Braunschweig. Platzsturm in Braunschweig, Randale bei 1860. Besonders Eintracht-Anhänger machten zuletzt auf unrühmliche Weise von sich reden.

Ein Leser, der sich „Zuschauer“ nennt, bemerkt auf unseren Internetseiten:

Diese Chaoten, für die der Begriff Fan ein absoluter Fehlgriff ist, gehören mit aller Härte bestraft...

Zum Thema recherchierte Andre Dolle

Die vergangenen Wochen hatten es für Eintracht Braunschweig und den VfL Wolfsburg in sich – auf und neben dem Feld. Es ging in der Relegation um viel: den letzten verbliebenen Platz in der Fußball-Bundesliga. Zuvor, im April, stand für die Eintracht auch noch das Derby gegen Hannover 96 an – ein Hochrisikospiel, bei dem beide Zweitliga-Teams um den Aufstieg kämpften. Die Anhänger von Eintracht Braunschweig reagierten bei diesen von der Öffentlichkeit viel beachteten Partien nicht immer so, wie es sich die Verantwortlichen gewünscht hätten. Die Sicherheitsbehörden und auch Eintracht arbeiten die Ereignisse abseits des Platzes auf. Dabei kommen immer mehr Vorfälle ans Tageslicht.

Das passierte in den vergangenen Wochen

Beim Derby gegen Hannover 96 am Karsamstag kam es – wie befürchtet – zu Auseinandersetzungen. Vor dem Anpfiff des Hochrisikospiels wollten 300 vermummte Anhänger von Eintracht Braunschweig den Gäste-Bereich stürmen. Die Polizei, die einen kompromisslosen Einsatz angekündigt hatte, reagierte schnell, nahm 178 Anhänger in Gewahrsam. Acht Polizisten wurden verletzt. 2500 Polizisten waren im Einsatz, drei Polizeihubschrauber kreisten, Wasserwerfer und gepanzerte Fahrzeuge standen parat, wurden aber nicht benötigt.

Wie erst am Mittwoch bekanntwurde, griff ein vermummter Eintracht-Anhänger beim Sturm auf den Gästeblock einen Polizisten mit einem Brecheisen an, schlug ihn mit der Spitze auf den Kopf. Dessen Schutzhelm verhinderte Schlimmeres.

Auch beim Relegations-Hinspiel in Wolfsburg an Christi Himmelfahrt gab es Vorfälle – ebenfalls vor dem Spiel. Beim Braunschweiger Fanmarsch vom Wolfsburger Hauptbahnhof zum Stadion setzte die Polizei Wasserwerfer ein. Angeblich wollten Fans die vorgegebene Route verlassen, sie hätten mit Flaschen sowie Steinen auf die Beamten geworfen, argumentierte die Polizei später. Die Fans sehen das anders. Einige wenige werden verletzt.

Die Bilder von den Krawallen der Eintracht-Fans beim Rückspiel gegen Wolfsburg in Braunschweig gingen vier Tage später um die Republik: Nach Abpfiff waren Eintracht-Anhänger auf den Rasen gestürmt. VfL-Spieler flüchteten vom Platz. Polizisten schützten den VfL-Fanblock vor Eintracht-Anhängern. Böller und Pyros flogen, eine Rakete landete in der Beamten-Gruppe. Es gab Verletzte, bereits während des Spiels wurde ein Eintracht-Ordner von einem Böller getroffen, ging zu Boden.

So reagiert Eintracht Braunschweig

Die Großrazzia in 92 Wohnungen und Häusern wegen des Angriffs auf den Polizisten in Hannover traf Eintracht Braunschweig unerwartet. Der Verein wollte sich inhaltlich nicht äußern. Sprecherin Miriam Herzberg sagte lediglich: „Da es sich um ein laufendes Verfahren der Staatsanwaltschaft und der Polizei handelt, sind uns die Namen (der verdächtigen Anhänger) nicht bekannt.“

Mit Blick auf die Vorfälle im eigenen Stadion gegen den VfL ist der Verein weiter. Eintracht Braunschweig will gegen die Randalierer durchgreifen, hat Stadionsperren angekündigt. Zudem hofft der Verein darauf, dass die vielen friedlichen Fans die Randalierer ächten – eine Art Selbstreinigung der Kurve also. Herzberg: „Beides führt dazu, dass Täter auf Dauer isoliert werden.“

Wie viele Stadionsperren es geben wird und wie lange diese dauern werden, kann Eintracht Braunschweig zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen. Beides ergebe sich aus den Ermittlungen der Polizei. „Eintracht und die Polizei sind im engen Austausch“, sagte Herzberg. Wahrscheinlich werden die Ermittlungen der Hannoveraner Polizei weitere Stadionverbote nach sich ziehen. Dazu konnte der Verein gestern noch nichts sagen.

So reagiert die Polizei

Mit der Großrazzia gegen Eintracht-Anhänger gelang der Hannoveraner Polizei und der Staatsanwaltschaft ein Coup. Selbst die Braunschweiger Polizei war überrascht davon, dass Hunderte von Bereitschaftspolizisten 92 Gebäude in Braunschweig und unter anderem in Salzgitter und Goslar durchsuchten. Die Hannoveraner ermitteln in einem Fall wegen versuchten Totschlags und dutzendfach wegen des Verdachts des Land- und Hausfriedensbruchs .

