viele junge Menschen gegen eine Ausbildung entscheiden. Wir haben Auszubildende aus den Branchen der Bauelektrik, Dachdeckerei und des Bau-und Ausbaugewerbes bei ihrer Arbeit begleitet. Sie erzählen unserer Zeitung, warum sie sich für eine Ausbildung im Handwerk entschieden haben.

Wolfsburger Dachdeckerei ringt um jungen Nachwuchs

Dächer regensicher, schick machen und täglich mit der Höhenangst umgehen: Das sind gerade Sebastian Böhms und Niklas Camehns Aufgaben. Der 23-jährige und der 19-jährige haben eine Ausbildung zum Dachdecker in der Dachdeckerei Hertwich in Wolfsburg begonnen. Aktuell lernen rund vier Auszubildende im Wolfsburger Familienbetrieb, was es heißt, verschiedene Dacharten einzudecken oder Dachflächen zu reparieren. Seit 1963 ist das Familienunternehmen Axel Hertwich im Wolfsburger Stadtteil Kästorf ansässig. Ganzjährig arbeiten zwölf Mitarbeiter im Betrieb.

Azubi Sebastian Böhm ist durch einen Zufall an die Ausbildung geraten. Während starker Schneefälle im Jahr 2021, mussten viele Dächer von der Schneelast befreit werden. Inhaber Axel Hertwich und Ehefrau Ulrike Hertwich suchten deshalb Aushilfen. „Nach dem Schnee habe ich tageweise in der Dachdeckerei ausgeholfen und es hat mir viel Spaß gemacht“, berichtet Sebastian Böhm. Anschließend hat der 23-jährige seine Ausbildung in Kästorf begonnen. „Aufs Dach zu steigen, ist für mich mittlerweile wie Zähneputzen. Es ist eine Routine drin“, erklärt Böhm selbstsicher. Die Abwechslung und das selbstständige Arbeiten machen ihm besonders Spaß.

Ulrike Hertwich, Ehefrau des Inhabers (von links) mit den Wolfsburger Auszubildenden Niklas Camehn und Sebastian Böhm.
Ulrike Hertwich, Ehefrau des Inhabers (von links) mit den Wolfsburger Auszubildenden Niklas Camehn und Sebastian Böhm. © regios24 | Sebastian Priebe

Wolfsburger Auszubildende mögen die handwerkliche Abwechslung

Für Azubi Niklas Camehn beginnt der Arbeitstag heute um 8 Uhr. Ein Schieferdach muss repariert werden. Mit fünf bis sechs Auftragsmappen startet der 19-jährige mit seinen Gesellen in den Tag. „Jeder Tag ist eine neue Herausforderung und ich liebe es an der frischen Luft zu arbeiten“, erklärt Camehn. Jedes Dach ist anders und man wisse nie, was sich unter einem Dach verbirgt. Die Stärkung der körperlichen Fitness und Bewegung seien für ihn ebenfalls Vorteile des Berufs.

Ich finde die Entwicklung, dass immer mehr Menschen dem Handwerk den Rücken kehren, sehr dramatisch. Das ist für unsere Gesellschaft brandgefährlich.
Ulrike Hertwich - über den Fachkräftemangel im Handwerk

Ulrike Hertwich freut sich über die Motivation ihrer Auszubildenden, sieht aber die Lage der Branche düster: „Ich finde die Entwicklung, dass immer mehr Menschen dem Handwerk den Rücken kehren, sehr dramatisch. Das ist für unsere Gesellschaft brandgefährlich.“ Seit mittlerweile zehn Jahren ist das Familienunternehmen auf diversen Ausbildungsmessen in Wolfsburg und der Region unterwegs. Regelmäßig wirbt die Firma in Haupt, Real- und Gesamtschulen für eine Ausbildung als Dachdecker. „Viele Jugendliche haben Spaß dabei, wenn sie sich handwerklich betätigen. Es können nicht alle Menschen nur studieren“, meint Hertwich. Schulen und Elternhäuser müssten stärker Verantwortung übernehmen. Im Schnitt werden im Jahr ein bis zwei Azubis im Betrieb ausgebildet. Die Inhaberin freut sich in diesem Jahr über vier Auszubildende.

Auch interessant

Tapezieren und Lackieren: Warum ein Wolfsburger Azubi Maler und Lackierer werden möchte

In Wolfsburg sind 1.285 Personen in der Bauelektrik tätig, 55 Personen arbeiten in der Dachdeckerei und 217 als Maler und Lackierer. Von derzeit 639 gemeldeten Ausbildungsstellen, sind 25 Auszubildende in der Bauelektrik beschäftigt, fünf in der Dachdeckerei und zehn als Maler und Lackierer tätig, so die Agentur für Arbeit Helmstedt. Max Schimpf hat seine Ausbildung im Farben-Center-Fallersleben begonnen. Für ihn gehören tapezieren, lackieren, verarbeiten und gestalten zum Arbeitsalltag. „Ich habe schon zuhause gerne tapeziert und Innenräume und Fassaden mit meinem Onkel gestaltet“, erzählt der 17-jährige. Die handwerkliche Arbeit macht Schimpf besonders Spaß und das Endergebnis zu sehen, was man mit der eigenen Kraft geschaffen hat. Jede Baustelle wecke außerdem das Potenzial für neue Herausforderungen. „Alten Bodenbelag entfernen, verspachteln und zu grundieren ist aufwändig, aber macht mir viel Spaß“, erklärt Schimpf.

