Hannover. Niedersachsen will verstärkt gegen Koranverteilaktionen vorgehen. Die Opposition kritisiert, das Land reagiere viel zu spät.

Unsere Leserin Petra Meier fragt via Facebook:

Weshalb wird erst jetzt damit begonnen? Vorher wurde das Koran-Verteilen doch stillschweigend geduldet.

Die Antwort recherchierte Michael Ahlers

Als Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) – wie auch Ministerkollegen in anderen Bundesländern – am Dienstag vor die Medien trat, da rühmte Pistorius erwartungsgemäß den „weiteren wichtigen Schlag“ gegen den radikalen Islam.

Die Radikalisierung junger Menschen, bis hin zur Ausreise in die Kampfgebiete in Syrien oder im Irak, erfolge auch über „Koranverteil-Aktionen“. „Am Anfang steht oft die harmlose wirkende Ansprache“, warnte der Minister, nicht selten ende das aber in einer „verblendeten Situation auf dem Weg nach Syrien“. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hatte die Salafisten-Vereinigung „Die wahre Religion“ und deren Koran-Verteilaktion „Lies!“ am Dienstag verboten und die Vereinigung auflösen lassen. Die hatte publikumsnah auch auf „YouTube“ missioniert.

Die Frage unsrer Leserin musste Pistorius in seiner Pressekonferenz allerdings auch beantworten. Die Opposition im Landtag hielt der rot-grünen Landesregierung ebenfalls Versäumnisse vor. „Es ist erstaunlich, dass Niedersachsen erst auf Veranlassung des Bundesinnenministeriums gegen die Islamistenszene vorgeht“, erklärte der CDU-Abgeordnete Jens Nacke, Obmann in einem aktuellen Islamismus-Untersuchungsausschuss des Landtags. Schon lange sei bekannt, dass radikale Salafisten immer wieder im direkten Umfeld von Koranständen in Innenstädten gesehen würden, so Nacke. „Die bisher bekannten Mitglieder der hannoverschen Terrorzelle, Safia und Saleh S., Mohamad Hassan K. und Ahmed A., sollen allesamt regelmäßig bei Koranverteilständen gewesen sein“, so Nacke. Der Fall Safia S. hatte Niedersachsen beim Thema Terror in den Fokus gerückt. Die Schülerin ist angeklagt, in Hannover einen Bundespolizisten mit einem Messer angegriffen und schwer verletzt zu haben,

„Wir reden hier über sehr komplexe Ermittlungsarbeit, die über Monate und teilweise über Jahre passiert“, wehrte der Minister Vorwürfe des zu laschen Vorgehens ab. Man brauche wasserdichtes justiziables Material, um einen Durchsuchungsbeschluss zu beantragen oder gar ein Verbotsverfahren einzuleiten. „Es ist ein langwieriger Prozess, dieses Material zu sammeln“, betonte Pistorius. Es sei mühsam, detailreich und zeitaufwendig. Niedersachsen habe schon früher auf die Gefahren durch Verteilaktionen hingewiesen, sagte Pistorius. Die Polizeidirektionen Hannover, Oldenburg, Osnabrück und Göttingen waren an der aktuellen Aktion beteiligt. Im Bereich Göttingen wurden an zwei Salafisten Verbotsverfügungen ausgehändigt. In den anderen Regionen habe es „zusätzlich auch mehrere Durchsuchungen“ gegeben, sagte der Landesinnenminister.

Als Vorreiter bei Verboten gilt Hamburg, das im Mai eine Verteilaktion untersagte. Die Strukturen in einem Stadtstaat sind allerdings andere. Niedersachsen hatte vor einigen Wochen einen „Erlass“ angekündigt, der den Kommunen eine bessere Handhabe für Verbote von Verteilaktionen geben sollte. Denn sie sind vor Ort zuständig. Es gebe derzeit kein einheitliches Vorgehen, hatte Pistorius seinerzeit zur Begründung erklärt. „Sie können nicht einfach mit einem Tapeziertisch in die Fußgängerzone gehen und irgendwas verteilen“, bekräftigte der Minister. Die angekündigte Positionierung des Landes ist weiter in Arbeit, es werde aber eher eine „Handreichung“ als ein Erlass sein, hieß es. Die Behörden müssen auf Rechte wie die Religionsfreiheit Rücksicht nehmen. Im Fall Hamburgs war das Verbot machbar. Der Anmelder, ein Ägypter, sei zweifelsfrei der salafistisch-dschihadistischen Szene zuzurechnen, hieß es seitens der Behörden. Durch die geplante Aktion bestehe Gefahr für die innere und äußere Sicherheit.

„In Niedersachsen sind aktuell insbesondere die regelmäßigen Koranverteil-Aktionen von „Siegel der Propheten“ in Hannover und die Islam-Infostände der Deutschsprachigen Muslimischen Gemeinschaft in Braunschweig und Gifhorn feststellbar“, heißt es in einer aktuellen Antwort des Innenministeriums auf eine Landtagsanfrage. „Siegel der Propheten“ habe sich im Oktober offiziell aufgelöst, sei aber in ähnlicher Form noch im Internet aktiv, heißt es dazu in Sicherheitskreisen. Mit dem bundesweiten DWR-Verbot sind „Lies!“-Aktionen aus Sicht Pistorius’ aber in jedem Fall Vergangenheit. „Ein Verein, der verboten ist, kann keine Aktionen durchführen“, sagte der Minister. Natürlich hoffe man auf eine nachhaltige Wirkung des Verbots, sagte Pistorius auf die Frage nach möglichen Nachfolgeorganisationen, die in die Bresche springen könnten. Mit den „Handreichungen“ des Landes für die Kommunen soll aber offenbar die Grundlage dafür gelegt werden, dass zweifelhaften Anmeldern von Koran-Verteilaktionen das Leben schwerer gemacht wird als bisher. Eine Alternative könnte allerdings die „Wohnungs-Dawa“ sein. Dabei werden ersatzweise die eigenen vier Wände zum Koran-Verteilzentrum – mit Tapeziertisch oder auch ohne.

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