Wolfsburg. Der Konzern droht vom Abgas-Skandal betroffenen Kunden in Briefen. Er will sie so zur Umrüstung drängen.

Eine Leserin, die anonym bleiben möchte, fragt:

Darf der VW-Konzern behaupten, dass der Tüv die Plakette nicht erteilt, wenn mein Auto nicht umgerüstet wird?

Die Antwort recherchierte Andre Dolle

Der VW-Konzern macht seinen Kunden Druck: Wer sein Auto nicht umrüsten lässt, um die Betrugs-Software bei den betroffenen Diesel-Fahrzeugen zu entfernen, der erhält bei der nächsten Hauptuntersuchung keine Plakette mehr. Das behauptet der Konzern in Briefen, die er seit September an Fahrzeughalter schickt.

Der Hintergrund ist offenbar die bisher geringe Quote der Umrüstungen (siehe Text oben). Die Warnung von VW ist eindeutig: Das Fahrzeug fällt durch den Tüv, wenn es nicht umgebaut wird. Zudem drohe auch noch die Stilllegung des Fahrzeugs.

Letzteres hatte das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) in Medienberichten bereits vor einigen Monaten bestätigt. „Wenn die unzulässige Abschalteinrichtung erhalten bleibt und damit ein vorschriftswidriger Zustand, kann das betroffene Fahrzeug durch die zuständige Zulassungsbehörde stillgelegt werden“, sagte ein Sprecher des KBA dem „Focus“. Ähnliches behauptet VW nun in seinen Rückrufschreiben. Das ist allerdings eine Drohung, die die Behörden erst einmal in die Tat umsetzen müssten bei Millionen betroffener VW-Kunden. Laut einem VW-Sprecher gilt die Umrüstungs-Pflicht in Deutschland, Österreich und Spanien.

Und die Tüv-Drohung? Ist offenbar nicht haltbar. Ein Tüv-Sprecher gab sich auf Anfrage überrascht. „Wir wissen davon nichts. Wir haben noch keine technische Möglichkeit zu sehen, ob bei einem Fahrzeug eine Umrüstung gemacht wurde oder nicht.“ Das sei auch gar nicht Teil der Hauptuntersuchung. Der Tüv-Sprecher sagte ganz klar: „Aktuell kann niemand eine Plakette aus diesem Grund verweigern.“ VW hat sich demnach zu weit aus dem Fenster gelehnt. Die Drohung ist nicht haltbar.

Marion Jungbluth, Verkehrsexpertin bei der Verbraucherzentrale, sagte dazu: „Das ist ganz klar Aufgabe des KBA und nicht von VW. Ich halte diese Schreiben nicht für legitim.“

Ein VW-Sprecher erklärte, dass das Schreiben in Absprache mit dem KBA entstanden sei. Die Tüv-Passage wollte er nicht kommentieren. Das KBA selbst verwies auf Anfrage an das Bundesverkehrsministerium. Aus dem Ministerium war auch nach zwei Tagen noch keine Antwort zu erhalten.

Laut Tüv-Sprecher gab es bisher lediglich erste Gespräche über die Frage, welche Bedeutung es für die Hauptuntersuchung hätte, wenn Kunden ihr vom Abgas-Skandal betroffenes Auto nicht umrüsten lassen. Dafür müsste der Konzern die Daten an die Prüf-Behörde schicken. Das sei aber alles noch „Zukunftsmusik“. VW stünde noch viel Arbeit bevor. Der Konzern müsste sich mit sämtlichen 17 Prüforganisationen in Deutschland einigen, darunter Tüv Nord und Tüv Süd sowie die Dekra. Der Tüv-Sprecher: „Alle müssten zustimmen.“

Auch zur Stilllegung der betreffenden Autos hat der Tüv eine andere Sicht als das KBA und VW: „Eine Zwangsstilllegung ist die letzte Eskalationsstufe.“ Eine Stilllegung könne bisher nur aus Sicherheitsgründen erfolgen. Bei den „Dieselgate“-Autos handele es sich aber um Umweltaspekte. „Das ist ein ganz neuer Fall.“

Jungbluth von der Verbraucherzentrale ahnt, warum so viele VW-Kunden den Gang in die Werkstatt scheuen: „Sie wissen nicht, in was für einem Zustand sich das Fahrzeug nach der Umrüstung befindet.“ Der Spritverbrauch könnte höher sein, die Leistung eingeschränkt, das Motorengeräusch lauter. Diese angeblichen Folgen bestreitet VW vehement – und erhält Rückendeckung durch das Bundesverkehrsministerium. Es schreibt in einer Antwort auf eine Anfrage der Grünen: „Prüfmaßstab ist, dass das Fahrzeug sämtliche für die Typgenehmigung relevanten Parameter auch nach der Umrüstung einhält.“