Derzeit lernen vier Auszubildende im Malerfachbetrieb in Fallersleben. „Für dieses Jahr haben wir bisher noch keinen Auszubildenden gefunden“, sagt Marie Engelhard, Inhaberin des Farben-Center Fallersleben. Über die Jahre hinweg, sei es immer schwieriger geworden, Nachwuchs für den Handwerksbetrieb zu finden. „Man greift nicht auf eine Masse an Bewerbern zurück, aber ich glaube, dass sich wieder mehr junge Menschen für eine Ausbildung interessieren werden“, betont Cristina Ertico, Assistentin der Geschäftsführung. Handwerkliches Geschick und Kreativität sieht die Inhaberin als Voraussetzung an.

Max Schimpf (links) hat eine Ausbildung zum Maler und Lackierer im Farben-Center Fallersleben begonnen. Zusammen mit Inhaberin Marie Engelhard steht er an der Farbmischmaschine.
Max Schimpf (links) hat eine Ausbildung zum Maler und Lackierer im Farben-Center Fallersleben begonnen. Zusammen mit Inhaberin Marie Engelhard steht er an der Farbmischmaschine. © regios24 | Sebastian Priebe

Wolfsburger Elektriker sieht Branche als Motor für die Zukunft

Kabel verlegen, Schalter einbauen oder Reparaturen vornehmen: Um 6.30 Uhr beginnt der Arbeitstag der drei Auszubildenden in der Firma Elektro Sello in Warmenau. Nach dem Beladen der Fahrzeuge, geht es für die Auszubildenden auf verschiedene Baustellen im Wolfsburger Stadtgebiet. „An der Ausbildung gefällt mir besonders gut, dass man seinen Kopf anstrengen muss, aber auch körperlich arbeiten muss“, erzählt Azubi Kevin Rohr. Nach der Berufsschule oder am Wochenende kommen Rohan Sllo, Kevin Rohr und Wajih Osmann auch zum Büffeln in die Firma. „Wir lernen beispielsweise Schaltungen oder technische Vorgänge am praktischen Beispiel, um uns weiterzuentwickeln“, sagt Azubi Rohan Sllo.

2022 wurde der Betrieb von den Brüdern Diar Sello und Schayin Sello als GmbH gegründet. Neun Mitarbeiter sollen für einen reibungslosen Ablauf sorgen. „Elektrik ist die Zukunft und wir brauchen junge, motivierte Fachkräfte“, ist sich Diar Sello sicher. Den zukünftigen Elektriker oder Elektrikerin finde man nicht mehr an jeder Milchkanne. Um junge Leute für eine Ausbildung als Elektriker zu motivieren, setzt der Betrieb auf Altersvorsorge und Absicherungen. Eine Zahnzusatzversicherung möchte der Inhaber für alle Auszubildenden abschließen. Die Zahl der Bewerber sei in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen. Der Bedarf an Fachkräften nimmt stetig zu. „Unsere Branche ist extrem wichtig für die Energiewende in Deutschland“, resümiert Sello.

Die Auszubildenen Kevin Rohr (von links), Praktikant Alexander Becker, Wajih Osman und Inhaber Diar Sello und Rohan Sllo auf dem Hof der Firma Elektro Sello in Wolfsburg.
Die Auszubildenen Kevin Rohr (von links), Praktikant Alexander Becker, Wajih Osman und Inhaber Diar Sello und Rohan Sllo auf dem Hof der Firma Elektro Sello in Wolfsburg. © regios24 | Lars Landmann

Auch interessant

Fachkräftemangel im Handwerk ist auch in Wolfsburg zunehmend ein Problem

In Wolfsburg sind aktuell 295 Arbeitsstellen im Handwerk offen. Trotz schwächerer Konjunktur, gibt es einen hohen Fachkräftebedarf im Handwerk. Der Agentur für Arbeit wurden allein im Februar 178 verfügbare Ausbildungsstellen im Handwerk für Wolfsburg gemeldet. Doch trotz vieler Ausbildungsstellen, nehme das Interesse an handwerklichen Berufen laut Arbeitsagentur aber wieder zu. „Das Handwerk befasst sich mit den zukunftsrelevanten Themen wie Mobilitäts- und Energiewende. Insbesondere in den letzten Jahren gab es durch Digitalisierung zahlreiche Modernisierungen, die entsprechende Berufe noch abwechslungsreicher gemacht haben“, erklärt Wiebke Saalfrank, Pressesprecherin der Agentur für Arbeit Helmstedt.

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von Flourish, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

An den Haupt- und Oberschulen sei erkennbar, dass verstärkt Praktika im Handwerk gewählt werden und auch das Interesse an einer Ausbildung in dem Bereich steigt. Es bleibt also abzuwarten, inwiefern sich ein Trend zu mehr Auszubildenden im Handwerk abzeichnet – das Geheimrezept gegen den Fachkräftemangel steht aber noch aus.