Essen. Auf dem Parteitag in Essen wird Angela Merkel als CDU-Vorsitzende bestätigt. Es ist das schlechteste Ergebnis ihrer Kanzlerschaft.

Erst wird sie gefeiert, der Beifall will nicht aufhören, mehr als elf Minuten lang. Aber dann kommt die Wahl zur CDU-Vorsitzenden, und das Ergebnis ist ernüchternd und will so gar nicht zur Euphorie passen. Nur 89,5 Prozent der 1.001 Delegierten auf dem Essener CDU-Parteitag stimmen am Dienstag für Angela Merkel. Sie hat an Strahlkraft verloren. Nur 2004 hatte sie ein schlechteres Ergebnis erzielt. Die Kanzlerin muss es in Essen geahnt haben. Am Vorabend hatte sie für die Vorsitzendenwahl ein „ehrliches Ergebnis“ vorausgesagt.

Sie bekommt nur 845 der 944 gültigen Stimmen, mehr als jeder ihrer Stellvertreter. Und doch ist es das schlechteste Ergebnis ihrer Kanzlerschaft und vor allem deutlich weniger als die 96,7 Prozent vor zwei Jahren beim letzten Parteitag in Köln. Das war noch vor der Flüchtlingskrise. Hier dürfte auch die Erklärung für den gestrigen Dämpfer bei der Wahl liegen. Merkel wird gewählt und darf die CDU anführen, aber zugleich daran erinnert, wie verstörend das Flüchtlingsjahr 2015 und der Dauerstreit der CSU waren und sind. Beides wirkt nach.

Bundestagswahl wird schwierig

Seit 16 Jahren führt Merkel die CDU an und seit elf Jahren die Bundesregierung. Noch einmal will sie „ins Offene“ gehen, so wie 2000 bei ihrer ersten Wahl zur CDU-Chefin, damals ebenfalls in Essen. „Ins Offene“ gehen, etwas wagen – so hatte sie nach dem Zusammenbruch der DDR erst ihren Wechsel von der Wissenschaft in die Politik und später dann ihren Aufstieg zur Parteichefin erlebt. Wenn sie 16 Jahre später wieder davon redet, ins „Offene“ zu gehen, dann doch wohl, weil sie auch ihre Kandidatur bei der Bundestagswahl 2017 als Neuanfang empfindet.

Die Bundestagswahl werde schwierig wie keine Wahl zuvor, zumindest seit der Einheit. „Sie wird wahrlich kein Zuckerschlecken“, sagt sie und verspricht, „ich will und werde alles einsetzen, was in mir steckt“. Aber: „Ihr müsst, ihr müsst“, wiederholt die CDU-Chefin beschwörend, „mir helfen“. Merkel ist kein Motivationsguru. „Viel Nachdenklichkeit“ hört ein CDU-Delegierter anfangs aus ihrer 78-minütigen Rede heraus.

Digitalisierung als größter Treiber

So vornehm lässt sich Langeweile umschreiben. Die Vorsitzende spricht über die Globalisierung, hinter der es kein Zurück gebe, über die Digitalisierung als ihren größten Treiber, über den Freihandel, über den ausgeglichenen Haushalt. Es ist mehr eine Rechenschaftsrede als ein Ausblick in die Zukunft. Es dauert fast eine Stunde, bis die CDU-Chefin munter wird, zum Schluss sogar emotional. Sie scheut auch vor Pathos nicht zurück. Merkel will die Bereitschaft spüren, sich in den Dienst des Landes zu stellen. „Das gilt auch für mich. Wir wollen Deutschland dienen, ich will Deutschland dienen.“

Dazu muss sie allerdings auch auf ihre Kritiker zugehen. „Eine Situation wie die des Sommers 2015 kann, soll und darf sich nicht wiederholen. Das war und ist unser und mein erklärtes politisches Ziel“, verspricht sie. Ein Signalsatz, der allerdings nur so lange überzeugen wird, wie die Flüchtlingszahlen niedrig bleiben. Auch beim Burka-Verbot, ein weiteres Symbolthema des konservativen Flügels, bedient sie die Stimmung: „Die Vollverschleierung muss verboten werden, wo immer das rechtlich möglich ist.“

Ärger über die Kanzlerin

Bei einigen Delegierten verraucht der Ärger über die Kanzlerin. Für den hessischen Ministerpräsidenten und CDU-Vizechef Volker Bouffier ist Merkel ein „Halteseil in einer unsicheren Zeit“. Aber nicht alle sehen das so. Christine Arlt-Palmer aus Stuttgart redet sich den Frust von der Seele. Gut und schön, dass sich das (Flüchtlings-)Jahr 2015 nicht wiederholen soll. Aber eigentlich hätte es gar nicht erst so weit kommen können.

„Es hätte nie so passieren dürfen“, ruft sie aus. Sie erinnert auch an die Niederlagen bei Landtagswahlen und nicht zuletzt daran, dass die Union mit Frank-Walter Steinmeier einen Sozialdemokraten als Bundespräsidenten unterstützen will, obwohl die Christdemokraten die stärkste politische Kraft sind. Arlt-Palmer wundert sich, „wie man so einen Führungsanspruch vergeben kann“. Solche Statements machen deutlich, dass die CDU längst nicht mit sich im Reinen ist.

CSU wird mit Nichtachtung gestraft

Merkel weiß das: „Ich habe euch auch einiges zugemutet.“ Ihre Rede- und Führungskunst ist die Kunst des Weglassens: Auf den Populismus und die AfD geht sie nur indirekt ein. Kein Wort auch zur Strategie, um den Abwärtstrend der Partei in vielen Ländern zu stoppen, vieles bleibt floskelhaft: „Wenn wir alles in der Waagschale verändern, was uns belastet, bewahren, was uns stark macht“. Nichts sagt sie auch über mögliche Koalitionspartner nach der nächsten Bundestagswahl, nur so viel und im Umkehrschluss: Rot-Rot-Grün gelte es zu verhindern.

Die CSU, mit der sich Merkel ein Jahr lang gestritten hat, erwähnt sie erst zum Schluss, fast beiläufig nur mit einem Appell zur Geschlossenheit. Sie weiß genau, wie sie die CSU und ihren Parteichef Horst Seehofer am besten abstrafen kann, mit demonstrativer Nichtachtung. Es seien selten „die vermeintlich einfachen Antworten, die unser Land voranbringen“. Ein Schelm, wer an die CSU-Forderung nach einer „Obergrenze“ für Flüchtlinge denkt.

Taktischer Rückzug

Die Kanzlerin ist in der Flüchtlingspolitik so weit zurückgewichen, wie ihre Partei und vor allem die CSU es ihr abverlangt haben. Aber es ist mehr ein taktischer als ein gewollter Rückzug aus Überzeugung. Merkel ist weit davon entfernt, sich neu zu erfinden.

Es ist die atbekannte Merkel, in ihrer Unbeugsamkeit, in ihrem spröden Pragmatismus, in ihrer Nüchternheit. Fast verlegen wandelt sie nach ihrer Rede auf der Bühne und winkt den Delegierten zu. Eigentlich kann sie mit dem Budenzauber wenig anfangen. Sie hat bekommen, was ihr wichtig ist und wirklich zählt: Gefolgschaft.