Die Braunschweiger Polizei hat wegen der Randale beim Relegations-Rückspiel gegen Wolfsburg 20 Strafverfahren eingeleitet, darunter sieben wegen Körperverletzung und vier wegen des Verstoßes gegen die Sprengstoffverordnung. Das erklärte Polizei- Sprecher Joachim Grande. „Dabei wird es nicht bleiben. Es sind Grenzen überschritten worden“, sagte er. Festnahmen habe es noch nicht gegeben. Fünf Braunschweiger Beamte ermitteln. Sie werten TV-Bilder, Aufzeichnungen der Stadionkameras sowie eigenes Bildmaterial aus. Die Polizei bittet um Hinweise von Zeugen unter der Rufnummer 0531/476-3315.

Das sagen Fans

Bereits während des Rückspiels gegen Wolfsburg sangen Eintracht-Fans: „Ihr seid zu blöd!“ Das richtete sich gegen die Böllerwerfer aus dem eigenen Fanlager.

Einen Tag später distanzierte sich mit Cattiva Brunsviga auch die führende Ultra-Gruppe der Löwen von den Vorfällen. „Das, was zu Beginn der 2. Halbzeit in der Südkurve passierte, hat auch uns wütend und teilweise sprachlos gemacht. Es war beschämend, in einem Block zu stehen, der dafür hauptsächlich verantwortlich war, dass die Stimmung, die an diesem Montagabend unglaublich lautstark, emotional und intensiv war, kippte“, heißt es in einem offenen Brief. Weiter betonte die Ultra-Gruppe, dass sie sich seit Jahren gegen Pyrotechnik ausspreche. „Nichtsdestotrotz müssen wir einmal mehr feststellen, dass wir als Führungsgruppe des Blocks 9 nicht alles verhindern und es leider genügend Eintracht-Fans gibt, die mit Pyrotechnik schlichtweg nicht umgehen können oder sich dessen, was sie u. a. durch Böllerwürfe anrichten, scheinbar nicht bewusst sind.“

Viele Braunschweiger Fans beschäftigt aber auch weiterhin der aus ihrer Sicht völlig unbegründete Einsatz der Wasserwerfer beim Hinspiel in Wolfsburg. Ein Fan, der sich an unsere Zeitung wandte, erlitt beim Einsatz der Polizei einen Bruch des Sprunggelenks und des Wadenbeins. Syndesmosebänder rissen, ebenso das Innenband. Das geschah laut seiner Schilderung so: „Als die Wasserwerfer losgingen, wollte ich ausweichen. Ich erhielt von der Seite einen Schlag ins Gesicht – vermutlich mit einem Polizeiknüppel – und ging zu Boden. Ich war ein paar Sekunden benommen. In dieser Zeit muss jemand – ich vermute einen Polizisten mit schweren Stiefeln – mit Vorsatz auf meinen Fuß gesprungen sein.“

Der Eintracht-Anhänger geht seit Jahrzehnten ins Stadion. „Ich hatte noch nie Probleme bei Spielen. Ich habe aber auch noch nie einen Wasserwerfer-Einsatz erlebt. Das war völlig unverhältnismäßig“, sagte er. Sechs Wochen ist er insgesamt krankgeschrieben, zwölf Tage verbrachte er im Krankenhaus, musste zweimal operiert werden.

Der Fan hat Anzeige gegen Unbekannt gestellt. Er und sein Rechtsanwalt fordern von der Polizei die Herausgabe der Video-Aufzeichnungen. Außerdem hofft er, dass sich Zeugen melden.

Die „Blau-Gelbe Hilfe“ hat sich zum Ziel gesetzt, Fans bei Problemen mit Verein, Polizei und Justiz zu unterstützen. Der Fall des Fans mit den Beinbrüchen ist ihr bekannt. Ein Sprecher sagte mit Blick auf die Polizei: „Die Fans der Eintracht wurden von Einsatzkräften ohne Anlass und überhart angegangen.“

Die Polizei verteidigte ihr Vorgehen: „Die konsequent im Vorfeld kommunizierte Null-Toleranz-Strategie der Wolfsburger Polizei bei sich anbahnenden Gewalttaten hat Wirkung gezeigt“, sagte Einsatzleiter Olaf Gösmann. Dabei blieb die Polizei.

Das sagt der Innenminister

Landesinnenminister Boris Pistorius (SPD) verurteilte die Randale nach dem Relegations-Rückspiel in Braunschweig. Er kündigte in einem Interview eine Politik der „maximalen Abschreckung“ an. Er lud zu einem Fußballgipfel am 10. August in Hannover, um mit Fans, Aktiven und Funktionären über Gegenmaßnahmen und über die Fußballkultur zu reden.

Die Ultra-Gruppe Cattiva erteilte dem Treffen eine Absage. Sie bezeichnete Pistorius’ Gipfel als „Showveranstaltung“.

Das passierte bei anderen Relegations-Spielen

Der Schwerpunkt unserer Berichterstattung liegt auf den Spielen mit Beteiligung der Teams aus der Region. Auch bei anderen Relegations-Spielen gab es Krawalle. Einen Tag nach dem Spiel in Braunschweig stand die Partie zwischen 1860 München und Regensburg sogar vor dem Abbruch. „Löwen“-Fans hatten hinter einem Tor randaliert, Gegenstände auf den Rasen geworfen, mehrere Polizisten wurden bei dem Einsatz in der Allianz Arena verletzt.

Die Münchner Polizei nahm zehn Anhänger fest, gründete eine Ermittlungsgruppe. Polizeisprecher Oliver Timper warnte: „Wir werden jeder einzelnen Straftat selbstverständlich nachgehen. Münchens Polizeipräsident sowie Bayerns Innenminister Joachim Herrmann forderten öffentlich Stadionsperren. Eine Anfrage bei 1860 blieb unbeantwortet. Der Verein versinkt nach dem Absturz in die Regionalliga im Chaos.