Braunschweig. Vor siebzig Jahren haben die Briten Hannover, Braunschweig und Oldenburg zusammengeführt. Zeitzeugen erinnern sich.

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Das Land Niedersachsen 1946

Fangen wir mal ganz amtlich an: Am 1. November 1946 trat die Verordnung Nr. 55 „Bildung des Landes Niedersachsen“ der britischen Militärregierung in Kraft. Darin heißt es in Artikel 1: „Mit Inkrafttreten dieser Verordnung verlieren die in der Anlage zu dieser Verordnung bezeichneten Länder ihre Selbständigkeit als Länder und werden Teile eines neuen Landes, welches die Bezeichnung Niedersachsen führt.“

Niedersachsen – das Wort ist heute allen vertraut. Anderthalb Jahre nach Kriegsende gab es im Norden Deutschlands damit jedoch eine neue Verwaltungseinheit. Und: Selbstverständlich war das keineswegs. Auf dem Papier wurde nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst der Freistaat Braunschweig reaktiviert. „In Wirklichkeit war dieser Freistaat territorial und verwaltungstechnisch durch den Nationalsozialismus praktisch verschwunden. Im Dritten Reich gab es keine selbständigen Länder mehr – es gab stattdessen die von Hitler eingesetzten Reichsstatthalter“, erklärt der Braunschweiger Historiker Professor Ernst-August Roloff. Der heute 90-Jährige erlebte die Endphase der Weimarer Republik, die Nazi-Diktatur und den Wiederaufbau als Zeitzeuge und erforschte die Braunschweigische Landesgeschichte.

Das Nicht-geschluckt-Werden

war eigentlich sehr wichtig

„Viele hatten das Gefühl, etwas Neues müsse her.“
„Viele hatten das Gefühl, etwas Neues müsse her.“ © Ernst-August Roloff, Historiker aus Braunschweig

Die britische Militärregierung hatte sich schon im Frühjahr 1945 bemüht, einigermaßen funktionierende Verwaltungsstrukturen aufzubauen. Es gab seit dem Sommer 1945 „Militärverwaltungsstellen“ und als Untergliederung drei „Provinzialmilitärregierungen“. Eine von denen umfasste die alten Länder Braunschweig, Hannover und Oldenburg.

Den Menschen im alten Land Braunschweig war ihre Unabhängigkeit – vor allem von Preußen – immer sehr wichtig. „Das Nicht-geschluckt-Werden hat ein gewisses Zusammengehörigkeitsgefühl erhalten. Als ich im August 1945 aus der Gefangenschaft kam, war meine Empfindung: Die Stadt Braunschweig kann man wieder aufbauen – aber das Land Braunschweig kann man nicht wieder herstellen“, erinnert sich Professor Roloff. Jedoch habe es bei vielen auch das Gefühl gegeben, „etwas Neues“ müsse her. Aber was?

„Man musste daran interessiert sein, ein größeres Land zu bilden.“
„Man musste daran interessiert sein, ein größeres Land zu bilden.“ © Günter Helge Strickstrack, Zeitzeuge aus Wieda im Harz

Bereits in den 20er Jahren war schon mal über die Bildung eines größeren territorialen Gebietes namens „Land Niedersachsen“ diskutiert worden. Diese Überlegungen tauchten jetzt wieder auf. Da aber die alten Länder ihre Selbständigkeit behalten wollten, kamen auch Vorschläge auf, die ein Drei-Länder-Modell (Hannover, Braunschweig, Oldenburg) vorsahen. Schließlich verfügte die britische Militärregierung im Oktober 1945 die Bildung eines „Gemeinschaftsrates Hannover“ in dem die ehemaligen Länder Braunschweig, Oldenburg und Hannover aufgingen. Nachdem Bremen diesem Gemeinschaftsrat beigetreten war, wurde bereits im Januar 1946 das Gremium in „Gebietsrat Niedersachsen“ umbenannt. Zwar trat in Braunschweig im Februar 1946 ein von den Briten ernannter Landtag zusammen, was durchaus als Entscheidung in Richtung einer gewissen Selbständigkeit verstanden werden konnte. Doch politisch gewann die Idee, aus den kleinen Ländern ein größeres zu bilden, immer mehr Schwung.

Der Zeitzeuge Günter Helge Strickstrack aus Wieda im Harz, der damals 20 Jahre alt war und der zu dem Mitbegründern der Jungen Union in Braunschweig gehört, sagt dazu: „Ich habe das sehr gut gefunden. Weil ich der Meinung war, dass Braunschweig als einzelnes Land zu klein war für die zukünftigen Anforderungen. Es sollte ja das föderale Prinzip vorherrschen, und da musste man schon daran interessiert sein, größer zu sein.“ Deshalb, so meint Strickstrack, seien die meisten auch sehr einverstanden gewesen mit der Gründung Niedersachsens.

Aber es gab natürlich auch andere Stimmen. Viele wollten partout nicht mit Hannover – den „hannoverschen Welfen“ – zusammen ein Land bilden und natürlich erst recht nicht mit einer Landeshauptstadt Hannover. „Ich weiß, dass wir in der Schule darüber gesprochen haben und erinnere mich auch daran, dass wir das alle, einschließlich des Lehrers, überhaupt nicht gut fanden“, erinnert sich der Zeitzeuge Rainer Wooge.

Einig war man sich bei dem neuen, schon im Mittelalter bezeugten Namen: Niedersachsen.

Der erste Ministerpräsident des neuen Landes war Hinrich Wilhelm Kopf (SPD). Etwa zu derselben Zeit fanden in der britischen Besatzungszone die ersten freien Gemeinde- und Kreistagswahlen statt. Der erste Landtag wurde allerdings noch von der Besatzungsmacht einberufen. Die ersten freien Wahlen zum ersten niedersächsischen Landtag fanden dann im März 1947 statt. Zunächst tagte das Parlament im „Weißen Saal“ der Stadthalle Hannover. Fünfzehn Jahre später wurde es schicker: Man zog ins Leineschloss.

Sieben Stimmen zu 70 Jahren Niedersachen finden Sie hier.