Berlin. Waren nur drei Neonazis in die Terror-Serie verwickelt? Im Bericht zum Untersuchungsausschuss haben Abgeordnete daran Zweifel.

Immer wieder ihr Gesicht: die dunklen Augen, die langen braunen Haare. Beate Zschäpe muss sich seit Mai 2013 im Sitzungssaal A 101 des Münchner Oberlandesgerichts verantworten. Sie ist Hauptbeschuldigte im Verfahren gegen den rechtsterroristischen „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU). Zehn Morde, Brandanschläge, Banküberfälle – und nur ihr Gesicht im Gerichtssaal. Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt hatten sich 2011 mutmaßlich selbst erschossen, als die Polizei sie durch Zufall entdeckt hatte. Seitdem ist vom „Terror-Trio“ die Rede, von einer Zelle. Der Generalbundesanwalt verteidigt die These einer Gruppe, die ihre Verbrechen im Untergrund plante. Doch die Zweifel sind groß.

Die Abgeordneten des Bundestags legen heute den Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses zur Mordserie vor, mehr als 1000 Seiten, ein minuziöses Auflisten von Widersprüchen, Vertuschungen und Pannen bei Verfassungsschutz und Polizei. Die Politiker befragten mehr als 80 Zeugen aus den Bundesbehörden, analysierten rund 13 000 Ermittlerakten – und sie sind sich einig, von CDU bis Linkspartei: Der NSU hatte ein Netzwerk an Unterstützern und Vertrauten. Dieser Schluss wirft eine beklemmende Frage auf: Laufen Mittäter des NSU noch frei herum?

Bei der Generalbundesanwaltschaft laufen neben dem Prozess gegen Zschäpe neun weitere Verfahren. Thomas S. zählt zu den Beschuldigten, er soll dem Trio Ende der 90er geholfen haben, Sprengsätze für Rohrbomben zu besorgen. Der Name Mandy S. taucht in der Akte auf. Sie half den 1998 untergetauchten Rechtsterroristen mutmaßlich dabei, eine Wohnung zu finden und an Ausweispapiere zu gelangen.

Weitere Namen folgen, weitere mutmaßliche Hilfsaktionen für die abgetauchten Rechtsextremisten Zschäpe, Mundlos, Böhnhardt. Doch ein Prozess gegen diese mutmaßlichen Helfer wurde auch sechs Jahre nach Bekanntwerden der Mordserie nicht eröffnet. Aus Sicht der Bundesanwaltschaft ist die Beweislage zu dünn. Sie stellten die Ermittlungen hintan. Die Grünen um Innenexpertin Irene Mihalic kritisieren das in ihrem Votum zum Abschlussbericht: „Ermittlungsansätze, die die These von einem alleine handelnden Trio ins Wanken bringen würden, sollten vom Hauptverfahren abgetrennt werden“, um den Prozess gegen Zschäpe und die anderen Angeklagten nicht zu gefährden. Doch entgehen der Justiz Neonazis, die bei den Morden mithalfen?

Sogar hohe Kriminalbeamte sagten im Ausschuss aus, dass sie nach Auffliegen des NSU 2011 unter Druck standen: Das Verfahren gegen Zschäpe sollte schnell beginnen, die Justiz wollte sich nach dem Versagen bei den Ermittlungen nicht auch noch vorhalten lassen, den Prozess nur schleppend vorzubereiten. Ein Kripo-Beamter aber sagte aus, er hätte sich mehr Zeit für Ermittlungen gewünscht.

Für den CDU-Politiker Clemens Binninger, den Ausschussvorsitzenden, bestehen zu viele Widersprüche: Kein einziger Tatortzeuge habe Mundlos und Böhnhardt zweifelsfrei gesehen. Kein Phantombild der Polizei passe so richtig auf die beiden Männer. An keinem der Tatorte fanden Polizisten DNA-Spuren des „Trios“. Dagegen listet der Abschlussbericht detailliert die Vernetzung der rechtsextremen Szene in Deutschland auf – von Thüringen über Bayern bis nach Nordrhein-Westfalen. Eine Szene, die vor allem in Thüringen, der Heimat des NSU, durchsetzt war mit V-Leuten des Verfassungsschutzes. Ohne dass sie die Polizei auf die Spur des NSU führten.

Einen Kommentar zum Thema lesen Sie hier: NSU-Morde als Mahnung