Braunschweig. Weitere Rückhaltebecken würden in der Zukunft vor Hochwasser-Katastrophen schützen.

Unsere Leserin Dagmar Eichler aus Braunschweig fragt:

Die Talsperren im Harz sind noch immer nicht ganz gefüllt. Wieso konnten sie zur Zeit des Hochwassers nicht mehr aufnehmen?

Die Antwort recherchierte Silja Meyer-Zurwelle

Hochwasser trotz halbvoller Talsperren? Warum es so kommen musste, ist eine Frage, die sicher nicht nur unsere Leserin beschäftigt. Volker Bettzieche, Professor für Hydrologie, Wasserwirtschaft und Umwelttechnik an der Ruhr-Universität Bochum, erklärt das Problem. „Der Regen fällt ja flächendeckend. Alles, was drumherumfließt, können die Talsperren also nicht aufnehmen. Nur der Regen, der oberhalb der Talsperren runterkommt, kann hineinfließen“, sagt er. Die Aufgabe, diese Wassermassen aufzufangen, hätten die Harzer Talsperren gut erfüllt. „Ich habe es mir selbst angeguckt“, sagt der Experte aus Nordrhein-Westfalen.

Der Satz, dass die Talsperren ihren Zweck erfüllt haben, gefällt dem Harzwasserwerke-Sprecher Henry Bodnar naturgemäß gut: „Wir haben das Hochwasser zu hundert Prozent aufgenommen“, betont er. Ein Gesamtvolumen von 35 Millionen Kubikmetern Wasser sei während der Flut von den Westharzer Talsperren aufgenommen worden. In einer Sekunde seien allein der Innerstetalsperre 100 Kubikmeter pro Sekunde zugeflossen. „Abgegeben hat sie dagegen nur 0,9 Kubikmeter pro Sekunde“, sagt Bodnar.

Mit 0,1 bis 0,5 Kubikmetern pro Sekunde im Schnitt sei von allen Talsperren nur das Nötigste abgelassen worden. „Ganz dicht machen, dürfen wir sie eben nicht.“ Denn die Talsperren seien für die Flora und Fauna wichtig. Viele Lebewesen, die in den angeschlossenen Flusszuläufen leben, würden sonst kaputtgehen. „Und auch gegenüber den Mühlen- und Kraftwerkbetreibern sind wir dazu verpflichtet, sie nicht ganz zu schließen“, sagt der Sprecher. Die Westharz-Talsperren – dazu zählen die Oker-, Oder-, Söse-, Ecker- und Granetalsperre – haben durchschnittlich nach dem Hochwasser einen Füllstand von 66,7 Prozent erreicht.

Im Ostharz dagegen ist die Zillierbachtalsperre während der Flut übergelaufen. „Es war die einzige so stark betroffene Talsperre, weil dort der meiste Niederschlag runterkam“, sagt Joachim Schimrosczyk, stellvertretender Geschäftsführer des zuständigen Talsperrenbetriebs Sachsen-Anhalt. Das Überlaufen sei jedoch keine negative Sache. „Im Gegenteil: Damit hat sie ihre Funktion erfüllt“, sagt Schimrosczyk. Der sehr geringe Anteil, der von diesem Wasser in die Flüsse abgegeben worden sei, hätte bei der Flut keine Rolle gespielt.

Die Talsperren haben sich also bewährt. Bleibt die Frage, wie künftig eine Flut verhindert werden kann. „Dazu braucht es einen sogenannten dezentralen Hochwasserschutz“, sagt Volker Bettzieche. Kleine Hochwasserrückhaltebecken, Straßendämme und Talsperren in den Bereichen, wo die jetzigen Becken nichts auffangen können, seien die Maßnahme der Wahl, sagt der Wasserwirtschaftsexperte. „Doch das braucht Platz. Man müsste also vor den Städten und Dörfern auf landwirtschaftliche Flächen ausweichen“, erklärt Bettzieche. Das sei eine Frage, die dann vor allem mit den Bauern diskutiert werden müsse. Und eine Frage des Geldes: „Kleine Maßnahmen wie Straßendämme sind nicht so teuer. Aber der Preis für eine Talsperre liegt im Millionenbereich“, sagt der Experte. Zu dem Thema sagt Ulrich Löhr, Vorsitzender des Niedersächsischen Landvolks Braunschweiger Land: „Solche Rückhaltebecken machen uns natürlich nicht glücklich. Sie nehmen Platz weg. Da stellt sich die Frage, wie weit und welche Art der Produktion an solchen Stellen dann noch möglich ist.“

Wenn dadurch aus einer Ackerfläche plötzlich eine Wiese würde, fiele ein Großteil der Lebensmittelfläche weg. „Das Ganze wird dann auch zu einem finanziellen Problem“, sagt Löhr. Er sieht die Ursachenbeseitigung eher in den Städten. „Ist dort alles richtig gemacht worden?“, fragt er. Es sei viel an und sogar teilweise in Flüsse hineingebaut worden. „Ich denke, da muss ein größerer Ausgleich zwischen städtischen und ländlichen Gebieten stattfinden.“

Eine eher traurige Gemeinsamkeit verbindet beide Bereiche schon jetzt. Denn auch die Landwirte hat das Hochwasser schwer getroffen. „Die Felder, die an Flussauen liegen, haben massive Schäden erlitten“, bestätigt Löhr. Ein erheblicher Teil der Ernte sei nicht mehr möglich. „Das letzte Wort ist allerdings erst gesprochen, wenn man da wieder fahren kann“, sagt er. Das Wichtigste sei jetzt, dass von oben kein Nachschub kommt.