Berlin. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier machte Parteien im rechtsextremen Spektrum für Übergriffe auf Asylbewerber mitverantwortlich.

Herr Steinmeier, mit welchen Hoffnungen gehen Sie ins neue Jahr? Wird es besser als das alte?

Ohne Hoffnung bräuchten wir morgens nicht aufzustehen. Und wenn wir das Jahr 2015 Revue passieren lassen, dann sehen wir, dass uns doch Einiges gelungen ist: Mit der Wiener Vereinbarung über das iranische Atomprogramm konnten wir einen über Jahre schwelenden Konflikt friedlich beilegen und den Griff Irans nach der Atombombe ausschließen. In der Ukraine haben wir mit dem Minsker Abkommen einen Krieg verhindert. Im Irak ist es auch dank unserer Unterstützung gelungen, den Vormarsch von IS zu stoppen. Und in Syrien gibt es zumindest einen Hoffnungsschimmer, mit den Verhandlungen über einen Waffenstillstand endlich das tägliche Sterben zu beenden. Ich mache mir bei all diesen Konflikten keine Illusion: Nichts wird einfacher und das Ringen um Lösungen bleibt hart. Aber aufhören, dafür zu kämpfen, dass die Welt 2016 etwas friedlicher wird, dürfen wir trotzdem nicht.

Sie waren am 13. November im Stadion von Paris, als draußen die IS-Terroristen ihre Bomben zündeten. Was ist in Ihnen vorgegangen?

Als wir den Knall hörten, dachte ich, das sind Feuerwerkskörper - mir kam keine Minute in den Sinn, dass es sich um einen Terroranschlag handeln könnte. Als uns die Sicherheitsbeamten dann über die Bombendetonationen vor dem Stadion und später über die Anschlagserie in ganz Paris informiert haben, war das natürlich ein Schock. Da schießen einem tausend Gedanken durch den Kopf. Meine größte Sorge war in diesem Moment, dass im Stadion Panik ausbrechen könnte. Es ist das Verdienst der französischen Polizisten, dass alle das Stadion sicher verlassen konnten.

Deutschland hat auf die Anschläge reagiert – und die Bundeswehr in den Syrien-Krieg geschickt. Trägt das zur Sicherheit bei?

Nach den schrecklichen Terroranschlägen hat sich Frankreich mit der Bitte um Unterstützung an uns gewandt. Es war für uns vollkommen klar, dass wir natürlich zusammenstehen und Beistand leisten müssen. Klar ist auch: Die Bedrohung durch IS endet nicht an Deutschlands Grenzen. Deshalb kann die Antwort nicht heißen: Türen schließen, Rollläden runterziehen, Licht ausschalten und hoffen, dass es nur den Nachbarn trifft, bei dem das Licht noch brennt. Dieses zynische Kalkül würde weder den Bürgerkrieg in Syrien beenden noch die Terroristen von ihrer Gräueltaten abhalten.

Lässt sich Terrorismus militärisch bekämpfen?

Den Kampf gegen Terrorismus allein auf das Militärische zu verengen, wäre falsch. Es bedarf einer breiter angelegten Strategie: politisch, wirtschaftlich und sozial. Alles mit dem Ziel, dem Terrorismus den Nährboden zu entziehen. Deswegen ist der Wiederaufbau zurückeroberter Gebiete von großer Bedeutung. Zusammen mit den Vereinten Nationen haben wir geholfen, die öffentliche Versorgung in Tikrit wiederherzustellen. So konnten 150.000 Menschen wieder in ihre Häuser zurückkehren. Auch beim Wiederaufbau in Sindschar und anderen zurückeroberten Städten wollen wir helfen. Und politisch ist uns in New York mit der Sicherheitsratsresolution ein wichtiger Schritt gelungen. Jetzt geht es darum, dass wir einen Waffenstillstand hinbekommen und der Einstieg in eine politische Übergangsphase gelingt. Wahr ist aber auch: Dass der IS im vergangenen Jahr ein Viertel des von ihm eroberten Territoriums verloren hat, ist auf die Luftschläge zurückzuführen, mit denen Waffenlager und Ausrüstung des IS zerstört wurden, und auf den mutigen Kampfeinsatz der Peschmerga. Diese haben auch dank unserer Ausbildung und Ausrüstung die Terrorbanden aus Tikrit und Sindschar vertrieben.

Der SPD-Vorsitzende Gabriel will die Parteimitglieder über einen eventuellen Einsatz deutscher Bodentruppen in Syrien abstimmen lassen. Hat er dabei Ihre Unterstützung?

Ich bin mir mit Sigmar Gabriel vollkommen einig darüber, dass auf syrischem Territorium keine deutschen Bodentruppen gegen IS kämpfen werden.

Sind Russland, der Iran und Saudi-Arabien die richtigen Partner in diesem Kampf?

Wir alle sind uns einig, dass IS eine große Bedrohung darstellt und bekämpft werden muss. Dass es zwischen den genannten Staaten Meinungsunterschiede gibt, ist kein Geheimnis. Unser Ziel muss aber sein, dass alle gemeinsam an einem Strang ziehen, um IS erfolgreich zu bekämpfen. Wir haben zudem immer gesagt, dass wir die islamische Welt brauchen, um IS den ideologischen Nährboden zu entziehen. Dabei kommt muslimischen Führungsmächten wie Saudi Arabien eine Schlüsselrolle zu. Deshalb ist es gut, dass die islamischen Staaten den Terrorismus gemeinsam bekämpfen wollen.

Es gibt Hinweise, dass der „Islamische Staat“ mit falschen Pässen operiert, um Terroristen nach Europa einzuschleusen. Was bedeutet das für den Umgang mit dem Flüchtlingszustrom?

Zunächst einmal sollten wir nicht den Fehler machen, Flüchtlinge mit mutmaßlichen Terroristen in einen Topf zu werfen. Die Mehrzahl der Attentäter kam aus Europa selbst. Doch unabhängig davon ist es wichtig, dass wir wieder mehr Kontrolle darüber haben, wer nach Europa ein- und ausreist. Der Vorschlag der Kommission, Frontex zu einer Europäischen Grenzschutzbehörde auszubauen, und die Vereinbarungen mit der Türkei sind wichtige Bausteine hierfür.

Rechtspopulistische und rechtsextremistische Parteien gewinnen in der Flüchtlingskrise an Zulauf. Welche Antwort geben die Volksparteien?

Dass Menschen hierzulande besorgt sind und sich fragen, ob wir es schaffen können, all die Flüchtlinge, die zu uns kommen, auch zu integrieren – das ist doch verständlich und das nehmen wir auch ernst. Wie gefährlich es aber ist, mit dem Flüchtlingsthema auf Stimmenfang zu gehen, das zeigt der starke Anstieg rechter Gewalt in Deutschland. Aus meiner Sicht ist das auch ein Ergebnis geistiger Brandstiftung. Dem müssen wir uns mit aller Vehemenz entgegenstellen. Dass Justizminister Heiko Maas in seiner Task Force so entschlossen gegen Hassbotschaften im Internet vorgeht, ist eine wichtige Antwort auf die Gefahr von rechts.

Die Sozialdemokraten haben einen bemerkenswerten Parteitag hinter sich, der Sigmar Gabriel ein Wahldebakel bescherte. Ist er trotzdem der richtige Kanzlerkandidat?

Dass Sigmar Gabriel als Parteivorsitzender und Vizekanzler über schwierige Fragen zu entscheiden hat, die auch das Grundverständnis der Partei betreffen, und er dafür nicht nur auf Zustimmung stößt, dürfte keine Überraschung für einen SPD-Bundesparteitag sein. Aber ich wünsche mir, dass allen Kritikern klar ist, dass sich Sigmar Gabriel wie kein anderer dafür eingesetzt hat, dass alle sozialdemokratischen Projekte des Koalitionsvertrags auch umgesetzt wurden. Er verdient unsere volle Rückendeckung und Zustimmung. Kurzum: Sigmar Gabriel kann nicht nur Kanzlerkandidat, er kann Kanzler.